Juri, wird es Ihnen im Sommer im Südwesten zu warm oder warum zieht es Sie zurück in den Norden?
Juri Knorr (lacht): Ich muss ehrlich sagen: Diese Hitze in der Rhein-Neckar-Region ist teilweise schon krass. In Heidelberg steht die Luft. Ich komme von der Ostsee, ich kenne den Wind. Den gibt’s hier irgendwie nur ganz selten.
Aber nur deswegen geht es vermutlich nicht im Sommer 2025 zum dänischen Erstligisten Aalborg. Warum ist der Wechsel dorthin eine richtige Entscheidung?
Knorr: Ob ich damit richtig liege… das weiß man im Vorfeld ja nie so genau. In diesem Fall habe ich auch auf mein Bauchgefühl gehört. Als ich vom Aalborger Interesse erfahren habe, war das für mich von Beginn an eine große Sache. Aalborg ist ein großer Club, stand in den vergangenen Jahren zweimal im Finale der Champions League. Wenn man sieht, wer dort alles spielt und verpflichtet wurde – da sind ein paar große Namen dabei.
Sie konnten also nicht „Nein“ sagen?
Knorr: Der Reiz, in solch einem Team zu spielen, ist bei mir relativ groß. Sicherlich hat die dänische Liga nicht den Stellenwert und auch nicht die Qualität der Bundesliga. Aber trotzdem ist das eine europäische Topliga, in der man jede Woche Vollgas geben muss. Ich bin davon überzeigt, dass Aalborg ein guter Ort für mich sein wird, um mich zu entwickeln. Viele Spieler sind von dort in die Bundesliga gekommen und zeigen Topleistungen. Das zeigt meiner Meinung nach recht eindrucksvoll, was für eine Arbeit in Aalborg geleistet und wie mit den Spielern gearbeitet wird.
Was hat noch für einen Wechsel gesprochen?
Knorr: Ich gehe jetzt in mein viertes Jahr bei den Rhein-Neckar Löwen und wohne in Heidelberg. Wenn ich nach Bad Schwartau (Knorrs Heimatstadt bei Lübeck: Anmerkung der Redaktion) fahren möchte, bin ich mindestens sieben Stunden unterwegs. In der vergangenen Saison war ich – von Weihnachten einmal abgesehen – einen einzigen Tag zuhause. Ich bin aber ein Familienmensch und möchte die Möglichkeit haben, mehr Zeit mit meinen Großeltern, Eltern, meiner Schwester und meinen Freunden zu verbringen. Auch wenn ich weiß, dass Aalborg jetzt nicht direkt neben Lübeck liegt. Aber ein bisschen näher an meiner Heimat bin ich schon. Und näher am Meer (lacht). Dänemark fühlt sich einfach ein bisschen so an, wie ich auch aufgewachsen bin – soweit ich das aktuell einschätzen kann.
Wie wichtig sind Ihnen Veränderungen in Ihrer Karriere?
Knorr: Man weiß nie, wie lange eine Laufbahn tatsächlich dauert. Deshalb reizt es mich schon, ein paar Städte, Länder und Kulturen etwas besser kennenzulernen. Und das kann mir der Handball ermöglichen. Dies war auch ein Grund, weshalb ich damals nach Barcelona gegangen bin, weil ich mir einfach gedacht habe: Als 18-Jähriger in Barcelona zu leben – das kann mir keiner mehr nehmen. Das war eine ganz neue Erfahrung, ich habe Spanisch gelernt. Auch wenn nun der Schritt nach Aalborg gewiss ein anderer ist als damals mit 18 Jahren nach Barcelona. Ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die mir der Handball bietet und welche Dinge ich dadurch erleben darf. Egal, wie es am Ende laufen mag.
Bislang haben nur andere über die Beweggründe Ihres Wechsels gesprochen, aber nicht Sie selbst. Es wurde behauptet, Sie würden die Bundesliga auch deshalb verlassen, weil Ihnen der Rummel um Ihre Person zu groß sei. Entspricht das der Wahrheit?
Knorr: Die Aufmerksamkeit ist rasant gestiegen. Aber ich genieße es, in meinem Heimatland Handball in diesen großen Arenen zu spielen. Das gibt mir ein ganz besonders Gefühl, es ist ein Privileg – gerade als deutscher Nationalspieler. Ich freue mich auch über jeden, der ein Trikot mit meinem Namen trägt, der ein Autogramm haben oder ein Bild mit mir machen möchte. Das weiß ich sehr zu schätzen. Und all das werde ich in Dänemark vermutlich auch ein bisschen vermissen, weil es ein schönes Gefühl ist, zu wissen, dass man mit seiner Spielweise die Menschen vielleicht ein bisschen inspirieren kann.
