Schriesheim. Ein Vormittag im Dezember. Der Bürotrakt des Bürgermeisters im Rathaus von Schriesheim hat sich verändert. Und damit ist nicht so sehr gemeint, dass die Wände im Vorzimmer weiß gestrichen wurden. Vielmehr residiert hier ein neuer Chef: Seit dem 1. Februar regiert Christoph Oeldorf, das traditionelle Jahresinterview ist daher auch eine erste Bilanz seiner bisherigen Amtszeit.
Herr Bürgermeister, vor einem Jahr waren sie gewählt, aber noch nicht im Amt. Wenn Sie Ihre damalige Gefühlslage mit heute vergleichen - was würden Sie sagen?
Christoph Oeldorf: Das kann man nicht vergleichen. Zum einen ist der Gewinn einer Wahl etwas ganz Besonderes. Und dann kam vor einem Jahr auch mein Sohn zur Welt. Das war schon eine Ausnahmesituation.
Was war schöner: die Geburt des Sohnes oder der Wahlsieg?
Oeldorf: (lacht) Die Geburt! Aber die Wahl kommt gleich kurz danach, weil es ja schon ein großer Vertrauensvorschuss ist, der einen stolz macht. Aber die Kombination aus beidem ist natürlich unschlagbar.
Hatten Sie jemals Zweifel, dass die Einsprüche gegen Ihren Wahlsieg scheitern würden?
Oeldorf: So ganz ausschließen kann man das nie. Aber eigentlich nicht. Es lag ja kein fehlerhafter Prozess zu Grunde, der anfechtbar gewesen wäre. Insofern habe ich darauf wenig Gedanken verschwendet.
Nun sind Sie der erste Bürgermeister seit 150 Jahren, der nicht in Schriesheim wohnt. Empfinden Sie das als Vorteil oder Nachteil?
Oeldorf: Sowohl als auch. Auf der einen Seite hat man, wenn man von außen kommt, die Sicht des Außenstehenden auf Verwaltung und Kommunalpolitik. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben war mir aber nicht fremd. Ich bleibe aber dabei, dass ich wieder an die Bergstraße zurückkehren möchte.
Christoph Oeldorf
- Geboren: 30. Juni 1978 als Sohn des langjährigen Hirschberger Bürgermeisters Werner Oeldorf.
- Familie: verheiratet mit Laura; Sohn Jonathan geboren im Jahr von Oeldorfs Wahl zum Bürgermeister 2021.
- Ausbildung: Studium Jura in Mannheim, Politik in Heidelberg, Magister. Studium „Public Management“ Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Abschluss Magister.
- Beruf: 2013-17 stellvertretender Dienststellenleiter der Bundesagentur für Arbeit Heidelberg.
- Kommunalpolitik: Gemeinderat in Hirschberg, 2017 Bürgermeister von Wilhelmsfeld, 2021 Sieg bei der Schriesheimer Bürgermeisterwahl gegen Fadime Tuncer, 1. Februar 2022 Bürgermeister von Schriesheim.
Langfristig also ein Umzug nach Schriesheim
Oeldorf: Langfristig sowieso, kurzfristig ist das eine Frage der Möglichkeit, auf Deutsch: Ob wir etwas finden.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Fadime Tuncer, Ihre Hauptkonkurrentin im Wahlkampf und nach wie vor Erste Vizebürgermeisterin?
Oeldorf: Wir haben, so denke ich, ein ganz gutes Verhältnis. Es ist von Respekt geprägt.
Wen würden Sie als Ihre politischen Berater bezeichnen wollen?
Oeldorf: Das sind mit Sicherheit die Leute, die im Wahlkampf schon an meiner Seite standen und denen ich auch sehr dankbar bin für Tipps. Ich spreche aber genauso mit Vertretern der anderen demokratischen Fraktionen.
Allerdings fiel auf, dass Sie in wichtigen Punkten nicht die Unterstützung derer hatten, deren Kandidat Sie waren, also CDU und Freie Wähler, sondern von SPD und Grünen. Sehen Sie das auch so?
Oeldorf: Nein, das waren Sachentscheidungen zu Einzelthemen. Das hatte nichts Grundsätzliches.
Gehört zu den Beratern auch Ihr Vater, der immerhin 32 Jahre Bürgermeister von Hirschberg war?
