Handball - Klaus Gärtner im Interview

Ex-Löwen-Trainer Gärtner: „Bin erst einmal froh, raus aus dem Profigeschäft zu sein“

Acht Jahre arbeitete Klaus Gärtner für die Rhein-Neckar Löwen. Nach seiner Abberufung als Cheftrainer verzichtet er freiwillig auf eine Weiterbeschäftigung beim Handball-Bundesligisten und schlägt einen anderen Weg als Lehrer in Österreich ein. Im Interview schaut der Odenwälder ehrlich und selbstkritisch zurück, wählt aber auch mahnende Worte mit Blick auf die Entwicklung und Zukunft der Löwen.

Von 
Marc Stevermüer
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„Auf die Dauer lässt sich ohne Spitzenhandball nur schwer eine SAP Arena füllen“, sagt Ex-Cheftrainer Klaus Gärtner mit Blick auf die Rhein-Neckar Löwen. © Sörli Binder

Herr Gärtner insgesamt acht Jahre lang waren Sie bei den Rhein-Neckar Löwen, ab 2014 erstmals als Co-Trainer bei den Profis. Was bleibt hängen?

Klaus Gärtner: Der Start war überragend. Wir hatten eine super Mannschaft und ein tolles Klima innerhalb des Teams. Wenn wir zurückschauen: Fast jeder Transfer war in den ersten Jahren ab 2012 ein Volltreffer, wenn ich da beispielsweise an Hendrik Pekeler, Alexander Petersson, Kim Ekdahl du Rietz oder Gedeón Guardiola denke. Das hat Spaß gemacht, mit diesen Jungs zu arbeiten. Und diese Zeit will ich nicht missen. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit einem Trainer wie Nikolaj Jacobsen arbeiten und diese Meisterschaften hautnah miterleben durfte.

Nach zweijährigem Intermezzo in Österreich kamen Sie 2020 zurück. Wenn Ihnen jemand vorher gesagt hätte, dass es so zu Ende geht bei den Löwen, hätten Sie was gesagt oder gemacht?

Gärtner: Eine gute Frage. Mir sagte mal gerade erst jemand: Nichts ist so schlecht, dass es nicht doch für etwas gut ist. Deshalb sehe ich das von zwei Seiten. Ich habe sehr viel gelernt. Was ich auf keinen Fall hätte machen dürfen, war die Kombination mit Martin Schwalb, als wir gegen Ende der Saison 2020/21 die Rollen getauscht haben. Und das hat überhaupt nichts mit der Person Martin Schwalb zu tun, sondern mit der Konstellation an sich. Die war irrsinnig, einfach verrückt – und auch für die Spieler teilweise nicht nachvollziehbar.

Deutlich besser lief es auch nicht mehr, als diese „irrsinnige“ Konstellation beendet war.

Gärtner: Mein Nachfolger Ljubomir Vranjes hat es gerade erst selbst gesagt, dass die Aufgabe für ihn schwieriger war, als er es sich gedacht hatte. Das gilt auch für mich. Vielleicht waren da mein Co-Trainer Sascha Zollinger und ich zu naiv oder zu euphorisch mit unserer Überzeugung, dass wir das hinbekommen. Auf jeden Fall haben wir uns getäuscht. Wir würden jetzt einige Dinge anders machen.

Welche?

Gärtner: Wir haben immer versucht, die Mannschaft nicht öffentlich zu kritisieren. Das hätten wir vielleicht das eine oder andere Mal tun sollen. Außerdem war es unser Ansatz, immer den ganzen Kader mitzunehmen. Wir haben uns um jeden gekümmert. Es wäre vermutlich besser gewesen, in der einen oder anderen Situation härter durchzugreifen, um sich selbst zu schützen.

Mit ein wenig Abstand: Wie sehr hat Sie die Abberufung als Cheftrainer im Januar getroffen?

