Herr Kromer, in der nächsten Woche wird Bundestrainer Alfred Gislason seinen EM-Kader nominieren. Inwieweit sind Sie als Sportvorstand in die Entscheidungen eingebunden?
Axel Kromer: Wir sind in einem ständigen Austausch und ich sage meine Meinung. Aber Alfred hat mit Erik Wudtke noch einen Co-Trainer und mit Mattias Andersson einen Torwarttrainer, mit denen er sich berät. Und die endgültige Entscheidung ist sowieso seine Sache.
Bis zum Eröffnungsspiel sind es am Samstag noch 25 Tage. Was wächst mehr: Vorfreude, Nervosität oder Anspannung?
Kromer: Meine Begeisterung wächst, je näher das Turnier rückt. Auch weil das Thema immer größer wird. Ich bin nicht mehr so nervös wie früher, auch als die schlechten Nachrichten von den ersten Verletzungen einzelner Spieler in der Bundesliga-Hinrunde kamen. Natürlich schmerzen uns die Ausfälle von Paul Drux und Fabian Wiede, aber ich mache mir um unsere Mannschaft keine Sorgen. Wir waren immer in der Lage, eine starke Mannschaft zusammenzustellen. Und wir werden auch diesmal eine starke Handball-Nationalmannschaft zusammenstellen.
Axel Kromer
- Axel Kromer wurde am 10. Januar 1977 in Ludwigsburg geboren.
- Er spielte Handball in der 1. und 2. Bundesliga für den TV Kornwestheim und den VfL Pfullingen.
- 2001 begann der frühere Kreisläufer seine Trainerlaufbahn beim Handballverband Württemberg im Nachwuchsbereich, 2012 folgte der Wechsel zum Deutschen Handballbund (DHB).
- Dort wurde er 2014 Co-Trainer von Dagur Sigurdsson bei der A-Nationalmannschaft und holte 2016 den Europameistertitel.
- Seit 2017 ist Kromer Sportvorstand des DHB.
Die aber sehr jung ist und am Druck zerbrechen kann?
Kromer: Wir kennen die Risiken. Aber wir können uns doch jetzt nicht hinstellen und zu unserer Mannschaft sagen: Blendet alles aus und wir tun so, als sei das eine EM ohne Zuschauer. Mal abgesehen davon, dass uns das nicht helfen würde, ist das auch einfach nicht realistisch. Wir können unsere Spieler nicht von der Außenwelt abschirmen, sondern sie wollen und sollen auch spüren, dass sie eine Heim-EM spielen. Ich bin davon überzeugt, dass uns das beflügelt und dass sich unsere Mannschaft vom Publikum durchs Turnier tragen lässt.
Mit mehr als 50 000 Zuschauern im Eröffnungsspiel gegen die Schweiz geht es auch gleich spektakulär zu.
Kromer: Wir sind der Favorit. Und wir nehmen diese Rolle an. Wir wissen aber auch, dass die Rahmenbedingungen andere als sonst sind. Wir spielen in einem Fußballstadion, es gibt eine Eröffnungsfeier und entsprechend verändert dies das Aufwärmprogramm. Wir werden uns davon aber nicht überraschen lassen, sondern uns auf diese Faktoren vorbereiten.
Und auch auf den Gegner.
Kromer: Natürlich. Andy Schmid ist immer noch der Kopf dieser Schweizer Mannschaft. In seinen zwölf Jahren bei den Rhein-Neckar Löwen haben sehr viele Gegner zu spüren bekommen, dass es Spieler gibt, die man manchmal einfach nicht stoppen kann. Andy Schmid ist solch ein Spieler.
Er ist aber mittlerweile 40 Jahre alt…
Kromer: …und trotzdem werde ich auf keinen Fall sagen, dass er solche Tage nicht mehr drauf hat. Solch ein Spruch von mir hängt doch sonst vor dem Spiel in der Schweizer Kabine (lacht).
Andy Schmid sagt doch selbst, dass er nicht mehr so gut wie früher ist. Sie müssen ihn also nur zitieren.
Kromer (lacht): Nein, nein, das werde ich nicht machen.
Definitiv noch immer herausragend sind die Franzosen. Gegen den Olympiasieger müssen die Deutschen ebenfalls in der Vorrunde ran.