Oeldorf: Wir sprechen über das ein oder andere. Und aus diesen Gesprächen kann man auch für sich etwas ableiten. Denn man profitiert natürlich von einer Riesenerfahrung. Aber er gibt definitiv ungebeten keine Ratschläge.
War er schon mal hier im Büro?
Oeldorf: Er war einmal zu Besuch, um zu sehen, ob es immer noch so aussieht wie früher.
Tauschen Sie sich auch mit Ihrem Vorgänger, Herrn Höfer, aus?
Oeldorf: Natürlich tauschen wir uns weiterhin über einzelne Themen aus. Er kommt auch ab und an im Rathaus vorbei. Sein Wissen aus den letzten 16 Jahren ist wertvoll. Also beispielsweise welche Entscheidung aus welchen Gründen so gefallen ist.
Werden Sie die Initiative zu seiner Ehrenbürgerschaft ergreifen?
Oeldorf: Ich finde es grundsätzlich nicht gut, dies gleich beim Ausscheiden aus dem Amt zu machen. Das muss sich erst einmal setzen. Der Vorschlag hierfür müsste aus dem Gemeinderat kommen, aber ich werde diesbezüglich weiterhin mit den Fraktionen im Gespräch bleiben.
Was waren für Sie die Höhepunkte im zurückliegenden Jahr?
Oeldorf: Von Höhepunkten würde ich da ungern sprechen. Prägend waren die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Cyber-Angriff auf die Stadtverwaltung. Dass wir endlich wieder normal arbeiten könnten, das wäre ein echter Höhepunkt.
Ist die Cyber-Affäre ausgestanden?
Oeldorf: Die Auswirkungen sind in der praktischen Arbeit immer noch spürbar, etwa in einer eingeschränkten Geschwindigkeit mancher Abläufe. Es ist aber kein Brand, den wir nicht unter Kontrolle hätten.
Bürger, die mit Ihnen kommunizieren, haben keine Probleme zu erwarten?
Oeldorf: Nein, von unserem System geht keine Gefahr aus.
Der neue Anlauf beim „Gärtner-Gelände“ ist ja erneut gescheitert. Woran hat es denn jetzt gelegen?
Oeldorf: Nicht an der Stadt. Es fehlt am Konzept eines Investors.
Aber Sie haben eine Lenkungsfunktion als Träger des Baurechts?
Oeldorf: Aber das muss erst einmal ins Spiel kommen. Sobald ein ausgearbeitetes Konzept vorliegt, kann es den entsprechenden Gremien vorgestellt werden.
Wie läuft die Sanierung des Schulzentrums?
Oeldorf: Das Projekt ist im Kostenplan. Der erste Bauabschnitt wird im ersten Halbjahr 2023 fertig sein. Für die Abschnitte zwei und drei jetzt etwas zu sagen, wäre jedoch unseriös. Das hängt auch von globalen Bedingungen ab.
Dazu gehört die Flüchtlingskrise. Wie ist die aktuelle Lage vor Ort?
Oeldorf: Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft haben das bislang reibungslos mit dezentraler Unterbringung hinbekommen.
Gibt es noch Kapazitäten?
Oeldorf: Für dieses Jahr, ja. Aber dann wird es langsam eng.
Sind Hallenbelegungen geplant?
Oeldorf: Derzeit nicht. Aber ausschließen kann man nie etwas, das haben wir seit Corona gelernt.
Ist mit dem Installieren der Zusatzschilder für Sie das Thema Hans-Pfitzner-Straße erledigt?
Oeldorf: Hierzu existieren sicherlich weiter zwei verschiedene Meinungen. Dennoch gibt es einen Gemeinderatsbeschluss, der umgesetzt wurde, auch wenn ich als Bürgermeister anderer Meinung war.
Es gibt heftige Kritik an dem Text des Stadtarchivars hinter dem QR-Code. Ist eine Änderung möglich?
Oeldorf: Wenn im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses andere Aspekte auftauchen, ist das möglich.
Was steht aus Ihrer Sicht im neuen Jahr im Vordergrund?
Oeldorf: Sanierung und Neubau von Infrastruktur, sprich Kindergarten.
Wann geht’s mit der Kita los?
Oeldorf: Wir sind noch im Genehmigungsprozess. Dann muss ausgeschrieben werden. Ich hoffe, dass der Bau im kommenden Jahr 2023 beginnen kann.