Gärtner: Das tat weh. Ich hatte mit zwei Dritteln der Mannschaft rund um Silvester telefoniert und wir waren uns einig, dass wir noch einmal angreifen wollen. Dann kam alles anders. Ich hätte gerne gezeigt, dass wir es besser hinbekommen, werde aber nicht behaupten, dass wir es besser hinbekommen hätten.

Ihr Nachfolger Vranjes hat nicht wesentlich mehr Punkte geholt als Sie. Was schließen Sie daraus?

Gärtner: Das müssen andere beurteilen, ob der Vranjes-Effekt gut genug war. Ich bin da sicherlich der falsche Ansprechpartner. Für mich war es spannend, zu beobachten, ob ein anderer mehr aus dieser Mannschaft herausholt. Gefühlt war das ja in der öffentlichen Wahrnehmung so. Aber wenn man die reinen Punkte sieht, ist auch nicht wesentlich mehr herausgesprungen. Die Schwierigkeiten blieben unverändert: keine Konstanz, immer wieder unerwartete Rückschläge, stets wiederkehrende Verunsicherung. Mit alldem hatten wir auch zu kämpfen, was mich fast ein wenig beruhigt. So weit weg vom maximal Möglichen mit dieser Mannschaft waren wir also nicht. An der einen oder anderen Stelle fehlt es diesem Kader schlichtweg an Qualität.

Klaus Gärtner – Nachwuchsleiter, Assistent und Cheftrainer

  • Klaus Gärtner wurde am 16. Juni 1975 in Heidelberg geboren, wuchs aber im Odenwald auf.
  • Von 2004 bis 2012 arbeitete er im Nachwuchsbereich der SG Flensburg-Handewitt.
  • Dann wechselte der passionierte Mountainbiker als Koordinator zur Jugendabteilung der Rhein-Neckar Löwen (SG Kronau/Östringen) und trainierte auch die Drittliga-Auswahl.
  • 2014 wurde Gärtner Assistenztrainer von Nikolaj Jacobsen bei der Profimannschaft der Löwen, mit denen er zweimal die Meisterschaft (2016, 2017) und einmal den Pokal (2018) gewann.
  • Von 2018 bis 2020 übernahm der Odenwälder den österreichischen Erstligisten Alpla HC Hard als Cheftrainer, nach zwei Jahren kehrte er zu den Löwen zurück und wurde dort erneut Co-Trainer des Bundesligateams.
  • Im Frühjahr 2021 wurde der 47-Jährige Cheftrainer der Löwen, diesen Job sollte er eigentlich bis Juni 2022 ausüben und dann wieder Co-Trainer des neuen Chefs Sebastian Hinze werden.
  • Im Januar 2022 beriefen die Löwen Gärtner aber als Cheftrainer ab.
  • Er selbst verzichtet nun freiwillig auf eine Weiterbeschäftigung als Co-Trainer und geht nach Österreich, um dort als Lehrer zu arbeiten.

Sie sagten zuletzt, dass manch einer Ihrer Charakterzüge vielleicht nicht fürs Profigeschäft geeignet sei. Wie meinen Sie das?

Gärtner: Ein Cheftrainer muss gewisse Dinge von sich wegschieben können, sich eine Art Ritterrüstung zulegen, damit das eine oder andere an ihm abprallt. Wenn ich an das Spiel in Stuttgart denke, als ich nach der Niederlage an Rücktritt dachte. Im Nachhinein muss ich sagen: Nicht allein Klaus Gärtner hat dieses Spiel verloren, sondern eine Mannschaft, die trotz aller Probleme in ihrer Zusammenstellung in der Lage sein muss, sich anders zu präsentieren. Natürlich trägt ein Trainer die Verantwortung, aber wenn ich von Leistungsbereitschaft und Konzentration spreche – das muss auch jeder Spieler ein Stück weit für sich selbst regeln. Ich habe zu viel auf mich bezogen. Und das ist im Profisport schwierig bis unmöglich. Da habe ich einen Fehler gemacht.

