Krieg gegen die Ukraine

Vor Putin geflohen: Russische Oppositionelle im Exil in Mannheim

Dima Markevich hat in Russland gegen Putins Krieg Politik gemacht. Mit seiner Familie hat er in Mannheim eine neue Heimat gefunden. Wie die Familie auf Russland und den Ukraine-Krieg schaut.

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Sebastian Koch
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Sind aus Russland nach Feudenheim geflohen: Dmitry Markevich, Lada Chizhova und eine ihrer beiden Töchter. © PIX-Sportfotos

Mannheim. Der große Garten hinter dem Reihenhaus in Feudenheim wirkt idyllisch. Überall grünt es, ein Vogel zwitschert. Dmitry, genannt Dima, Markevich und seine Frau Lada Chizhova sitzen im vorderen Teil des Gartens an dem Holztisch, der vor einer Treppe steht. Die siebenjährige Tochter Varvara setzt sich zwischen Mama und Papa neugierig dazu. Wären der Redakteur und der Fotograf nicht dabei, könnte man fast von einem Moment der Normalität, von Familienalltag sprechen. Und doch steckt in dieser Szene eine Geschichte, die ohne Krieg und Flucht niemals hier hingeführt hätte.

Bis vor drei Jahren haben Dima, Lada sowie ihre Töchter Varvara und Nina noch in Sankt Petersburg gelebt. Er hat sich in der Kommunalpolitik engagiert, sie Kulturprojekte organisiert. Beide haben schließlich zwei Hostels eröffnet, mit denen sie nach der Pandemie durchstarten wollten. „Wir werden die Touristen-Szene in Sankt Petersburg rocken“, hatten sie sich damals gedacht, erzählt Dima. Doch dann überfällt die Armee im Februar 2022 die Ukraine – und Dima, der studierte Historiker, gehört zu jenen Politikern, die gegen den von der russischen Führung als Spezialoperation bezeichneten Krieg öffentlich ihre Stimme erheben.

Ein Foto aus vergangenen Tagen: Lada Chizhova und Dmitry Markevich in Sankt Petersburg. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind die beiden aus Russland geflohen. © Privat

Er ist damit nicht allein, aber doch zumindest wahrnehmbar in der Minderheit. Menschen, die gegen den Krieg argumentieren, verschwinden im Gefängnis, schildern Dima und Lada. Freundeskreise zerbrechen, Familien werden entzweit. „Auch meine Eltern waren am Anfang für den Krieg“, erzählt Lada. Der Kontakt zu ihren Eltern leidet, und der politische Druck des Regimes auf seine Gegner nimmt zu. Dima und Lada fürchten: In Russland zu bleiben, könnte für sie bald lebensgefährlich werden.

„Wir sind in Sicherheit – aber viele andere nicht“

Sie fliehen in die Türkei. Dort werden ihre Pässe akzeptiert, während die in Europa größtenteils als „toxisch“ gelten, wie Dima erzählt. Mit ihnen verschließen sich Europas Grenzen oder Arbeitsvisa werden verweigert – egal ob ihre Besitzer Befürworter oder Gegner von Putins Krieg sind. Russische Oppositionelle haben es bald aber auch in der Türkei schwer. Weil Präsident Recep Tayyip Erdogan Kontakte zum Kreml pflegt, werden Russen im türkischen Exil bald argwöhnisch betrachtet.

Hunderttausende sterben. Wir alle wünschen uns das Ende des Krieges. Aber das Regime bleibt bestehen. Für die Russen bedeutet ein Waffenstillstand nicht automatisch Freiheit.
Dima markevich Russischer Oppositioneller

Eine neue Chance ergibt sich, als Deutschland ein Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Personen aus Russland und Belarus startet. Die Bundesrepublik nimmt Menschen auf – unter ihnen Dima, Lada und ihre Töchter. Die Familie landet zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Walldorf, wo sie Mehrbettzimmer und die Mühlen deutscher Behörden kennenlernt. Die vier kommen nach Mannheim, haben hier inzwischen Arbeit und Freunde gefunden. Varvara besucht die Schule, Nina den Kindergarten. Sicherheit, Freiheit, ein neues Zuhause – Dinge, die für viele selbstverständlich sind, sind für Dima und Lada hart erkämpft. Dass sie hier sitzen, im grünen Garten hinter dem Reihenhaus, das sie mit ihrem Vermieter teilen, verdanken sie dem Aufnahmeprogramm der Bundesregierung.

