Erinnerungskultur

Straßennamen in Rheinau-Süd: Endgültiges Ja zu Marco Polo & Co

Mit breiter Mehrheit hat der Gemeinderat der Stadt Mannheim die neuen Namen für vier Straßen im Ortsteil Rheinau-Süd beschlossen. Sie sind bislang nach drei Kolonialverbrechern und einem Hitler-Verehrer benannt

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Konstantin Groß
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Siedler-Demo im Stadthaus vor der Tür des Ratssaales: Günther Ries (l.) und seine Mitstreiter ermahnen den Gemeinderat, dem Bürgervotum zu folgen. © Steffen Mack

Mannheim. Einige Siedler aus Rheinau-Süd sind im Stadthaus angerückt. „Abstimmung akzeptieren = Demokratie respektieren“ lautet der Text auf einem Plakat, das sie den eintreffenden Gemeinderäten entgegen halten - um ja sicherzustellen, dass diese auch wirklich das Ergebnis der Bürgeranhörung vom März über die Neubenennung von vier Straßen in ihrem Quartier bestätigen. Der Demo hätte es nicht bedurft: Mit breiter Mehrheit beschließt das Gremium die von den Bürgern ausgewählten Namen. Und beendet damit eine vier Jahre währende, teils hitzige Diskussion.

Nochmals zum Ausgangspunkt: Warum wurde die jetzige Umbenennung notwendig?

Leutwein, Lüderitz und Nachtigal waren zentrale Repräsentanten der früheren deutschen Kolonialherrschaft in Afrika und damit auch von deren Verbrechen, also der Ausplünderung und der brutalen Unterdrückung der örtlichen Bevölkerung. Daher beschloss der Gemeinderat 2022 mit überwältigender Mehrheit - nur drei der 49 Mitglieder votierten dagegen - die Umbenennung.

Sven Hedin lebte weit später. Was ist ihm anzulasten?

Der Entdeckungsreisende war fanatischer Bewunderer Hitlers. Nach dessen Tode und damit noch nach dem Holocaust rühmte er ihn „als einen der größten Menschen, den die Weltgeschichte besessen hat“. Auch sein Name wird daher entfernt.

Wie wurden die künftigen Namen ausgewählt?

Zunächst konnten 2022 alle Mannheimerinnen und Mannheimer Vorschläge für neue Namen einreichen. Dabei kamen insgesamt 235 zusammen. Diese wurden vom Marchivum überprüft, also ob die Personen politisch vorbelastet sind und ob sie in den Taufbezirk „Forschende und Repräsentanten des transkulturellen Dialogs“ passen. Übrig blieben 18, die im März zu einer stadtweiten Abstimmung gestellt wurden.

Kommentar Neue Straßennamen in Rheinau-Süd doch ein Erfolg

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Konstantin Groß
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Was war das Ergebnis dieser Abstimmung?

Auf die ersten vier Plätze kamen Marco Polo, Ida Pfeiffer, Georg Balthasar Neumayer und Isabelle Eberhardt - und dies mit deutlichem Abstand vor den Nächstplatzierten und dies - ganz wichtig - sowohl im Ortsteil Rheinau-Süd als auch stadtweit.

Wie war die Reaktion der Akteure darauf?

Die Siedlergemeinschaft zeigte sich zufrieden, denn die vier siegreichen Namen hatten ihre Mitglieder in die Diskussion eingebracht. Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte, der sieben andere Namen vorgeschlagen hatte, zeigte sich enttäuscht. Sein Ziel war es, mit der Neubenennung ein klares Zeichen gegen Kolonialismus und Rassismus zu setzen; dieses werde nun nicht erreicht. Der Vorschlag Neumayer konterkariere dieses Ziel sogar.

Welche konkreten Einwände gibt es gegen Neumayer?

Er war Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft, damit ein Unterstützer der imperialistischen deutschen Kolonialpolitik. Als Geograf nahm er 1860 an einer britischen Expedition in Australien teil, wo die britische Kolonialpolitik bekanntlich zur Vertreibung, Entrechtung und teilweisen Auslöschung der Aborigines führte. Neumayer hat damit, wie Oberbürgermeister Specht einräumte, „sicher einen kolonialen Kontext“; konkrete persönliche Verfehlungen seien nicht nachweisbar.

Und die anderen Namen - sind die problemfrei?

