Mannheim. Gerade mal eine siebenköpfige Familie wohnt hier, mehr direkt Betroffene gibt es zunächst nicht. Und doch wächst Mannheim zum 1. Juli 1895 um eine große Fläche. 717 Hektar groß ist die Friesenheimer Insel, die vor 130 Jahren gegen Zahlung von 30.000 Mark Entschädigung an die – damals noch – selbstständige Gemeinde Sandhofen die erste von schließlich zwölf Eingemeindungen darstellt.
Die Quadrate, die gerade entstehende Oststadt, der Lindenhof, die Arbeiterquartiere in der Neckarstadt – Neckarvorstadt genannt – und in den „Schwetzinger Gärten“ (Schwetzingerstadt): Größer ist Mannheim nicht bis 1895. Gerade 91.119 Einwohner zählt die 2.348 Hektar umfassende Stadt, 1871 – bei der Reichsgründung – sind es gar erst 36.606. Aber die Stadt wächst. Durch die enorm zunehmende Industrialisierung ziehen immer mehr Menschen zu, und auch die Betriebe brauchen Platz. Die 1865 gegründete Badische Anilin- & Sodafabrik (BASF) baut daher im pfälzischen Ludwigshafen, weil es ihr im Jungbusch zu eng wird.
Wie gut, dass Johann Gottfried Tulla Mannheim neue Perspektiven eröffnet. Der Ingenieur, Leiter der badischen Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues, begradigt den Rhein, bändigt auch den wild verlaufenden Neckar, sorgt für Sicherheit der Schifffahrt und das Austrocknen jener Sumpfgebiete, in denen sich nicht nur der bekannte Dichter Friedrich Schiller die Malaria („Sumpffieber“ genannt) holte.
Eingemeindung von Friesenheim: Oppauer wollen lieber zu Sandhofen gehören
1862 erfolgt der sogenannte „Friesenheimer Durchstich“ – der Altrhein wird abgetrennt, dem Strom ein gerade verlaufendes neues Bett gegeben. So entsteht eine Insel mit Fläche, aber Mannheim lässt das anfangs indes ziemlich gleichgültig. Die meisten Flächen gehören den Gemeinden Oppau und Friesenheim, dem Staat und dem Weinheimer Adelsgeschlecht von Berckheim (Gründer des Exotenwalds). Die 113 privaten Grundeigentümer wohnen überwiegend in Oppau, einige in Friesenheim, nur einzelne in Mannheim, Ludwigshafen, Feudenheim oder Sandhofen.
Bei den Verhandlungen zwischen dem bayerischen Königreich, zu dem die Pfalz gehört, und dem Großherzogtum Baden liegt zwar auch die Idee auf dem Tisch, das Gelände der Stadt Mannheim zuzuschlagen. Das befürworten vor allem die Friesenheimer. Auch die Schaffung einer eigenen Gemarkung wird erwogen. Die Oppauer, besonders große Grundeigner, befürworten aber die Zuteilung zur Gemeinde Sandhofen. So entscheidet es der Großherzog 1863.
Schon 1884 erwirbt Mannheim aber 137 Hektar an der Südspitze der Insel. Otto Beck, Mannheims Oberbürgermeister seit 1891, erkennt dann, dass er die Quadratestadt nur zukunftsfähig machen kann, wenn sie weiter wächst. Er braucht Flächen für Industrieansiedlungen und will einen großen Hafen am Altrhein bauen – als Gegengewicht zu dem, was im Süden Mannheims passiert. Auf Neckarauer und Seckenheimer Gemarkung schließen sich 1895 mehrere Firmen zur „Rheinau GmbH“ zusammen, um in den dort im Zuge der Rhein-Korrektur entstehenden Altrheinarmen Hafenbecken anzulegen: den Rheinauhafen, der später dem Stadtteil seinen Namen gibt.
Suche nach Standort für ein Klärwerk: Friesenheimer Insel als Lösung
Vertraulich verhandelt Otto Beck ab 1892 mit dem badischen Innenministerium über Erweiterungsmöglichkeiten, speziell über die Friesenheimer Insel. Er argumentiert, dass die einzige Brücke von der Insel nach Mannheim führt. Zudem will er einen neuen Hafen anlegen und er sieht die Insel als einzige Möglichkeit, die städtischen Abwasser abzuleiten und hier die dringend notwendige Kläranlage zu errichten. Daher sei es in öffentlichem Interesse, die Insel nach Mannheim einzuverleiben, so die Stadt gegenüber dem badischen Innenministerium.
