Mannheim. Etwas überrumpelt wirken die Studierenden, als sie von dem Mann im orangefarbenen T-Shirt samt Maske und schwarzer Kappe mit der Aufschrift „Nachtschicht“ angesprochen werden. Schließlich wollten sie nur am Verbindungskanal links neben der Teufelsbrücke im Jungbusch ihr Bier trinken. „Ihr sitzt hier genau richtig, seht ihr die Punkte da auf dem Boden?“, will Emiliano Trujillo wissen. Und schiebt hinter: „Bald sollen dort Sitzgelegenheiten stehen, dann müsst ihr nicht mehr auf dem Boden sitzen!“
Neue Regeln für das Feiern im Jungbusch
- Das Nachtschicht-Konzept wurde von Stadt, Nachtbürgermeistern, dem Gemeinschaftszentrum Jungbusch, Gastronomen und Bewohnern erarbeitet. Auftraggeber ist die Stadt, organisiert wird das Projekt vom Gemeinschaftszentrum.
- Erste Einsätze fanden Ende Juli und im August 2020 statt. Die Tandems setzen sich zusammen aus professionellen und freiwilligen Kräften.
- Die Nachtschicht arbeitet mit dem Besonderen Ordnungsdienst und der Polizei zusammen. Sechs Personen sind je zu dritt am Wochenende von 22 bis 3 Uhr unterwegs.
- Laut neuer Allgemeinverfügung vom 2. Juli gilt im Jungbusch am Wochenende weiterhin ein Alkoholverbot draußen von 24 bis 6 Uhr. Der Verkauf und die Abgabe sind von freitags und samstags jeweils von 23 Uhr bis 6 Uhr nicht erlaubt. Ausgenommen hiervon ist der Ausschank und Konsum von alkoholischen Getränken in Bars und Kneipen.
Was sich hier im Quartier noch verändern soll, weiß Trujillo, der in der Flüchtlingshilfe gearbeitet hat, ganz genau - schließlich ist er Teil der Nachtschicht im Jungbusch. An diesem Freitagabend beginnt Trujillo seinen Dienst um Punkt 22 Uhr mit Kristijan Nuculovic, der selbst im Jungbusch aufgewachsen ist und Jugendlichen hier das Boxen beibringt. Mit dabei ist auch Anwohnerin Laura, die neu im Team ist. Ihre Motivation: „Ich will nicht nur betroffen, sondern auch beteiligt sein“, sagt die Heilerziehungsassistentin, die in der Werftstraße wohnt und ihren vollen Namen nicht verraten will. Auch in diesem Sommer sind die Nachtschichtler jedes Wochenende unterwegs, um für ein friedliches und rücksichtsvolles Feiern zu werben.
Wie das gelingt und die Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften funktioniert, soll ein Rundgang zeigen. Erster Stopp: Lagebesprechung und Nummern austauschen mit zwei Streifen vom Besonderen Ordnungsdienst (BOD) der Stadt, der bis Mitternacht patrouilliert. Mit dabei ist auch Jungbusch-Quartiersmanager Michael Scheuermann, der feststellt: Die Stimmung im Jungbusch ist angespannt. „Wir erleben das Nachtleben hier nicht in normaler Form, sondern sehr intensiv. Viele wollen alles nachholen, was sie während der Pandemie verpasst haben.“
Das Problem nach wie vor: Anwohner, die ihre Nachtruhe einfordern - und Partygänger, die feiern wollen. Deutlich wird das an der Promenade am Verbindungskanal vor der Kauffmannmühle: Direkt vor den Fenstern und Balkonen der Bewohner sitzen um 22.30 Uhr noch viele Grüppchen, die Musik hören. „Wir haben auch unter der Woche keine Nachtruhe, manche feiern direkt unter unserem Fenster bis 6 Uhr morgens. Seit Corona ist das massiv geworden, es ist nicht mehr aushaltbar“, sagt Kai Baldenius, der im Dock 31 wohnt. Der Vorstand vom Bürgerverein schätzt zwar die Nachtschicht, hätte sie aber lieber unter der Woche im Einsatz. Einblicke in das Wohnzimmer haben Feierende auch bei Mathis Lappenküper. Was ihn stört: Im Sommer kann er nicht mal mehr die Fenster auflassen. „Es ist gut, dass was getan wird. Aber der Lärm zehrt an den Kräften“, sagt der Familienvater.
„Müssen uns an die Regeln halten“
Frage an die Partywütigen, die gegenüber auf dem Holzsteg sitzen: Warum sie ausgerechnet dort feiern, wo andere wohnen und schlafen? „Hier ist gute Stimmung. Aber es ist verständlich, dass andere schlafen wollen. Manche müssen vielleicht sogar arbeiten. Also müssen wir uns an die Regeln halten“, sagt Onur Akbas. Der 22-Jährige ist mit seinem Kumpel Diyar Fröhlich aus Ludwigshafen gekommen. Kurz nach 23 Uhr: Weil es an der Promenade friedlich ist, ziehen die Nachtschichtler weiter in die Beilstraße. „Wir drehen unsere Runde bei den Gastronomen, erinnern sie, dass die Außengastro jetzt schließen muss“, erklärt Trujillo und betont: „Wir sind aber keine Kontrolleure oder Ersatz der Polizei, sondern Vermittler. Bislang gab es keine Gewaltsituation hier, dafür viele Beschwerden wegen Lärm.“ Gerade als Trujillo seine Runde beendet, taucht der BOD auf. Wer jetzt seine Gäste und Stühle noch nicht nach drinnen verfrachtet hat, wird mahnend daran erinnert.
Um 23.40 ist die Beilstraße tatsächlich leer und BOD-Einsatzleiter Peter Schröder zieht Bilanz: „Alles super gelaufen, bislang überraschenderweise keine Vorfälle.“ Auch Quartiersmanager Scheuermann ist zufrieden, auch weil die Vereinbarung mit den Gastronomen, eine Stunde länger aufzuhaben, wenn sie danach für Ruhe sorgen, funktioniert. „Wir würden gerne bis 24 Uhr draußen offen sein, der Flair von diesem Platz ist einzigartig. Aber wir halten uns an die Regeln, wollen keinen Ärger mit den Anwohnern“, sagt Taproom-Inhaber Ben Vivell.
Zurück an der Promenade: Die Menge hat sich halbwegs aufgelöst, ab Mitternacht herrscht Alkoholverbot. Einer Gruppe scheint das egal zu sein, sie packt sogar neue Einkäufe aus. Über den freundlichen Hinweis von Kristijan Nuculovic freuen sich die jungen Partygänger sichtlich, sie wussten nichts von den Regeln. „Es kommen jede Nacht andere Leute, die sich nicht auskennen. Denen sage ich dann: ,Hier wohnen Familien mit Kindern, denkt dran, leise zu sein‘“, sagt Nuculovic.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Partymeile Jungbusch: Feierwütige umlenken, statt dauerhaftes Alkoholverbot