Glücklich: Lada Chizhova und Dima Markevich in ihrem Hostel in Sankt Petersburg. © Privat

Dima arbeitet mittlerweile als Softwareentwickler. Er spricht fließend Englisch und versteht die deutsche Sprache gut. Lada ist Grafikerin und Künstlerin, spricht neben Russisch auch Deutsch und Englisch, hat zuletzt unter anderem mit Stadt.Wand.Kunst zusammengearbeitet. „Wir leben nicht vom Staat. Wir gestalten unser Leben selbst“, sagen die beiden.

Das würden viele russische Oppositionelle so machen, sind sie überzeugt. Schließlich habe man sich in Russland politisch engagiert, hatte die Courage, gegen ein brutales Regime zu sprechen. Die meisten Oppositionellen seien gut gebildet, potenzielle Fachkräfte für den deutschen Markt, sagen Lada und Dima. Gerade deshalb verfolgen sie mit Sorge, dass die Bundesregierung zu Beginn der Koalition jenes Aufnahmeprogramm gestoppt hat, das ihnen einst geholfen hat. „Wir sind in Sicherheit“, sagt Dima. „Aber viele andere nicht. Sie haben keine Tür mehr, die sich öffnet.“

Bundesinnenministerium will Aufnahmen in Einzelfällen wieder prüfen

Vielleicht doch? Nach dem Gespräch in Feudenheim und unabhängig davon bewegt sich im politischen Berlin etwas. Zwar verweist ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gegenüber dieser Redaktion darauf, dass geprüft werde, wie das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, freiwillige Bundesaufnahmeprogramme „soweit wie möglich zu beenden“, umgesetzt werden kann. Verfahren zur Aufnahme von Menschen, „die durch ihren Einsatz für Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenrechte besonders gefährdet sind oder an deren Aufnahme aus sonstigen Gründen ein politisches Interesse besteht“, werden allerdings wieder aufgenommen. Das sei „vor ein paar Tagen“ geschehen. „Dabei erfolgt eine Prüfung im Einzelfall.“

Mit diesem Hostel wollten Dima Markevich und Lada Chizhova die Touristen-Szene in St. Petersburg nach der Pandemie rocken, erzählen sie. © Privat

Wie der Sprecher weiter erklärt, hat die Bundesrepublik seit Mai 2022 fast 2.500 russische und seit Mai 2021 genau 410 belarussische Staatsangehörige über das Programm aufgenommen. Wie viele Oppositionelle noch auf eine Aufnahme hoffen – oder gar schon eine zugesagt bekommen haben – beantwortet er mit Verweis auf laufende Verfahren hingegen nicht. Vom Stopp der freiwilligen Aufnahmeprogramme wären auch viele sogenannte Ortskräfte aus Afghanistan betroffen.

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Zurück nach Mannheim. Im Feudenheimer Garten spricht Dima mit ruhigem Blick und klarer Stimme über den Krieg in der Ukraine. Man muss Töne der Hoffnung schon gezielt suchen, vor allem aber hört man Ernüchterung. Hoffnung, weil Dima sich nichts sehnlicher wünscht, als dass der Krieg bald endet. Viel Ernüchterung, weil er nicht daran glaubt, dass das in Russland viel verändern würde. „Hunderttausende sterben. Wir alle wünschen uns das Ende des Krieges. Aber das Regime bleibt bestehen. Für die Russen bedeutet ein Waffenstillstand nicht automatisch Freiheit.“ Gespräche wie zuletzt zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Machthaber Wladimir Putin verfolgt er, ohne sich aber Illusionen hingeben zu wollen. „Man kann sich nicht vorstellen, dass der Krieg morgen endet – und dass wir dann sofort zurück nach Russland gehen könnten. Die Schulen, die Lehrer, die Propaganda – das wären noch die gleichen. Es bleibt gefährlich, solange Putin an der Macht ist.“

„Wir lernen in Deutschland, wie Demokratie funktioniert“

Auch deshalb engagiert er sich im Exil weiterhin politisch. Gemeinsam mit anderen Russen hat er in Berlin eine Initiative gegründet. Die Oppositionellen vernetzen sich mit europäischen Institutionen, beraten Politikerinnen und Politiker, suchen die Nähe zu anderen Oppositionsgruppen. „Unser Ziel ist, zu zeigen: Russland ist nicht gleich Putin. Es gibt Menschen, die an eine demokratische Zukunft glauben.“ Für ihn sei Deutschland längst zu einem Zentrum der russischen Opposition im Exil geworden. Viele seiner früheren Mitstreiter leben hier – besonders in Berlin, wo es Räume und Organisationen gibt, die Austausch ermöglichen.