Der Sandhofener Gemeinderat stellt sich aber erst einmal quer und beschließt am 14. September 1892, die Abtretung der Insel abzulehnen. Dabei zeigen Berechnungen der Gemeinde, dass sich die Insel letztlich für die Gemeinde gar nicht rentiert, weil die Einnahmen aus Jagdpacht und Umlagen nur knapp über den Ausgaben für den Feldhüter, für Wege, Brunnen, Reparaturen, die Fähre und vieles mehr liegen. Zudem sei die Insel „für die Gemeinde stets die Quelle zahlreicher Unannehmlichkeiten“, etwa wegen der Damm- und Wegeunterhaltungspflicht, wie aus einem Protokoll von damals hervorgeht.
Als das Land signalisiert, dass die Eingemeindung der Insel nach Mannheim im „Staatsinteresse“ liegt und sie auf alle Fälle durchgesetzt wird, lenken die Sandhofener 1893 ein und erklären sich „unter gewissen Voraussetzungen“ bereit, in „Unterhandlungen“ einzutreten. Das bedeutet: Sie wollen Geld. Fast ein Jahr ziehen sich die Gespräche hin. Sandhofen fordert 100.000 Mark, Mannheim bietet 30.000 Mark – und diesen Betrag hält die badische Regierung für angemessen. Zum 1. Juli 1895 gehen die 717 Hektar in den Besitz von Mannheim über.
Zusichern muss die Stadt ferner, dass sie „ohne Anspruch auf Fährgeld“ eine Fähre für Personen und Fuhrwerke unterhält, „zur Abfuhr der Bodenerzeugnisse“ der Felder vieler Sandhofener Bauern auf der Insel. Die Fähre besteht bis heute.
Schon ab 1897 wird nach den Plänen von Moritz Eisenlohr der Industriehafen angelegt, am 3. Juni 1907 vom Großherzog eingeweiht, woran ein kleines Denkmal mit Bronzetafel erinnert. Zur Querung des Altrheins von Luzenberg aus wird schon 1903 eine drehbare Brücke (Diffenébrücke) errichtet (und 1988 durch einen Neubau ersetzt). 1905 nimmt die Kläranlage (heute Künstleratelier) den Betrieb auf, und zwischen 1900 und 1907 siedeln sich 71 Betriebe hier an. Darunter sind neun Großmühlen, dazu Lagerhäuser und Speicher, wodurch in Mannheim ein Viertel des deutschen Getreidehandels abgewickelt wird.
Von 1956 bis 1963 nutzt Mannheim die Insel als Mülldeponie, kippt hier zwei Millionen Tonnen Haus- und Gewerbemüll ab, was in den 1990er-Jahren zu Bodenabsenkungen führt und eine Altlastensanierung nötig macht. Der später angelegte Bauschutthügel, „Monte Scherbelino“ genannt, ist mit 156 Metern Mannheims höchster „Berg“ und heute begrünt, ein Refugium für viele Blumen-, Vogel- und Insektenarten sowie mit Photovoltaikanlagen versehen. Und trotz aller Industrie gibt es hier auch wunderschöne idyllische grüne Flecken, etwa das Naturschutzgebiet „Weidenschlägel“ oder das Umfeld des 1967 hier in einem ehemaligen Gutshof angesiedelten Tierheims.
Große Pläne der BASF auf der Friesenheimer Insel werden nie realisiert
1963/64 wird auf der Insel die Erdölraffinerie mit zeitweise bis zu 83 riesigen Tanks angesiedelt, wo fünf Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr verarbeitet werden. Sie ist längst geschlossen, dient aber weiter als Tanklager und für wenige Produktionsstätten der BASF, die mit drei Rohrleitungen, sogenannte „Düker“, unter dem Rhein hindurch mit Ludwigshafen verbunden sind.
1990 bekanntwerdende Pläne der BASF, auf der Insel zu investieren, 50 bis 70 neue Produktionsanlagen anzusiedeln und sogar eine eigene Brücke zu bauen, sind nie realisiert worden – unter anderem wegen der Deutschen Einheit, denn danach baute die BASF in Schwarzheide. Auch Pläne der Motorenwerke MWM, in den 1990er-Jahren auf das brachliegende Areal der Strebelwerke umzuziehen, scheitern. Die Silhouette der Insel wird außer von der BASF vom Heizkraftwerk mit Müllverbrennungsanlage geprägt.
Derzeit leben (Stand Ende 2024) 578 Personen auf der Insel. Zudem sind rund 700 Gewerbebetriebe dort gemeldet. Das Fischrestaurant Dehus, bekannt für Wild- und Fisch und eines der beliebtesten Ausflugsziele auf der Insel, hat 2023 seinen Betrieb eingestellt.
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