Kromer: Wir haben in der jüngeren Vergangenheit häufiger daran geschnuppert, gegen diese Mannschaft bei einem Turnier zu gewinnen. Die Franzosen sind für uns immer eine Orientierung, aber auch schlagbar. Und ich bin mir ganz sicher: Die Franzosen werden bestimmt nicht sagen: „Super, dass wir in Berlin gegen Deutschland spielen.“
Die Franzosen gehören aber trotzdem zu den großen Favoriten.
Kromer: Das stimmt. Zusammen mit den Dänen. Unser Ziel ist es, dass wir auch irgendwann von den anderen Nationen vor einem Turnier als Favorit genannt werden. Diesen Status haben wir noch nicht, aber wir befinden uns auf einem guten Weg. Und eines muss ich mal ganz klar sagen: Ich wehre mich gegen die stets wiederkehrende Behauptung, dass wir in Deutschland keine Top-Leute ausbilden. Das stimmt einfach nicht. Wir haben Weltklasse-Spieler.
Wen denn?
Kromer: Wir haben Andreas Wolff im Tor. Wir haben Juri Knorr als Mittelmann. Wir haben Johannes Golla als Kreisläufer. Wir haben also endlich wieder eine zentrale Achse und keine Nation der Welt wird sagen, dass man auf diese Jungs nicht achten muss. Mit Julian Köster kommt ein sehr junger Rückraumspieler dazu, der mit seinen 23 Jahren schon recht viel Erfahrung gesammelt hat und zentral decken kann.
Die halbrechte Position könnte aber zum Problemfall werden.
Kromer: Kai Häfner hat gezeigt, dass er herausragend spielen kann. Ohne Zweifel würde uns aber ein Spieler wie Fabian Wiede guttun. Trotzdem bleibe ich dabei: Von den Dänen einmal abgesehen, müssen wir uns in der Kaderbreite vor keiner Nation verstecken.
Sind Sie sich da sicher? Bei Olympia 2021 in Tokio hing sehr viel an wenigen Spielern. Bei der WM in diesem Jahr wurde es immer kritisch, wenn Johannes Golla und/oder Juri Knorr Pausen brauchten. Gleiches geschah zuletzt in den Tests gegen Ägypten.
Kromer: Die jüngsten Spieler tragen bei uns einen Großteil der Verantwortung. Das betrifft Juri und Johannes, aber auch Julian Köster. Und wenn diese Jungs pausieren, werden sie entweder von noch jüngeren Spielern ersetzt oder von älteren, die aber noch weniger internationale Erfahrung haben als sie selbst. Da kann es zu Schwankungen kommen. Aber jetzt müssen wir doch auch mal ehrlich sagen: Juri Knorr ist nicht irgendein Spieler. Einen Spieler wie Juri gibt es nicht so oft, er ist ein außergewöhnlicher Spieler. Und da ist es doch auch klar, dass man es unserer Mannschaft anmerkt, wenn er mal fehlt.
Ist es ein Risiko, mit einem Torwart Andreas Wolff ins Turnier zu gehen, obwohl dieser erst im November seine ersten Spiele nach einem Bandscheibenvorfall gemacht hat? Gesundheit und Form sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Kromer: Um Andi Wolff muss sich niemand Sorgen machen. Er ist auf dieses Turnier fokussiert. Er hat es immer geschafft, auf den Punkt topfit zu sein. Und Andi wird auch diesmal topfit sein.
Mit David Späth und Joel Birlehm spielen zwei potenzielle deutsche Nationaltorhüter bei den Rhein-Neckar Löwen. Hinzu kommt mit Mikael Appelgren ein schwedischer Nationaltorwart. Wäre es Ihnen lieber, wenn die beiden Deutschen in unterschiedlichen Vereinen spielen würden?
Kromer: In meiner Funktion als Sportvorstand des Deutschen Handballbundes wäre es mir bei aller persönlichen und sportlichen Wertschätzung für Mikael Appelgren logischerweise am liebsten, wenn Joel und David bei den Löwen immer spielen würden. Eine klassische Nummer eins oder zwei müsste es dann gar nicht geben. Die gibt es im Handball sowieso kaum. Dass mit Mikael Appelgren noch ein weiterer Toptorwart dazukommt, führt sicherlich zu einer außergewöhnlichen Konstellation.
Die aus DHB-Sicht ein Problem ist mit Blick auf die Nationalmannschaftskarrieren von Späth und Birlehm?
Kromer: Solange die Löwen international spielen, wird keiner der drei Torhüter zu kurz kommen. Das haben die vergangenen Monate doch gezeigt.