Aber?
Knorr: Ich bin nicht der Typ, der das alle drei Tage braucht. In Dänemark werde ich vermutlich für die breite Masse nicht ganz so interessant sein. Und ich glaube, ein bisschen weniger Scheinwerferlicht tut mir auch mal ganz gut.
Weil Sie glauben, dass der Rummel Ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt?
Knorr: Das würde ich so nicht sagen. Alles hat Vor- und Nachteile. Eine große Aufmerksamkeit muss nicht zwingend hemmen, sie kann genauso eine motivierende Wirkung haben.
Gehen wir Deutschen eigentlich zu kritisch mit unseren Sportidolen um? Ihr Löwen-Kollege Uwe Gensheimer hat nach seinen drei Jahren bei Paris Saint-Germain gesagt, dass in Frankreich die Wertschätzung für Spitzensportler wesentlich größer sei.
Knorr: Mir fehlt, um dies zu beurteilen, der Einblick in andere Länder. Grundsätzlich finde ich aber, dass wir in der deutschen Sportwelt die moralische Messlatte sehr hochhängen. Es werden bestimmte Anforderungen an Personen des öffentlichen Lebens gestellt, das vorgefertigte Bild muss passen – und wenn das irgendwann nicht mehr der Fall sein sollte, wird relativ schnell kritisiert beziehungsweise geurteilt. Es wird darüber debattiert, in welchem Outfit ein Fußballer zur deutschen Nationalmannschaft kommt. Da frage ich mich, ob das wirklich wichtig ist.
Zurück zu Ihrem Wechsel: Welche Rolle hat das Thema Belastung in der Bundesliga gespielt?
Knorr: Dieses hohe Pensum ist nicht einfach. Gerade mit Blick auf die vergangene Saison. Wir waren mit den Löwen im Europapokal dabei, dann folgte eine Heim-EM und ein paar Tage später stand schon wieder eine Pokalpartie in Magdeburg an. Es gibt praktisch keine Pausen, man muss immer performen, weil die Erwartungen überall groß sind. Das ist eine sehr große Aufgabe.
Eine zu große?
Knorr: Eine dauerhafte Kombination aus Nationalmannschaft, Europapokal und Bundesliga ist eine extreme Belastung und wird langfristige Auswirkungen haben. Ich habe es in der vergangenen Saison selbst mit mehreren kleineren Verletzungen erlebt. Womit wir wieder bei den Vor- und den Nachteilen wären: In der Bundesliga zu spielen, ist auf der einen Seite traumhaft schön. Aber es hat auch seinen Preis.
Sie haben recht früh Ihre Löwen-Teamkollegen über Ihren Abschied informiert. Warum war Ihnen das wichtig?
Knorr: Es herrscht ein sehr besonderer Geist in dieser Mannschaft, ein guter Zusammenhalt. Und das ist nicht nur jetzt so, sondern das war auch schon in meiner ersten Löwen-Saison so, als sportlich nun wirklich nicht alles top war. Ich konnte mich auf die Jungs immer verlassen und deswegen stand es außer Frage, offen und ehrlich mit ihnen zu kommunizieren. Wenn ich im nächsten Jahr hier weg bin, werde ich diese gemeinsame Zeit auch ganz bestimmt vermissen. Wir haben beispielsweise in dieser Woche am Mittwoch zweimal trainiert, aber nach der zweiten Einheit war fast die ganze Mannschaft noch da. Wir haben zusammengesessen, Tischtennis gespielt und Spaß gehabt. Das ist schon echt cool.
Die Aussicht auf Spiele in der Champions League sind mit dieser Mannschaft aber trotzdem eher gering. Wie sehr hat das Ihre Wechselentscheidung beeinflusst?
Knorr: Natürlich hat es für mich eine Rolle gespielt, dass in Aalborg die Chance verhältnismäßig groß ist, jedes Jahr in der Champions League dabei zu sein. Das war sicherlich auch ein wesentlicher Faktor. Man weiß einfach: In der Bundesliga wird es von Jahr zu Jahr deutlich schwieriger, das Ziel Champions League zu erreichen. Und zwar sogar für Clubs wie den THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt, die in den vergangenen Jahren noch Meisterschaften gewonnen haben. Die Bundesliga hat eben nur zwei Startplätze für die Champions League. Und wenn wir ehrlich sind, spielen momentan vier Mannschaften um diese zwei Plätze.
