Neuostheim

Von Mannheim-Neuostheim aus: Ein Stadtteilverein leistet Hilfe

Der Stadtteilverein Neuostheim organisiert Transporte mit medizinischen Hilfsgütern ins Kriegsgebiet. Die nächste Fahrt in die Ukraine wird bereits vorbereitet. Die Aktionen finden Beachtung - bundesweit

Von 
Sebastian Koch
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Viel Organisation für viele Kartons: Der Stadtteilverein bringt die Spenden an die polnisch-ukrainische Grenze, von wo aus sie ins Land gebracht werden. © Stadtteilverein

Das Café Albrecht in Neuostheim ist voll. Laut ist es. Viele Tische sind besetzt. Es wird sich unterhalten, gelacht, diskutiert. Gläser klirren. Die Kaffeemaschine brummt. An einem der Tische sitzt Oksana Sachko. Ab und an schnauft sie kurz, ansonsten aber spricht die Ukrainerin mit ruhiger Stimme über ihre Eltern und Großeltern, deren Geschichte auch eng mit der Russlands des letzten Jahrhunderts zusammenhängt. Und sie erzählt von jenem Tag, der nicht nur ihr, sondern das Leben von Millionen ihrer Landsleute auf brutalste Weise verändert hat: der 24. Februar. „Ich habe immer gewusst, dass es irgendwann passiert“, sagt Sachko auf Englisch. „Ich habe aber nicht gedacht, dass es an dem Tag passiert.“ Sie flieht mit ihrer Familie nach Deutschland. „Wir haben nicht gewusst, was uns hier erwartet.“

Sachko erreicht mit ihrer Familie Mannheim, wo ihre Schwägerin lange gelebt hat, und kommt nach Neuostheim. Von hier aus organisiert sie mit dem Stadtteilverein nun seit Monaten Hilfstransporte in ihre Heimat, die im Moment keine Heimat sein kann. Es ist ein beeindruckendes Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement, das der Verein stemmt: 22 Transporte haben in den vergangenen Monaten die Ukraine erreicht, der letzte sei vergangene Woche gefahren, erklärt Sandra Drueppel aus dem Vorstand des Vereins.

Es geht dabei nicht darum, Alltägliches in die Ukraine zu bringen. Der Verein hat sich auf medizinische Geräte spezialisiert. „Es ist eine große Hilfe für mein Land“, sagt Sachko. Mehrere Mitglieder des Stadtteilvereins haben seit Kriegsbeginn Geflüchtete aufgenommen oder ihnen privaten Wohnraum angeboten. Gastgeber- und Gastfamilien vernetzen sich – der Stadtteilverein wolle Austausch und Integration fördern, erklärt Drueppel.

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Es kommt der Wunsch auf, die Ukraine auch vor Ort zu unterstützen. Weil man die Hilfe aber „nicht mit der Gießkanne“ streuen, sondern gezielt einsetzen will, entsteht die Idee, sich – neben Sachspenden – auf medizinische Geräte zu fokussieren. Die Organisation läuft an mehreren Orten: in Neuostheim, im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet, in der Ukraine. So darf etwa der Patenonkel von Sachkos Kindern das Land als Spediteur verlassen. Er nimmt jene Geräte in Empfang, die der Verein an die Grenze gebracht hat. „Wir bekommen über unsere ukrainischen Freunde gezielte Hilferufe von Ärztinnen und Ärzten in der Ukraine, die unserem breiten Netzwerk hier bekannt sind“, sagt die 3. Vorsitzende. So könne nachvollzogen werden, dass etwa Endoskopie- oder Ultraschallgeräte dort ankommen, wo sie ankommen sollen. Fotos und Videos dokumentierten die Wege zudem. „Wir erarbeiten uns Vertrauen, das wir mit Sach- und Geldspenden zurückbezahlt bekommen.“

Unterstützt werden die Transporte anfangs – entweder mit Bussen oder Fahrern – von Vereinen wie den Hockeyclubs TSV und MHC oder etwa auch dem Nationaltheater. Inzwischen werden die Geräte in einem Wagen gefahren, den das Stadtmobil zur Verfügung stellt.

Ultraschall- oder Endoskopiegeräte, Medikamente, OP-Tische und -Besteck, Stromgeneratoren oder Behandlungsbänke: Es sind Güter, die nicht unbedingt in jedem Haushalt zu finden sind – noch dazu, um sie zu spenden. „Wir bekommen von Krankenhäusern oder Praxen gebrauchte, ausgemusterte Geräte, die voll funktionsfähig sind“, sagt Drueppel. Erreichen Sachko und andere Geflüchtete „Hilferufe“, wie die Vorständin es ausdrückt, zu Geräten, die nicht gespendet werden können, würde der gemeinnützige Verein die mit Geldspenden kaufen.

Social Media, Mails, Gespräche: Die Hilfstransporte des Stadtteilvereins seien weit über Neuostheim, ja weit über die Region hinaus bekannt, sagt Drueppel. Man müsse die Aktionen, trotz des tragischen Hintergrunds, bewerben – um an Geld-, vor allem an Sachspenden zu gelangen. So habe den Neuostheimer Verein etwa auch ein 7,5-Tonner aus Wees (bei Flensburg) erreicht, um „palettenweise“ medizinische Hilfsgüter abzugeben.

Der Stadtteilverein will auch nach dem ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs vor Ort weiter helfen. „Wir bereiten den 23. Transport schon vor“, sagt Drueppel. Der Verein informiert auf seiner Webseite über benötigte Spenden, ein Spendenkonto sowie weitere Projekte. Spenden können quittiert werden.

Spendenkonto: Stadtteilverein Neuostheim VR Bank Rhein-Neckar DE 96 6709 0000 0094 7627 07 Zweck: "Mannheim/Neuostheim hilft Ukraine" für eine Quittung ist die vollständige Adresse nötig

Neben großen Geräten werden auch Medikamente und Verbände gespendet. © Stadtteilverein Neuostheim

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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