Sie hätten als Co-Trainer von Sebastian Hinze zur neuen Saison wieder einsteigen können, machen das aber nicht. Verlassen Sie den Verein im Unfrieden?

Gärtner: Es war mein Wunsch, den Club zu verlassen. Nun ist auf Trainerebene ein echter Neustart möglich. Mit mir als Co-Trainer wäre das auch wieder eine verrückte Konstellation gewesen. Und jetzt sind wir wieder beim gerade angesprochenen Punkt: Mich belastet das, was in der vergangenen Saison passiert ist.

Trotz des Wissens, dass es Ihr Nachfolger bei der Punktausbeute kaum besser gemacht hat?

Gärtner: Ja. Ich muss einfach aus dieser ganzen Löwen-Nummer raus, weil ich mehr von mir selbst erwartet habe, weil ich mir mehr von dieser ganzen Geschichte erwartet hatte. Für mich ist es gut, das alles nun abzuschließen.

Was braucht der Verein?

Gärtner: Schon vor der vergangenen Saison war klar, dass die Löwen Zeit benötigen, um sich von den Fehlern der Vergangenheit zu erholen. Nicht jeder wollte das damals hören. Aber wer das jetzt noch nicht verstanden hat…

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Was glauben Sie: Wird der neue Trainer Sebastian Hinze diese Zeit bekommen?

Gärtner: Das hoffe ich und das wünsche ich ihm. Es geht um Geduld und Kontinuität. Sonst schaffen es die Löwen nicht zurück nach oben.

Und wo steht der Club jetzt?

Gärtner: Im breiten Tabellenmittelfeld. Es ist sicherlich möglich, mal Fünfter oder Sechster zu werden. Aber der Abstand zum SC Magdeburg, zum THW Kiel, zur SG Flensburg-Handewitt und zu den Füchsen Berlin ist riesig. Um diese Vereine einzuholen, benötigt man das, was man zuletzt zu selten hatte: eine gute Transferpolitik. Und zwar über mehrere Jahre.

Der Löwen-Nachwuchs war gerade sehr erfolgreich. Was bedeutet das für die Profis?

Gärtner: Zunächst einmal wird es mehr Druck auf Sebastian Hinze erzeugen, weil es schnell heißen wird, dass da doch jetzt mal die Jungen spielen müssen. Aber der Sprung von der A-Jugend in die Bundesliga ist immens groß. Die Löwen sollten deshalb besser nicht den Fehler machen und in eine Art Jugendwahn verfallen. Wenn wir an die zwei Meisterschaften denken: Diese Titel haben keine Jugendspieler, sondern Weltklasseleute gewonnen. Und die wird man nicht nur alleine entwickeln können, sondern auch finden, überzeugen und verpflichten müssen, wenn man wieder in diese Regionen vorstoßen will. Denn bis ein A-Jugendlicher in der Weltklasse angekommen ist, vergehen schnell mal sechs bis acht Jahre. So lange kann der Club aber nicht warten.

Inwiefern?

Gärtner: Wenn es in den nächsten drei, vier Jahren dauerhaft um Platz sechs bis acht geht, kann es mit den Zuschauern schon schwierig werden. Auf Dauer lässt sich ohne Spitzenhandball nur schwer eine SAP Arena füllen.

Wie geht es mit Ihnen persönlich weiter?

Gärtner: Ich werde Lehrer im österreichischen Vorarlberg und zudem bei meinem Ex-Club Alpla HC Hard die U 16 übernehmen. Darauf freue ich mich. Diese Entscheidung fühlt sich gut an.

Haben Sie mit dem Profigeschäft gänzlich abgeschlossen?

Gärtner: Nicht so ganz. Vielleicht wage ich es noch einmal. Aber für den Augenblick bin ich erst einmal froh, aus dem Profigeschäft raus zu sein.

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