Teils teils. Das Schlimmste, das über Marco Polo herauskommen könnte, wäre, dass er ein Märchenerzähler war. Ida Pfeiffer und Isabelle Eberhardt sind Schriftstellerinnen, die im Geiste ihrer Zeit die indigene Bevölkerung als exotische Erscheinungen romantisieren, sie damit jedoch auch nicht in ihrer kulturellen Würde wahrnehmen und darstellen. Pfeiffer schreibt von „Wilden“, Eberhardt steht in enger persönlicher Nähe zu Repräsentanten der französischen Kolonialarmee. Doch auch bei ihnen gibt es keine Beweise für konkrete persönliche Verfehlungen.

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Wie war die Reaktion der Politik auf das Abstimmungsergebnis?

Der Bezirksbeirat stimmte einstimmig zu, unter Hinweis auf dieses Votum und die Bürgerbefragung nun auch der Gemeinderat mit großer Mehrheit. Nach Angaben der Stadt votierte nur die AfD dagegen. Die LI.PAR.Tie hatte im Vorfeld Einwände gegen Neumayer geltend gemacht. Man wisse nicht, was über ihn in Zukunft noch heraus komme. Man dürfe nicht den gleichen Fehler machen wie 1985, als eine Straße nach Sven Hedin benannt wurde, die nun umbenannt werden muss. Doch die LI.PAR.Tie blieb mit ihren Bedenken alleine.

Ist das Ergebnis des Beschlusses also nun allgemein akzeptiert?

Im Vorfeldsollen Freiberufler vor allem aus der Lüderitzstraße angedeutet haben, gegen den Gemeinderatsbeschluss klagen zu wollen.

Wie sind die Aussichten einer solchen Klage?

Solche Klagen „sind meistens erfolglos“, so die große Rechtsschutzversicherung Advocard: „Die persönliche Bindung der Anwohner zum alten Straßennamen, entstehende Kosten (. . .) sind keine Hinderungsgründe“ für Umbenennungen. Klagen dagegen will die Siedlergemeinschaft denn auch nicht unterstützen.

Welche der vier Straßen erhält nun welchen neuen Namen?

Bezirksbeirat und Gemeinderat folgten dem Vorschlag der Siedler: Die Straßen mit den meisten Anwohnern erhalten die Namen mit den meisten Stimmen. So werden die Nachtigal- zur Marco-Polo-Straße, die Leutwein- zur Ida-Pfeiffer-Straße und die Lüderitz- zur Neumayerstraße, in diesem Fall also ohne die Vornamen Georg Balthasar, da der Straßenname sonst zu lang wäre. Der Sven-Hedin-Weg heißt künftig Isabelle-Eberhardt-Straße.

Wann wird die Umbenennung der Straßen rechtlich gültig?

Im Gemeinderatsbeschluss heißt es dazu, der Zeitpunkt dafür solle „mindestens drei Monate nach der Rechtskraft des Beschlusses liegen.“ Und diese tritt „einen Monat nach der öffentlichen Bekanntmachung ein“ - jedoch nur, sofern es keine Klagen dagegen gibt. Diese haben also eine aufschiebende Wirkung.

Wie viele Menschen sind von der Umbenennung betroffen?

In den vier betreffenden Straßen leben ungefähr 800 Menschen über 18 Jahren. Etwa die Hälfte (400) in der Nachtigalstraße, 250 in der Leutwein- und 50 in der Lüderitzstraße sowie 100 im Sven-Heding-Weg.

Anwohner haben ja Kosten durch die Umbenennung. Wer trägt die?

Die Stadt Mannheim übernimmt sämtliche Gebühren, die in ihren Bereich fallen (Pass, Ausweis, Kfz-Zulassung etc.). Auch Änderungen im Grundbuch und beim Finanzamt erfolgen kostenlos und automatisch. Private Kosten etwa für neue Visitenkarten werden nicht erstattet.

Und bei Gewerbetreibenden, die höhere Kosten durch Änderung von Flyern oder Aufdrucken an Firmenfahrzeugen haben?

Laut Rechtslage gibt es dafür keinerlei Anspruch auf Kostenerstattung. Nach Anträgen mehrerer Fraktionen schlägt die Verwaltung eine Zahlung von 500 Euro vor. ML-Fraktionschef Holger Schmid kritisierte diese Summe als „Witz“. Entscheiden wird erst der neue Gemeinderat am 23. Juli.

Wie hoch sind die Gesamtkosten des Projektes Umbenennung?

Nach Angaben von OB Specht sind bislang 27 000 Euro aufgelaufen, davon nur 1500 für das wissenschaftliche Gutachten, aber 19 000 für die Hinweistafeln an den Straßenschildern. Hinzukommen werden noch 6000 Euro für die neuen Straßenschilder und 20 000 Euro als Kostenerstattung für Anlieger. Am Ende insgesamt also etwa 53 000 Euro.

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