Kommt die rasante Entwicklung von Späth überraschend?
Kromer: Ich will es mal anders formulieren: Die Löwen können sich bestätigt fühlen, dass sie ihn behalten haben, obwohl ihnen Joel Birlehm und Mikael Appelgren zur Verfügung stehen und es vermutlich 15 Anfragen für David aus der Bundesliga gab. Ich bin von ihm begeistert - und zwar nicht nur wegen seiner Leistungen.
Sondern?
Kromer: Weil er auch bei der Nationalmannschaft die gleiche Leichtigkeit gegenüber dem Publikum und dem Team präsentiert wie bei den Junioren. Wissen Sie, es ist einfach, nach einem gehaltenen Ball bis zur Mittellinie zu rennen und seinen Emotionen freien Lauf zu lassen, wenn die eigene Mannschaft führt und alles super läuft. Aber David macht das auch, wenn man gegen Ägypten mit zwei Toren zurückliegt und das Publikum braucht. So, wie im November. Machen wir uns nichts vor: Da waren gute Ergebnisse wichtig. So kurz vor der EM ging es nicht mehr nur um das Testen und die Atmosphäre in der Halle, sondern um Siege und die Handball-Stimmung in ganz Deutschland. Und dann ist es gut, einen Mann wie David zu haben, weil er die Fans mitnimmt.
Das klingt nach einem EM-Ticket für ihn.
Kromer (lacht): Die Entscheidung trifft der Bundestrainer und diskutiert bei dieser Position am intensivsten mit unserem Torhütertrainer Mattias Andersson.
Der Halbfinaltraum bei der Heim-EM wurde oft genug thematisiert. Schauen wir etwas weiter. Ist eine Qualifikation für die Olympischen Spiele im Sommer Pflicht?
Kromer: Pflicht ist mir ein zu großes Wort. Aber es ist unsere Erwartung, dass sowohl unsere Männer als auch unsere Frauen im Sommer nach Paris reisen. Und seitdem ich Sportvorstand beim DHB bin (seit Dezember 2017, Anm. der Redaktion), hatte ich ehrlich gesagt auch noch nie ein so gutes Gefühl, dass das klappt.
Die DHB-Frauen haben bei der WM schon einmal den Grundstein gelegt. Wie zufrieden sind Sie mit dem WM-Abschneiden?
Kromer: Auch nach der herben Niederlage im Viertelfinale gegen Schweden bleibt Fakt, dass sich unsere Frauen-Nationalmannschaft in diesem Kalenderjahr weiterentwickelt hat. Die Startphase gegen Schweden hat uns das zuvor aufgebaute Selbstvertrauen gekostet. Insgesamt war das Spiel ein Nackenschlag, den wir verarbeiten müssen. Trotzdem ist und bleibt die Mannschaft auf dem richtigen Weg. Wer das - unabhängig von der Platzierung bei dieser WM - nicht wahrnimmt, hat entweder am Frauenhandball kein Interesse oder aber vom Handball keine Ahnung. Das Leistungsvermögen des Teams von Markus Gaugisch und Jochen Beppler ist sowohl durch individuelle Entwicklungen der einzelnen Spielerinnen als auch durch den spielerischen Rahmen in unserer Nationalmannschaft gewachsen. Und ich habe weiterhin große Hoffnung, dass wir bei den Olympischen Spielen im Sommer 2024 mit beiden Nationalmannschaften vertreten sein und gute Rollen spielen werden.
Ein Olympiajahr ist immer auch ein Umbruchjahr. Fabian Wiede und Hendrik Pekeler mussten die EM verletzungsbedingt oder aus gesundheitlichen Gründen absagen. Werden wir sie jemals noch im DHB-Trikot sehen?
Kromer: Fabian ist 29 Jahre alt und hat gerade erst zu mir gesagt, dass er noch sechs, sieben Jahre Handballprofi und auch Nationalspieler sein will. Es wäre schön, wenn das gelingt. Möglicherweise sorgen die vielen Verletzungen und damit verbundenen Zwangspausen dafür, dass seine Karriere länger dauert, weil Fabian immer wieder Phasen der Erholung hatte. Er wird wieder zur Nationalmannschaft kommen und auch wieder für Deutschland spielen. Und bei Hendrik Pekeler bin ich mir sicher, dass er der deutschen Nationalmannschaft immer helfen wird, wenn sie ihn in einer absoluten Notsituation braucht.
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