Justiz

Tödlicher Polizeieinsatz: Mannheimer Marktplatz-Prozess ohne wichtigsten Zeugen?

Mehr als 14 Monate nach dem tödlichen Polizeieinsatz in Mannheim steht nicht fest, ob sich ein dritter Mann vor Gericht verantworten muss. Was wir über die Ermittlungen gegen den Arzt des Verstorbenen wissen

Von 
Agnes Polewka
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Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sich ein weiterer Mann – der Arzt von Ante P. – nach dem tödlichen Einsatz am Marktplatz vor Gericht verantworten muss. © René Priebe

Mannheim. Ante P. starb am 2. Mai 2022 während eines Polizeieinsatzes auf dem Mannheimer Marktplatz. Zwei Polizisten sind deshalb angeklagt, der eine wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge, der andere wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Am 12. Januar beginnt der Prozess am Landgericht. Dabei könnte aber ein wichtiger Zeuge - vielleicht sogar der wichtigste Zeuge - ausfallen: der Arzt, der Ante P. am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) behandelt hatte.

Weil die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen eingeleitet hat, könnte der Mediziner sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen - und schweigen.

Ein Sprecher der Mannheimer Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage dieser Redaktion, dass die Ermittlungen gegen den Arzt bislang noch nicht abgeschlossen seien. Erst dann entscheidet sich, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt.

Was ein Arzt laut Gesetz zu tun hat

Wie diese Redaktion erfuhr, soll der Mediziner nach bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am 2. Mai 2022 minutenlang regungslos in der Menschenansammlung ausgeharrt haben, bevor er mit den Reanimationsmaßnahmen begann. Über die Gründe hierfür lässt sich bislang nur spekulieren. Vielleicht wartete er auf weitere Anweisungen der Beamten - bei Gefahrenlagen ist das ein häufig erprobtes Prozedere. Vielleicht war der junge Arzt überfordert. Vielleicht trifft nichts davon zu.

Stirbt ein Patient infolge einer Untätigkeit, droht Medizinern eine Strafe wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen

Fest steht: Im Strafrecht gibt es für Ärzte einen klar definierten Handlungsrahmen. So muss ein Arzt laut Gesetzgeber im Speziellen dann helfen, wenn er eine besondere Beziehung zu dem Patienten hat. Tut er dies nicht, begeht er eine Körperverletzung durch Unterlassen. Stirbt ein Patient infolge der Untätigkeit, droht Medizinern eine Strafe wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Wie im vorliegenden Fall. Mehrere Jahre soll der Arzt Ante P. behandelt haben, der laut Ermittlern seit Jahrzehnten an einer paranoiden Schizophrenie litt.

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Und es gibt weitere offene Fragen. Nach Informationen dieser Redaktion versuchte Ante P., dem es Zeugenberichten zufolge sehr schlecht ging, am 2. Mai zwei Mal die Klinik zu verlassen. Unter ärztlicher Aufsicht wurde er nach seinem ersten Versuch zunächst zurück auf die Station gebracht, offenkundig desorientiert, getrieben von Wahnvorstellungen.

Fragen ans ZI bleiben noch unbeantwortet

Dann soll er das Gebäude abermals verlassen haben, unbemerkt. Wie konnte das passieren? Und warum hatte das Kriseninterventionsteam der Klinik keine Handhabe mehr, um sich um den Patienten zu kümmern, obwohl der sich zunächst noch vor dem Krankenhaus, aber streng genommen nicht mehr auf dem Klinikgelände aufhielt? Am ZI möchte man sich weiterhin nicht öffentlich zum laufenden Verfahren äußern. Aus Gründen des Arbeitnehmerdatenschutzes mache man grundsätzlich auch keine Angaben zu Beschäftigungsverhältnissen, so ein Sprecher auf die Frage danach, ob der Arzt aktuell noch am ZI arbeite.

Lückenlose Videodokumentation

Der Arzt - und das ist längst bekannt - schaltete am 2. Mai 2022 Beamte der Polizeiwache H4 ein. Denn er hoffte, sie könnten ihm dabei helfen, seinen Patienten zurück ins ZI zu bringen, weil eine „akute Eigengefährdung“ gegeben sei.

Ante P. soll in Richtung Marktplatz gelaufen sein. Was dann geschah, ist nahezu lückenlos über Videoaufnahmen dokumentiert. Das Landeskriminalamt hat alle verfügbaren Aufzeichnungen in chronologischer Reihenfolge zusammengeschnitten, Videos, die Zeugen gefilmt haben, und Aufzeichnungen von Überwachungskameras.

Darauf soll zu sehen sein, wie Ante P. die Straße überquerte, ohne nach links und nach rechts zu schauen, wie er gepackt wurde und sich wieder entwand. Wie er die Arme hochriss und einer der beiden Beamten sein Pfefferspray zückte. Dann sollen Schläge zu sehen sein, Blut, die blutende Nase von Ante P. Ein Polizist, der auf seinem Rücken sitzt. Hilferufe. Eine letzte Bewegung.

Ante P. ist erstickt

Minuten vergingen. Dann soll jemand Ante P. auf den Rücken gedreht haben. Und der Arzt begann mit der Reanimation, weitere Polizisten trafen ein, und Rettungskräfte. Doch Ante P. starb.

Der 47-Jährige soll „an einer lage- und fixationsbedingten Atembehinderung mit konsekutiver Stoffwechselentgleisung in Kombination mit einem Ersticken durch eine Blutung in die oberen Atemwege verstorben sein“, gab die Staatsanwaltschaft im Spätsommer vergangenen Jahres bekannt. Das bedeutet: Ante P. lag zu lange auf dem Bauch, ohne sich mit den Händen abstützen zu können, weil sie auf seinem Rücken festgemacht waren. Er konnte nicht mehr richtig atmen und das Blut, das in seine Atemwege gelangt war, nicht abhusten. Ante P. erstickte.

Redaktion

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