Wie sieht es mit dem Neubau des Feuerwehrhauses aus? Und an welcher Stelle soll er erfolgen?
Oeldorf: Die Notwendigkeit dafür ist ja unbestritten. Allerdings müssen feuerwehrtechnische Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit erst noch eingehend geprüft und erörtert werden.
Die Sanierung der Talstraße sollte ja schon längst begonnen haben.
Oeldorf: Da lehne ich mich mal aus dem Fenster: Die wird 2023 beginnen. Da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht.
Wie ist der Sachstand beim Neubaugebiet Süd?
Oeldorf: Die Verwaltung ist beauftragt, jemanden zu finden, der eine Analyse über das Innenverdichtungspotenzial und die Vor- und Nachteile eines neuen Baugebietes in der Stadt Schriesheim erstellt. Auf Basis dieser Betrachtung werden dann die entsprechenden Schlüsse gezogen. Also, abwarten, was da rauskommt.
Aber Sie müssen als Bürgermeister doch eine Meinung haben, wie Schriesheim sich entwickeln soll?
Oeldorf: Schriesheim wird sich entwickeln. In welche Richtung das sinnvoll und möglich ist, das soll die Untersuchung ja ergeben.
Ihre Mitteilung, dass an Mathaisemarkt 2023 alles beim Alten bleibt, war ja sehr enttäuschend.
Oeldorf: Wenn wir Neuerungen jetzt auf den letzten Drücker umsetzen wollten, dann würde das die Veranstaltung an sich gefährden. Ich bin jedoch guter Dinge, dass wir 2024 schon erste Veränderungen sehen werden.
Wann kommen neue Richtlinien fürs Mitteilungsblatt, welche die Verbreitung rechtspopulistischen Gedankengutes unterbinden?
Oeldorf: Der jetzige Zustand ist in mehrerlei Hinsicht nicht gut. Wir haben das in den vergangenen Monaten innerhalb der Verwaltung intensiv und ausführlich, auch mit den Fraktionen, diskutiert und werden dazu innerhalb der nächsten drei Monate, voraussichtlich im Januar, im Gemeinderat einen Vorschlag einbringen.
Die Thematik zeigt, dass Schriesheim ein Hotspot des Rechtspopulismus in der Region ist. Was gedenken Sie dagegen zu tun?
Oeldorf: Man muss den Leuten grundsätzlich zeigen, dass die von Rechtspopulisten aufgezeigten Wege nicht die richtigen sind und mit den demokratischen Fraktionen eine Politik machen, die den Populisten inhaltlich den Nährboden entzieht. Dabei muss man der Bevölkerung transparent aufzeigen, warum bestimmte Entscheidungen so getroffen werden.
Wenn man Ihre Antworten zu den Sachfragen Revue passieren lässt, so sind das Formulierungen „Wir sind guter Dinge“, „Wir sind dran“, „Wir werden sehen“. Das ist kaum jener „neue Elan“, den Sie im Wahlkampf versprochen hatten. Wann kommt dieser „neue Elan“?
Oeldorf: Wenn wir die Füße wieder frei haben! Die Folgen des Ukraine-Kriegs und ein Cyber-Angriff sind keine Dinge, die banal sind, sondern die Verwaltung nachhaltig einschränken. In einer solchen Situation ist es weder möglich noch sinnvoll, große neue Projekte anzugehen. Das würde die Verwaltung überfordern und bei den Bürgern falsche Hoffnungen wecken, die man dann nicht erfüllen kann.
Manche sagen, Sie seien in Schriesheim emotional noch nicht angekommen?
Oeldorf: Naja, das würde ich schon sagen. Erstens ist es ja nicht so, dass ich Schriesheim erst seit gestern kenne. Zweitens war ich bislang von morgens bis abends vor allem mit Krisenmanagement beschäftigt. Wenn wir die Probleme abgearbeitet haben, dann setze ich mich gerne auch mal bei einem Glas Silvaner mit dazu.
Welche Note würden Sie sich selbst als Bürgermeister bisher geben?
Oeldorf: (lacht) Oh, nein, das mache ich nicht. Ich habe meine Schulnoten
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Jahresabschluss des Schriesheimer Gemeinderates: Zwei Welten