Der große, hölzerne Schockelgaul der Kleppergarde auf einem Wagen – es gibt ihn noch heute, wenn auch in modernerer Version. In einem Film von 1957 ist er die erste Sequenz vieler Aufnahmen des damaligen Fasnachtszuges und eines Balles im Rosengarten. Sie gehören zu den bedrohten Filmschätzen des Stadtarchivs, die wir jeden Donnerstag an dieser Stelle vorstellen.
Fasnacht ist spät im Jahr 1957, erst Anfang März. Die Stadt feiert ihr 350-jähriges Bestehen. Bei „strahlendem Sonnenschein“, so vermerkt es der „Mannheimer Morgen“ damals, „säumen 350 000 Besucher schunkelnd die Straßen, in glänzender Laune“. Der Zug zähle „zu den besten, die sich je durch die Innenstadt wälzten“: „Die Arbeit der „emsigen Karnevalskommisions-Mitglieder entpuppte sich als karnevalistische März-Bombe“. Der Zug habe „begeisterte Zurufe“ geerntet, „denn man sah Einfälle, die mit verblüffender Treffsicherheit das Schwarze unter dem Nagel zu treffen in der Lage waren“, so der Chronist.
Tatsächlich gibt es noch üppige Motivwagen, zum Theaterneubau oder zur Suezkanalkrise mit einem Seitenhieb auf die in Mannheim auch „Suezkanal“ genannte Tunnelstraße. Ein überdimensionaler Nachttopf, den man in Mannheim umgangssprachlich „Haffe“ nennt, spielt auf die Pläne an, den Hafen zu erweitern – damals ein großer Streitpunkt zwischen Stadt und Land. „Es ist eine der liebenswertesten Eigenschaften der Mannheimer, dass sie sich selbst verspotten können“, kommentiert der Sprecher in dem Film die Aufnahmen von dem großen „Haffe“ mit Stadtflagge.
An Fasnacht „verzeiht man sogar, wenn jemand auf einem hohen Ross sitzt“, meint der Sprecher zu den Aufnahmen der „Kleppergarde“ und ihres Erkennungszeichens, des Holzpferds. Die Kleppergarde wurde 1899 ins Leben gerufen mit Kindern aus Waisenhäusern, denen man einen schönen Tag machen wollte und sie deshalb in bunte Fransenkostüme steckte. Dazu stellte damals ein Bauer ein altes, abgemagertes Pferd zum Mitlaufen zur Verfügung – umgangssprachlich ein „alter Klepper“. So war der Name Kleppergarde geboren. Heute wird die Tradition fortgeführt durch die Karnevalskommission mit Kindern der Neckarschule sowie weiteren Mädchen und Jungen, die sich einreihen – und ihr überdimensionaler Gaul aus Holz fährt auf einem Wagen mit.
Inzwischen fährt das Prinzenpaar auch auf einem gemeinsamen Wagen. Die Aufnahmen von 1957 zeigen nur Prinz Gustl I. von Fisconien, wie er alleine in einer überdimensionalen Blüte steht und Bonbons in die Menge wirft. Gustav Weinkötz war bei der Friedrichsfelder Firma Schoeps, die Kunststoffe – besonders Schläuche – für die Automobilindustrie herstellte und unter dem Namen „Fisco“ vertrieb. An den 1959 verstorbenen Firmeninhaber Fred-Joachim Schoeps, dessen Vermögen in eine Stiftung eingebracht wurde, erinnert heute noch ein Straßenname. Das einstige Firmengelände nutzt ein amerikanischer Automobilzulieferer, der unter anderem auch Kraftstoff- und Bremsleitungen herstellt.
Tanzen und Küssen
Damals wie in diesem Jahr regiert an der Seite des Stadtprinzen eine Prinzessin der „Grokageli“ Lindenhof – es ist Christa I. von Architektonien (Christa Korwan). Sie nutzt aber einen eigenen Wagen und ist in dem kurzen Filmausschnitt gar nicht zu sehen.
Dafür sieht man den prächtig geschmückten Musensaal, wo beim Ball „Bühne – Presse – Feuerio“ kräftig getanzt wird. „Dem Vernehmen nach sollen sich hier nicht nur die Musen küssen, aber warum auch nicht?“, so der Sprecher in dem Film. Doch seit dem Beginn der 1990er Jahre wird an Fasnacht im Musensaal gar nicht mehr geküsst und getanzt, denn die Bälle gibt es nicht mehr. Der Ausfall der Fasnacht durch den Golfkrieg 1991 war ein zu tiefer Einschnitt.
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