Mannheim. Eine unter starken Schmerzen leidende, aus der Ukraine geflüchtete Mutter zweier Kinder (Ruslana Drozd) benötigt die Hilfe ihrer in Deutschland lebenden Schwester. Der Grünen-Stadtrat Chris Rihm beherbergt in seinem Haus gegen geltendes Recht diese Schwester und ihren Mann. Er begründet das mit einer humanitären Notlage. Die Ausländerbehörde der Stadt lehnt den Antrag ab, dass die Schwester und ihr Mann in Mannheim wohnen dürfen. Es klingt schon alles nach einer sehr komplizierten und verworrenen Gemengelage, die sich derzeit rund um das Familienhaus der Rihms in Käfertal abspielt. Und das ist sie auch. Also alles der Reihe nach.
Um sie dreht sich die Geschichte: Ruslana Drozd
Als am 24. Februar russische Truppen in die Ukraine einmarschieren, flieht Ruslana Drozd zusammen mit ihren beiden Kindern nach Mannheim. Sie kommen zunächst bei Rihms unter. Mittlerweile lebt Ruslana Drozd mit ihren Kindern in einer eigenen Wohnung in Mannheim.
Sie wollen helfen: Ruslanas Schwester Zoriana Iavna und ihr Mann Fayaz Ahmad
Als Ruslana Drozd im Frühjahr 2022 nach Mannheim flieht, lebt ihre Schwester Zoriana Iavna schon in Deutschland. 2015 ist sie von der Krim aus nach Bayern geflohen. Dort lernt sie Fayaz Ahmad kennen, der im gleichen Jahr aus dem afghanischen Kunduz geflüchtet ist. Beide heiraten nach islamischen Recht. 2020 wird Tochter Raihana geboren.
Iavna und Ahmad verdienen in Bayern eigenes Geld und haben eine Wohnung. Ahmad spricht sieben Sprachen, arbeitet bis zu seinem abgelehnten Asylantrag als Qualitätsprüfer in einer Firma und besitzt einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Nachdem die Taliban die Macht in Afghanistan wieder übernommen haben, darf Ahmad nicht abgeschoben werden.
Von Bayern nach Mannheim
Im Sommer 2022 verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Ruslana Drozd in Mannheim: Skoliose. Die Krankheit wurde schon in der Ukraine diagnostiziert. Drozd hat Schmerzen, kann nicht schwer heben, muss häufig zum Arzt oder gar ins Krankenhaus. Chris und Manuela Rihm, beide berufstätig, kommen auf die Idee, die Schwester Zoriana Iavna nach Mannheim zu bitten. „Meine Schwester hat Schmerzen, muss oft ins Krankenhaus oder zum Arzt“, erklärt Iavna heute. „In der Zeit muss jemand auf die Kinder aufpassen oder ihr im Alltag helfen.“
Der ominöse Umverteilungsantrag
Weil Iavna und ihr Mann Ahmad als Asylsuchende aber in Bayern gemeldet sind, dürfen sie ihren Wohnsitz nicht frei wählen. Um nach Mannheim zu ziehen, muss die Ausländerbehörde der Stadt Mannheim einen sogenannten Umverteilungsantrag bewilligen. Der Antrag soll dem Grundsatz der gleichmäßigen Lastenverteilung unter den Bundesländern Sorge tragen. „Ein Umzug kann erst erfolgen, wenn die Ausländerbehörde diesen genehmigt hat“, erklärt ein Stadtsprecher. Iavna und Ahmat haben den Antrag im Juli gestellt - und ziehen ohne behördliche Bewilligung bereits nach Mannheim.
