Mannheim. Es blitzt, es donnert, die Bühne des Nationaltheaters scheint ein bisschen zu beben, dann wird das glänzend rote Tuch von jener rollbaren Glasscheibe gezogen, die zum Schutz vor Corona-Infektionen bei Theaterproben üblich geworden ist. Dahinter steht er dann, mit einer riesigen Spritze im Arm: der Neckarauer Hausarzt Marcus Fähnle, das neue Bloomaul!
Nein, er ist nicht das „Phantom der Oper“, wie das Verleihungskomitee aus Markus Haass, Bert Siegelmann und Achim Weizel zunächst wegen der geheimnisvollen Geräusche vermutet. Das Trio ist aber auch nicht unter die Schweinezüchter gegangen. Obwohl man das vermuten könnte: Haas reitet auf einem mehr als lebensgroßen rosa Kunststoffschweinchen herein, Siegelmann läuft wie ein treusorgender Hirte voraus, und Weizel wird im Sessel hinterhergezogen – was für ein witzig-origineller Auftritt, Potzdonnerwetter Paraplui!
„Potzdonnerwetter Paraplui“ – so hat mit genau dieser Requisite kurz zuvor Marcel Brunner das Couplet des Schweinezüchters Zsupán aus dem „Zigeunerbaron“ gesungen und bekannt, dass Borstenvieh und Schweinespeck stets sein idealer Lebenszweck seien. Der Abend bringt ein Wiedersehen und Wiederhören mit ganz vielen solcher beliebten, viel zu selten gespielten Operettenmelodien. „Festliche Operrettengala“ heißt das vom Bloomaul 2020, Bariton Joachim Goltz, konzipierte und moderierte Programm, bei dem das Publikum in herrlicher Operettenseligkeit locker-leichter Melodien schwelgt und das hoffentlich noch oft im Spielplan zu finden ist.
Ludwigshafen eingemeinden?
Doch nun bietet er zunächst einen wunderbar passenden Rahmen für die Verleihung des Bloomaulordens. Es ist der 52., denn „der 51. fällt aus“, wie Siegelmann klarstellt, dass eine Ehrung für 2021 wegen der Corona-Pandemie einfach ausbleibt. Schon Ende 2020 ist Fähnle vom Auswahlkomitee offiziell nominiert und wegen der verzögerten Verleihung als „Bloomaul elect“, als gewähltes Bloomaul also, bezeichnet worden – eine Idee von Kai von Schilling, dem Sohn des 2007 verstorbenen Ordensstifters. Jetzt sei es aber, so Siegelmann, „höchste Zeit, ihm die Bronzefigur zu überreichen – bei der, wegen der Generalsanierung – auf absehbare Zeit letzten derartigen Veranstaltung am Goetheplatz. Sollte das Nationaltheater sie in den Pfalzbau verlegen wollen, so regt Siegelmann unter dem amüsierten Beifall des Publikums an, könne Mannheim Ludwigshafen ja gleich eingemeinden – ihr Rathaus wolle die Chemiestadt ja ohnehin aufgeben.
Als Schiffsarzt in Sturm und hohen Wellen erprobt, als Hausarzt immer für seine Patienten da, ehrenamtlich für psychisch kranke Menschen engagiert – ausführlich begründet Siegelmann die Ehrung von Fähnle, lobt „Humor, Optimismus und zupackende Art“ und bekräftigt „Er passt in diese Zeit!“ Was noch viel mehr passt, das ist die Laudatio von Joachim Goltz als dem Vorjahres-Ordensträger. Er erzählt zunächst, wie er sich zur Vorbereitung mit ihm zum Essen traf – und merkte, dass Fähnle ständig gegrüßt wird: „Ich hatte das Gefühl, ich war g‘rad mit em Monnemer Superstar esse“.
Bewusster Moment des Innehaltens
Helen Heberer hat sich für den Abend bewusst für ein gelbes Jacket mit einem blauen Halstuch entschieden – die Nationalfarben der Ukraine. „Und wir tragen die Ukraine alle am Herzen“, betont Joana und hält ihren Bloomaulorden hoch. Denn die Blumepeterfigur aus Bronze hängt, seit es den Orden gibt, an einem blau-gelben Band – ein Zufall, an diesem Abend aber sehr willkommene, gewollte Symbolik.