Die Menschen schweigen nicht, weil sie alle für den Krieg sind – sondern weil sie Angst haben.
Dima Markevich Russischer Oppositioneller

Lada hingegen will keine Politikerin sein. Sie beobachtet Deutschland aus einer anderen Perspektive. „Wir lernen in Deutschland, wie Demokratie funktioniert – von Kleingartenvereinen bis zu Stadträten. Diese Erfahrung wird eines Tages wichtig sein.“ Schon in Sankt Petersburg hatte sie kleine Stadtteilfeste organisiert, die Nachbarn, Künstlerinnen und lokale Unternehmen zusammenbrachten. Damals schon sei das ein stilles Statement gegen die Vereinzelung gewesen, die das Regime in Russland befördert. „Es ist inspirierend, wie Menschen in Deutschland gemeinsam etwas bewegen können. Das ist ein Wissen, das wir eines Tages zurücktragen wollen.“

Doch während Dima und Lada in Mannheim eine neue Existenz aufbauen, wissen sie um Freunde und Weggefährten, die in Bedrängnis geraten. So wie Alexej Moskaljow. Dessen Tochter hatte in der Schule ein Antikriegsbild gemalt – die Lehrerin rief die Polizei. Moskaljow landete für zwei Jahre im Gefängnis und sei nach seiner Entlassung 2024 von den Behörden wöchentlich kontrolliert worden, erzählt Dima. Heute lebt der Oppositionelle in Armenien, unter permanenter Bedrohung, wie Dima sagt. „Jede Woche kann für ihn zur Falle werden.“

Wenig Hoffnung für Russlands Zukunft

Der Blick nach Russland selbst bleibt düster. Auch nach dem Tod von Regimekritiker Alexej Nawalny „gibt es eine politische Opposition in Russland“, sagt Dima. „Vielleicht ist sie im Moment nicht ganz so groß, aber sie existiert. Das ist wichtig.“ Allerdings sei die Opposition politisch zerstückelt und auch deshalb schwach und wenig sichtbar. Parteien, NGOs und humanitäre Initiativen stehen unter Kontrolle des Staates, erzählen die beiden. Wer hilft, wer forscht, wer widerspricht, der riskiert Haft.

Die Familie flieht zunächst in die Türkei, wo dieses Bild kurz nach ihrer Ankunft entstanden ist. Später flieht die Familie weiter nach Deutschland, wo sie von einem Aufnahmeprogramm für Oppositionelle profitiert. © Privat

„Opposition in Russland ist wie ein zweites Leben. Ein Leben im Untergrund“, sagt Dima. „Viele sind gegen den Krieg – aber sie können das nicht einmal in der eigenen Küche sagen, ohne Angst zu haben, dass das Kind das in der Schule weitererzählt.“ Ihn, den Historiker, erinnert das ein wenig an die DDR – aber mit digitaler Überwachung und drakonischeren Strafen. Wie viele den Krieg tatsächlich nicht unterstützen, das kann Dima zwar nicht sagen. Aber es gibt sie, sagt er. „Die Menschen schweigen nicht, weil sie alle für den Krieg sind – sondern weil sie Angst haben.“

„Russland ist meine Heimat“

Dann wird Dima leiser. „Meine Heimat ist Russland. Natürlich will ich, dass es besser wird. Die meisten von uns wollen eines Tages zurück, wenn das Regime gefallen ist.“ Er sagt das, als wäre das im Moment mehr ein Traum als ein Plan. Im Garten hinter dem Feudenheimer Reihenhaus lebt seine Familie im Exil. Sie arbeitet an ihrer Zukunft – vielleicht auch in der Hoffnung, dass die irgendwann auch wieder in Russland möglich sein wird.

Ihre Eltern übrigens sind vom Krieg mittlerweile nicht mehr ganz so überzeugt, erzählt Lada dann noch. Mehr weiß sie aber nicht darüber. Denn über Politik will sie mit ihren Eltern am besten immer noch nicht sprechen. Eine stille Folge des Krieges, die auch im sicheren Feudenheim noch zu spüren ist.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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