Mannheim. Reiben, reiben, noch mal reiben, nur nicht nachlassen. Es dauert und kann anstrengend sein, bis die Funken sprühen – nur ist es hier ersatzweise ein rotes Licht, das angeht. Es stellt das steinzeitliche Feuer dar bei der ersten Mitmachstation des Ausstellungsteils „Zeitreise“ im Museum Zeughaus.
Das Feuer hat eine große Bedeutung. Seit 800 000 Jahren beherrschen Menschen die Flammen, nutzen sie zur Zubereitung von Nahrung. „Mit dem gezielten Einsatz von Feuer beginnt die Kochgeschichte, beginnt das Miteinander“, sagt Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen (REM). Diese Kochgeschichte stellt die Ausstellung dar.
Sie ist schon lange seine Idee gewesen. Vor allem mit seiner Frau Gaëlle Rosendahl, Steinzeit-Expertin und bereits vor ihm als Forscherin an den REM tätig, und Giulia Worf, Sarah-Nelly Friedland, Philip Gros sowie einem großen Team hat er sie umgesetzt. „Alle Kollegen haben mitgemacht, Objekte und Ideen eingebracht“, hebt Gaëlle Rosendahl hervor. Solch eine Zusammenarbeit des ganzen Museumsteams gibt es erstmals, erstmals auch eine Ausstellung zu einem Thema in mehreren Häusern. Der Aufwand hat sich gelohnt: Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn so wird das Menschheitsthema Essen & Trinken aus sehr verschiedenen, teils überraschenden, ungewöhnlichen und witzigen Blickwinkeln beleuchtet.
Das älteste Kaugummi stammt aus Birkenpech
Steinzeit, Römer, Mittelalter, Barock, Jahrhundertwende und heute – diese Zeiträume werden thematisiert. „Wir wurden, was wir essen“, fasst Wilfried Rosendahl die Entwicklung zusammen. Je mehr Essen nicht nur dem Systemerhalt, also dem Sattwerden, diente, umso mehr wurde es zur Esskultur. Wie lange das gedauert hat, zeigen am Eingang sechs verschiedene Schädel und der Blick auf die Kauwerkzeuge, der älteste sieben Millionen Jahre alt.
Generell sei der Mensch Allesesser, „aber wir haben nicht zu allen Zeiten Pflanzen und Fleisch zu uns genommen“, weiß der Generaldirektor. In der Steinzeit steht unter anderem Rentier oft auf dem Speiseplan. Neben der Kochstelle mit dem Feuer sind Jagdgeräte zu sehen, und schon damals haben die Menschen – auch wenn sie das Wort nicht kannten – auf Nachhaltigkeit Wert gelegt: Ob Knochen für Pfeilspitzen, ob die Sehnen, die Felle, wirklich alles an dem Tier ist verwertet worden. In anderen Breitengraden kann man das auch für die Kokospalme und Kokosnüsse belegen, wie etwa eine historische „Hairassel“ aus der ethnologischen Sammlung belegt. Mit der wurden die Fische angelockt, um sie dann jagen zu können.
Verkohlte Getreidekörner, Äpfel und Nüsse, archäologische Funde aus der Gegend der Pfahlbauten von 5700 bis 3500 vor Christus zählen ebenso zu den beeindruckenden Exponaten wie das älteste Kaugummi von etwa 3900 vor Christus. Man sieht die Zahnabdrücke darauf. „Der diente wohl eher der Zahnpflege als dem Geschmack, ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass er geschmeckt hat“, sagt Gaëlle Rosendahl. Hergestellt wurde er nämlich aus Birkenpech, aufwendig destilliert aus Birkenrinde.
Sehr viel schmackhafter ist da schon das, das die Römer in unsere Breiten bringen. „Ohne Römer keinen Wein, ohne Römer keinen Spargel“, betont Wilfried Rosendahl. Allerdings werden seinerzeit ebenso gebratene Flamingozungen und Sumpfschildkröten aufgetischt. Aber schon im alten Rom kennt man Garküchen auf den Straßen, Essen „to go“ ist also keine neue Erfindung, sondern zieht sich vom „Henkelmann“ bis zum Mehrwegkaffeebecher durch die Jahrhunderte. Denn auch wenn wir uns gerade im Ausstellungsabschnitt „Römer“ befinden, so geht der Blick doch immer wieder über Epochen hinweg.