Wenn es eine Fasnachtsveranstaltung wäre, dann hätte das Verleihungskomitee die Übergabe des Bloomaulordens wegen des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine abgesagt, stellt Bert Siegelmann auch im Namen der beiden anderen Komiteemitglieder Markus Haass und Achim Weizel klar. Doch auch wenn der langjährige „MM“-Herausgeber Rainer von Schilling den Orden 1970 einst in seiner Rolle als Fasnachtsprinz stiftete – mit Fasnacht hat diese Ehrung, die inzwischen als die wichtigste bürgerschaftliche Auszeichnung Manheims gilt, längst nichts mehr zu tun.
„In Angst um ihre Liebsten“
„Es ist kein Fasnachtsorden“, stellt auch Opernintendant Albrecht Puhlmann in seiner Begrüßung klar. Er heißt den Ersten Bürgermeister Christian Specht, Kai von Schilling, den Sohn des Ordensstifters, sowie Stadtprinzessin Daniela II. willkommen, dazu „die Bloomäulerinnen und Bloomäuler“ sowie den neuen Ordensträger. Mit ihm habe das Komitee „die richtige Wahl getroffen“, bezieht Puhlmann sich auf die Berichte über ihn.
Doch vor der Verleihung bittet er trotz des schönen, heiteren Anlasses sehr emotional um einen „Moment des Innehaltens“, weil viele wegen des Krieges in der Ukraine „die Traurigkeit überfällt“. Puhlmann ruft auf zu „Solidarität und Mitgefühl für die Menschen und für eine Nation, die aufs Äußerste bedroht ist“. Er tue dies auch im Namen der aus der Ukraine stammenden Künstler unter den Solisten, im Chor und im Orchester, „die ihrer Kunst nachgehen – in größter Angst um ihre Liebsten und Angehörigen“. Alle würden aber in diesem Moment des Epochenbruchs ihr Bestes geben, um eine würdevolle Verleihung zu gestalten und den Zuschauern Spaß und Freude zu bescheren, aber damit zugleich ein Zeichen zu setzen „für eine Gesellschaft, die es zu verteidigen gilt“, so der Opernintendant.
Beliebt und bescheiden
Dann beweist Goltz, warum er als ein sympathischer Superstar des Nationaltheater-Ensembles gilt – und als sehr humorvoll dazu. Schließlich beschreibt Goltz Fähnle nicht allein als guten, beliebten, bescheidenen und sozial engagierten Arzt, sondern hebt seinen „unglaublichen Charme“ und sein gutes Aussehen hervor. Und dann kommt es – ein Lied, von Goltz eigens mit Wolfram Koloseus und dem Nationaltheater- Orchester einstudiert: „Was kann der Marcus denn dafür, dass er so schön ist, was kann der Marcus denn dafür, dass man ihn liebt“ zur Melodie von „Was kann der Sigismund dafür . . .“ aus dem „Weißen Rößl“.
Unter den Masken stimmt das Publikum mit ein, und schon singt ein ganzer Chor „Was kann der Marcus denn dafür . . .“. Wobei Goltz natürlich noch eine Strophe anfügt, in der er die Schönheit seiner Frau Michaela Fähnle sowie der beiden Töchter Annika und Luisa rühmt.
Das lässt sich schwer übertreffen, aber Marcus Fähnle schafft es. „Ich bin überwältigt, sprachlos und unheimlich stolz“, bekennt das neue Bloomaul: „Es ist mir eine Ehre!“ Als kleiner Bub sei er mit dem Blumepeterfest, dem Blumepeter und den ihn angedichteten Witzen aufgewachsen, dabei sei das Mannheimer Original ein armer, kranker Mann gewesen, dessen Leiden man „mit einer billigen Schilddrüsentablette“ hätte lindern können, so der Mediziner.
Ein kleiner Seitenhieb auf die Stadt folgt – weil an der Garage, in der Carl Benz das Auto erfunden habe, nur eine „mittelgroße“ Erinnerungstafel hänge. Das ist Teil von einem kleinen Stakkato an Mannheimer Geschichte und Mannemer Dialekt, ein vehementes Plädoyer für den Erhalt von kurpfälzer Kulturgut und Lebensgefühl, vorgetragen mit ganz viel Herz und ebenso viel Leidenschaft. Eine echt starke Rede, eines Bloomauls absolut würdig.
Doch Fähnle merkt bescheiden an, dass er die Auszeichnung zwar enorm schätzt („Das schlägt in Mannem alles!“), dass er sie aber nur stellvertretend annehme „für alle Bloomäuler, die in der Stadt herumlaufen“.
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