Mannheim hat gewählt - jedoch nur einen neuen Oberbürgermeister. Der hat zwar als oberster Chef der Stadtverwaltung eine starke Stellung. Im Gemeinderat ist er kraft Amtes ebenfalls Mitglied, aber nur eines von (ihn mitgerechnet) 49. Und das Gremium muss allem zustimmen, was über formale Verwaltungsakte hinausgeht. Wie sich die Wahl des Christdemokraten Christian Specht vom Sonntag da auswirken dürfte, dazu hier sechs Thesen.
These 1: Spechts Wahlerfolg beflügelt das bürgerliche Lager, aber das muss nicht dauerhaft sein
CDU, Mannheimer Liste (ML) und FDP sind mit Recht stolz auf ihre große, seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene Geschlossenheit, mit der sie Specht unterstützt haben. Gleichwohl bleiben sie im Gemeinderat mit zusammen 16 Sitzen - nur einem Drittel - klar in der Minderheit. Ob es bei der Kommunalwahl im Juni nächsten Jahres (der genaue Termin steht noch nicht fest) wieder eine bürgerlich-konservative Mehrheit geben wird, steht in den Sternen. Spechts Erfolg dürfte vor allem seiner Bekanntheit, Bodenständigkeit und Beliebtheit zu verdanken sein. So konnte er etwa auf dem Waldhof und auf der Schönau selbst in traditionell der SPD zugeneigten Milieus stark punkten. In elf Monaten wird sein Name nicht mehr auf den Stimmzetteln stehen, und die OB-Wahl ist Geschichte. Daher müssen sich seine Unterstützer nicht nur um attraktive Kandidaten, sondern auch um ausreichend eigenes Profil bemühen. Die FDP etwa unterscheidet sich ja vor allem in gesellschafts- und ordnungspolitischen Positionen weitaus mehr von CDU und ML, als zuletzt zu bemerken. Sehr wahrscheinlich gehen die nun wieder nötigen Abgrenzungen voneinander zulasten der Geschlossenheit.
These 2: Die linke Mehrheit existiert nur noch auf dem Papier
SPD, Grüne und LI.PAR.Tie haben mit zusammen 28 Sitzen zwar formal weiter eine klare Mehrheit. Doch die zu nutzen, dürfte auf absehbare Zeit schwer möglich sein. Zu groß sind gegenseitige Enttäuschungen und Vorwürfe. Zumal Sozialdemokrat Thorsten Riehle am Ende nur 1,2 Prozentpunkte hinter Specht lag. Da lässt sich ausmalen, was mit früherer und besserer Unterstützung im linken Lager möglich gewesen wäre. Vor allem, weil weder Grünen-Kandidat Raymond Fojkar noch Linken-Bewerberin Isabell Belser oder deren Kreisverband bereit waren, nach dem Verzicht auf den zweiten Durchgang zur Wahl Riehles aufzurufen. Was letztlich natürlich auch auf den Kandidaten selbst zurückfällt. Unterm Strich dürften SPD, LI.PAR.Tie und vor allem die chronisch zerstrittene Grünen-Fraktion noch lange mit sich selbst beschäftigt sein. Und wenn sie wieder auf die Beine kommen, müssen sie sich mit aller Energie für die Kommunalwahl aufstellen.
These 3: Specht muss sich jeweils neu um lagerübergreifende Mehrheiten bemühen
Dass es keine bürgerliche Mehrheit gibt und die linke kaum handlungsfähig ist, bedeutet für Specht Risiko und Chance zugleich. Aus eigener Kraft kann er so gut wie nichts im Gemeinderat durchbringen, sondern muss sich frühzeitig um lagerübergreifende Mehrheiten bemühen. Vom Naturell her liegt ihm das durchaus. Anders als vom Gegner im Wahlkampf behauptet, ist er kein Spalter. Schon am Sonntagabend dankte er im Moment des Triumphs noch vor seinen Unterstützern Riehle für das faire Miteinander. Allerdings gibt es auch Beobachter, die ihm ein gewisses Faible fürs Zaudern nachsagen. Da dürften völlig unklare Mehrheitsverhältnisse seine Neigung, hochumstrittene Projekte anzugehen, sicher nicht verstärken.
These 4: Auf das Stadtoberhaupt kommen auch noch einige Herausforderungen zu, über die zuletzt kaum gesprochen wurde
Vor Specht liegen auch so schon gewaltige Aufgaben. Darauf machte er selbst bei seiner Wahlparty im kleinen Kreis gleich aufmerksam, um Glückwünsche zu relativieren. So wurde etwa die fürs Klinikum angestrebte Verbundlösung im Wahlkampf nicht näher thematisiert, weil ihr Nutzen unstrittig ist. Aber die Ausgestaltung, über die seit Wochen mit dem Land verhandelt wird, könnte kritisch werden. Da geht es nicht nur um die Frage, wie viel Geld die Stadt noch für das Krankenhaus geben muss, sondern auch um ihren künftigen Einfluss. Nicht, dass die Synergieeffekte im Mutter/Tochter-Modell mit der Heidelberger Uniklinik einseitig zulasten Mannheims gehen. Und die Nationaltheater-Sanierung ist zwar, ebenfalls unstrittig, eingeleitet. Doch der drohende Kostenanstieg dürfte dem langjährigen Kämmerer Specht den Schweiß auf die Stirn treiben. Gut möglich, dass da andere Themen - etwa das Waldhof-Stadion - für ihn erstmal keine Priorität haben.
These 5: Die Kommunalwahl 2024 dürfte stärker von der politischen Großwetterlage abhängen
Die gute Nachricht: Bei der Kommunalwahl wird die Wahlbeteiligung aller Voraussicht nach wieder deutlich höher sein. Aber nur, weil sie eigens aus diesem Grund gleichzeitig mit der Europawahl stattfindet. Das bedeutet dann aber auch, dass die politische Großwetterlage in Brüssel und vor allem Berlin wieder eine größere Rolle spielen dürfte. Wer davon wohl in zehn Monaten profitieren könnte, ist Spekulation. Stand jetzt wäre es womöglich die AfD. Obwohl die bei der OB-Wahl ja überhaupt nicht in Erscheinung getreten ist.
These 6: Einzelnen Fraktionen könnte ein Zerfall drohen
Gut möglich auch, dass im Gemeinderat die Zahl der Fraktionen noch schrumpft. AfD, FDP und LI.PAR.Tie verdanken diesen Status nur dem Umstand, dass ihnen auch ein Parteiloser beziehungsweise Vertreter von Splitterparteien angehören. Solche Allianzen vor der Kommunalwahl zur Profilschärfung aufzukündigen, war schon in der Vergangenheit für manchen verlockend.
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