Der Antrag soll abgelehnt werden
Die Stadt teilt vor Weihnachten mit, den Antrag auf Umverteilung nicht genehmigen zu wollen. Zwar bestünden familiäre Bindungen, steht in dem Schreiben an Ahmad. „Jedoch handelt es nicht um eine Zusammenführung von Ehegatten oder minderjährigen Kindern zu ihren Eltern“, heißt es weiter. „Ein sonstiger humanitärer Grund ist in diesem Fall auch nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Betreuung der Kinder von Ruslana Drozd alternativlos durch Ihre Ehefrau in Mannheim erfolgen muss.“ Man beabsichtige, den Antrag abzulehnen, gewähre der Familie aber eine Frist von zwei Wochen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
Die Argumentation der Stadt auf „MM“-Anfrage
Die „Ukraine-Flüchtlingskrise“ habe zu einer enormen Belastung der Verwaltung geführt, erklärt der Sprecher der Stadt. Deshalb müsste mit längeren Bearbeitungszeiten gerechnet werden. Weil Familie Zoriana Iavna/Fayaz Ahmad seit 2015 im Land sei, handelte es sich bei ihnen nicht um Geflüchtete des Ukraine-Kriegs, sondern um Asylsuchende. „Bei Asylbewerbern steht der Grundsatz der gleichmäßigen Lastenverteilung im Vordergrund, insbesondere, wenn diese nicht erwerbstätig sind, sondern öffentliche Leistungen beziehen.“ Zoriana Iavna und ihr Mann helfen der angeschlagenen Ruslana Drozd bei der Betreuung ihrer Kinder. Ist es nicht wünschenswert, dass Kinder von Angehörigen betreut werden, wenn die im Land sind? Bei der Entscheidung über Umverteilungsanträge seien „rechtlich normierte Vorgaben maßgeblich“, entgegnet der Sprecher. Wann humanitäre Gründe vorlägen, könne man nicht pauschalisieren. „Es handelt sich um eine sorgfältig abgewogene Einzelfallenentscheidung.“
Die Familie Rihm
Die Familie um Grünen-Stadtrat und Fraktionsvize Chris Rihm kann die Entscheidung der Ausländerbehörde - die im Dezernat von Rihms Parteikollegin und Bürgermeisterin Diana Pretzell angesiedelt ist -, den Antrag ablehnen zu wollen, nicht nachvollziehen. Die geflüchtete Familie habe in Bayern ein „normales“ Leben mit zwei Jobs und eigener Wohnung geführt. „Insofern ist die Argumentation ,nicht erwerbsfähig’ ein blanker Hohn, wenn man bedenkt, dass es der Staat gewesen ist, der beiden Arbeit und Wohnung entzogen hat“, kritisieren die Rihms.
Wir handeln in einer humanitären Notlage.
Zudem sei Iavna wegen der kriegerischen Ereignisse im Osten der Ukraine und auf der Krim 2015 geflohen - Ahmad wegen der „kriegsähnlichen Zustände“ in Afghanistan. „Insofern ist die Argumentation, dass sich Frau Iavna nicht aufgrund kriegerischer Ereignisse in der Ukraine hier befindet, falsch. Es war eben nicht der große Krieg, sondern der kleine - beides ist dramatisch schlimm.“
Wie soll es nun weitergehen?
Weil Asylsuchende eben genannter Wohnsitzauflage unterliegen, und die Stadt dem Umzug nicht zugestimmt hat, müssten Zoriana Iavna und Fayaz Ahmat zurück nach Bayern - sie wohnen nicht legal bei den Rihms. „Uns allen ist bewusst, dass wir in einer humanitären Notlage handeln und dass es für Entscheidungen immer mal wieder eine Güterabwägung geben muss“, sagt Chris Rihm. „Wir haben nicht die Kapazitäten, uns um die komplexen Probleme der Familie zu kümmern - wollen diese aber auch nicht sich selbst überlassen“, erklärt er. „Wir haben auf unsere Kosten einen Rechtsanwalt beauftragt, die Interessen der Familie zu vertreten, und sind bereit, alle rechtlich möglichen Schritte zu gehen.“
Die Familie habe weitere Unterlagen eingereicht - teilweise in ukrainischer Sprache, die den Gesundheitszustand von Ruslana Drozd belegen sollen. Am 28. Dezember räumt die Stadt der Familie „eine einmalige Fristverlängerung“ ein: Bis 13. Januar müssten Unterlagen in deutscher Sprache vorliegen. „Wenn man bedenkt, dass die meisten Ärzte, die Atteste ausstellen, bis 9. Januar nicht arbeiten, wird das sportlich“, fürchtet Chris Rihm.
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