Im Mittelalter beginnen religiöse Essvorschriften wichtig zu werden. Freitags kein Fleisch – nun ja, Maultaschen und Biber, die plötzlich als Fisch eingestuft werden, zeigen, wie sie auch umgangen werden. Und Gummibärchen mit Aufdruck „halal“, welche Bedeutung das Thema teils noch heute hat. Auch die zählen zu den 300 Exponaten.
„Im Barock beginn die Teilung der Gesellschaft“, verdeutlicht Wilfried Rosendahl am Beispiel einer gedeckten Tafel. Da der karg gedeckte Holztisch, nebenan die prächtige Tafel mit Porzellan und Silber, mit feinen Pasteten und Sorbet. Die haben ihren Grund. „Die Reichen haben viel Zucker gegessen, aber die Zahnhygiene hat nicht funktioniert“, so der Ausstellungsmacher. Was auch das älteste Gebiss belegt: Es kommt aus der Region, ist aus Frankenthaler Porzellan. Nicht weit weg davon liegt der älteste Mais, aus dem 18. Jahrhundert stammend und in Ladenburg von Mannheimer Archäologen ausgegraben, in einer Vitrine. Er war einst nur Hühnerfutter.
Insekten zu essen, das ist dagegen kein neuer Trend. Rosendahl hat einen Teller Maikäfersuppe arrangiert. „Das Protein der armen Leute, Fleisch war zu teuer“, sagt er. Dass er „Grillen Streichwurst Pfälzer Art“, als „nachhaltige Leberwurst-Alternative“ angepriesen, im Handel entdeckt hat, überraschte den Ausstellungsmacher aber doch – und gerne platzierte er sie neben dem historischen Suppenteller.
Es sind solche Brückenschläge von der Vergangenheit in die Gegenwart, das Herstellen größerer Zusammenhänge, welche neben teils kostbaren, teils kuriosen Exponaten die Ausstellung so informativ wie unterhaltsam machen. Man entdeckt auch allerlei Lebensmittel, die man kennt – den Zuckerhut von Südzucker etwa, Erbswurst und Schokolade mit Sarotti-Mohr, sieht in Mannheim hergestelltes Bananenmehl und erfährt, dass Palmin 1866 in Mannheim entwickelt wurde und daher nicht ohne Grund die Wolfsangel aus dem Mannheimer Wappen auf seiner Packung hat.
Essen wir künftig Insekten und Kekse aus dem 3-Drucker?
Milchprodukte haben die Menschen nicht immer vertragen, das hat sich entwickelt. Passend dazu dürfen Besucher eine Holzkuh melken. Acht verschiedene Pizzen indes stehen für Globalisierung. „Man isst sie auf der ganzen Welt, aber in jeder Region ist der Belag anders“, so der Generaldirektor. Eine historische Zuckerrohrpresse aus Thailand, im Depot der REM zufällig entdeckt und jetzt hier präsentiert, zieht sicher ebenso viele Blicke auf sich wie allerlei moderne Küchengeräte, von der Pizzaschere über Kastanienschneider bis zur Hummerzange.
Doch die Museumsmacher blicken nicht nur zurück, sondern voraus: Wovon ernähren wir uns künftig? Wie sich Wasser als Lebensmittel Nummer eins weltweit schützen und aufbereiten lässt, demonstriert die Schriesheimer Firma BWT Wassertechnik. Zur Zukunft gehört ebenso, dass die Badische Peptide & Proteine GmbH, ein Start-up Unternehmen aus Mannheim, biotechnologisch an neuer Nahrung forscht. Oder die Universität Hohenheim mit ihren per 3-D-Druck hergestellten Keksen mit REM-Logo. Ob die schmecken, bleibt aber offen – sie liegen in einer Vitrine. Aber der ganze Ausblick ist so faszinierend wie der Blick zurück.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-so-laeuft-die-kulinarische-zeitreise-in-den-reiss-engelhorn-museen-_arid,2251380.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html