Und zwar der SC Magdeburg, die Füchse Berlin, die SG Flensburg-Handewitt und der THW Kiel. Was im Umkehrschluss bedeutet: Der Spieler Juri Knorr ist zu groß geworden für die Rhein Neckar Löwen.
Knorr: Nein, nein, nein. Auf gar keinen Fall. Die Rhein-Neckar Löwen sind ein großer Verein und ich werde in dieser Saison alles dafür tun, dass der Club wieder ein bisschen näher dorthin kommt, wo er mit Legenden wie Andy Schmid oder Uwe Gensheimer oder Patrick Groetzki schon einmal stand und vom Potenzial auch hingehört. Es ist ein Privileg, für diesen Verein zu spielen.
Welche Zukunftsprognose stellen Sie für die Löwen ohne den Spielmacher Knorr?
Knorr: Die zurückliegenden Jahre waren sehr turbulent. Und zurück an die Spitze geht es eben nur mit Kontinuität. Mit Sebastian Hinze haben die Löwen meiner Meinung nach den richtigen Trainer für die nächsten Jahre. Jetzt ist Uwe Gensheimer als Sportchef dabei, er bringt ein riesiges Handball-Wissen mit. Er kennt die Region, hat einen großen Namen, ist nah an der Mannschaft. Jetzt muss man es noch schaffen, auch auf der Führungsebene Kontinuität herzustellen. Die Rahmenbedingungen mit der Trainingshalle, der SAP Arena und der Kraft des Vereins sowie der Region eröffnen auf jeden Fall die Möglichkeit, wieder für deutlich bessere Zeiten zu sorgen.
Sie sind eng mit Löwen-Torwart David Späth befreundet. Wann lotsen Sie ihn als Nachfolger von Weltklasse-Keeper Niklas Landin nach Aalborg?
Knorr (lacht): Wenn es nur nach mir geht, nehme ich ihn sofort mit. Aber für ihn ist das bei den Löwen eine ganz andere Situation als für mich. David ist hier groß geworden, er hat in der Jugend für diesen Verein gespielt, seine Freundin kommt hier aus der Region, seine Familie wohnt nicht weit weg. Und er hat hier einen großen Verein, in dem er wirklich eine Ära prägen kann – und auch sportlich erfolgreich sein wird. David hat also eigentlich alles, was er braucht. Aber ich kenne seine Karrierepläne nicht.
Gehört zu Ihrem Karriereplan auch eine Rückkehr in die Bundesliga?
Knorr: Ich glaube nicht an Karrierepläne. Man weiß nie, was das Leben für einen bereithält. Am Ende kommt es eh immer anders, als man denkt. Erst einmal freue ich mich auf meine letzte Saison bei den Löwen und dann auf das, was mich in Aalborg erwartet. Ich hoffe, dass es ebenfalls eine langfristige, schöne Geschichte wird, in die ich auch sehr viel Herzblut stecken werde. Was dann irgendwann sein könnte oder wie lange meine Karriere dauern wird? Darauf habe ich momentan keine Antwort. Aber Deutschland ist meine Heimat. Und deswegen schlage ich die Tür zur Bundesliga natürlich auch niemals zu.
Bei den Länderspielen werden wir Sie in den nächsten Jahren ohnehin in Deutschland erleben. Auf EM-Rang vier folgte Olympia-Silber für die Nationalmannschaft. Beginnt da eine neue deutsche Handball-Ära?
Knorr: Zur WM im Januar reisen wir ganz bestimmt nicht als Favorit. Aber Olympia-Silber – das ist eine große Sache. Wir haben in diesem Sommer mit Ausnahme von Dänemark und Kroatien viele große Handball-Nationen geschlagen. Daran müssen wir uns jetzt aber auch messen lassen. Gefühlt werden die anderen Mannschaften auch immer besser. Es wird in den nächsten Jahren ein Hauen und Stechen um die Medaillen geben. Zu diesem Kandidatenkreis zählen wir allerdings auch. Das haben wir uns erarbeitet. Und für mich wird es grundsätzlich immer etwas Besonderes bleiben, wenn ich bei der Nationalmannschaft dabei sein und diese großen Turniere miterleben darf.
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