Welche Dinge haben Sie in der Zeit im Gemeinderat am meisten geprägt?
Katharina Funck: Wenn ich an meine Zeit im Gemeinderat zurückdenke, wird mir klar, wie vielschichtig und herausfordernd die Themen waren, mit denen wir uns auseinandersetzen mussten. Man macht sich vorher nicht bewusst, wie viele Lebensbereiche berührt werden und wie viele Perspektiven man dabei einnimmt.
Können Sie das genauer beschreiben?
Funck: Die letzten fünf Jahre waren besonders intensiv. Wir haben uns mit der Corona-Pandemie beschäftigt, die Ukraine-Krise erlebten wir hautnah, und die anhaltenden Migrationsbewegungen haben uns herausgefordert. Diese Vielfalt an Themen hat nicht nur meinen Horizont erweitert, sondern auch die Art und Weise, wie ich die Gesellschaft und ihre Probleme wahrnehme. Es war extrem abwechslungsreich und spannend, Teil dieser Entwicklungen zu sein.
Helen Heberer: Ja, es gab viele schwierige Entscheidungen, sei es bei hohen Finanzausgaben oder strategischen Fragen, die erhebliche Auswirkungen auf die Gemeinde hatten. Ob Klinikum oder MVV: Oft habe ich nachts über die Entscheidungen nachgegrübelt und abgewogen, was die beste Lösung ist.
Stefanie Heß: Da stimme ich zu. Ich war Fraktionsvorsitzende und musste zu all den herausfordernden Themen noch mit vielen personellen Wechseln umgehen. Neben all den eingangs genannten Krisen der letzten Jahre: Es gibt auch weiter Herausforderungen, die auf die Stadt zukommen werden. Ich wünsche mir, dass der Gemeinderat in der Bevölkerung mehr Wertschätzung erfährt. Man hat manchmal das Gefühl, dass die Menschen denken: „Ach, die machen das schon irgendwie.“ Dabei ist es ein sehr komplexer und zeitintensiver Prozess, der viel Engagement erfordert!
Heberer: Ja, und die Dinge, die wir behandelt haben, haben oft einen direkten Einfluss auf die Menschen in unserer Stadt. Manchmal wird das gar nicht richtig wahrgenommen. Aber ich möchte betonen, dass die schönen Seiten dieser Arbeit auch sehr bereichernd sind. Man lernt großartige Menschen kennen und hat die Möglichkeit, mit ihnen konkrete Projekte zu entwickeln. Das hat mich wirklich erfüllt und mir Freude bereitet, diese Erfahrungen wirken noch lange in mir nach.
Funck: Ja, total.
Heß: Auf jeden Fall!
Warum haben Sie aufgehört?
Heberer: Nach 25 Jahren im Gemeinderat war es für mich eine bewusste Entscheidung, auszusteigen. In dieser Zeit gab es sowohl Höhen als auch Tiefen. Ich bin der Meinung, dass 25 Jahre eine gute Zeitspanne sind, um sich einzubringen, und jetzt ist es an der Zeit, neue Wege zu gehen. Ich bin 73 Jahre alt und möchte die Gelegenheit nutzen, um Dinge zu tun, für die ich oft keine Zeit hatte.
Funck: Es gibt bei der Arbeit im Gemeinderat keinen Tag, an dem man nicht mit dieser konfrontiert wird, auch wenn keine Sitzung ist. Ich habe zwei kleine Kinder und erwarte ein weiteres, man muss bereits jetzt abwägen, wo setze ich meine Prioritäten und was kann ich guten Gewissens machen. Das Amt ist eine Verpflichtung, eine Verantwortung, der will man gerecht werden. Ich musste entscheiden, worauf ich mich konzentriere in Zukunft.
Heß: Bei mir ist es ähnlich. In meiner Zeit im Gemeinderat kam auch unsere jüngste Tochter zur Welt. Es geht um Prioritäten, Das Amt, die eigentliche Berufstätigkeit und die Familie. Die Prioritäten setze ich aktuell wieder mehr auf die Familie.
Was könnte man besser machen oder wie diese Arbeit im Gemeinderat attraktiver?
Funck: Wenn ich mir unsere Sitzungsseiten anschaue und dort lese, dass ein Ausschuss von 16 bis 19 Uhr tagt, kann ich darüber nur schmunzeln. In der Realität wissen wir alle, dass das Ende oft ungewiss ist. Viele von uns haben dann noch private oder politische Termine, die wir einhalten müssen, was die Planung oft schwierig macht.
Heß: Ich fände es wirklich sinnvoll, wenn wir in den Gemeinderatssitzungen feste Redezeiten vereinbaren könnten. Das würde die Diskussionen straffen und effizienter gestalten. Oft haben wir die Erfahrung gemacht, dass viele Redner wiederholen, was schon gesagt wurde, was die Debatte unnötig in die Länge zieht.
Heberer: Genau, das ist ein Punkt, den man wirklich überdenken sollte. In den Landtagen gibt es klare Vorgaben, nach denen je nach Fraktionsgröße die Redezeiten geregelt sind. Diese Struktur sorgt für mehr Ordnung und hilft, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen. Wenn jemand die Regeln nicht beachtet, wird sogar die Rede unterbrochen und notfalls das Mikro abgeschaltet. Das könnten wir auch hier einführen. (zwinkert)
Heß: Und was ich auch wichtig finde, ist, dass die Diskussionen aus den Ausschüssen im Gemeinderat nicht wiederholt werden sollten. Wenn die Vorbereitungen gut laufen, sollte es ausreichen, dass jede Fraktion ihren Standpunkt darlegt, und dann können wir zur Abstimmung übergehen. Das wäre effizienter.
Wie könnte man noch effizienter werden?
Heß: Ich erinnere mich an eine Reise nach Kopenhagen, die ich zu Beginn meiner Zeit im Gemeinderat machen durfte. Dort hatten wir einen Austausch mit Frauen und Männern aus der Kommunalpolitik. Besonders beeindruckend war, dass die Sitzungen immer zu einer bestimmten Uhrzeit endeten. Dort wird der Zeit für Familie und Freizeit mehr Wert beigemessen, und die Menschen respektieren diesen auch im politischen Alltag. Man sieht, dass es möglich ist, eine Balance zwischen politischem Engagement, Beruf und Privatleben zu finden.
Funck: Das zeigt, dass es durchaus möglich ist, ohne dass die Kommunen darunter leiden, alles funktioniert dort. Man muss es nur machen. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen zeigen, dass wir auch ein ausgewogenes Leben führen können, ohne dass unsere Arbeit darunter leidet.
Was kann speziell für Frauen verbessert werden?
Funck: Um Kommunalpolitik für Frauen attraktiver zu gestalten, müssen wir auch Rückzugsräume während Sitzungen, wie etwa Stillräume, bieten. Aber auch familienfreundlichere Termine mit begrenzter Dauer, digitale Formate, keine zeitliche Kollision mit Zubettgehzeiten und so weiter. Solche Maßnahmen könnten eine echte Unterstützung bieten und es Frauen erleichtern, aktiv in der Politik zu sein. Es muss einfach mitgedacht werden, dass es Kommunalpolitiker mit Kindern und Babys gibt und man nicht immer fragen muss: „Wo kann ich wickeln, wo kann ich stillen?“ Und so weiter.
Heß: Solche Angebote sollten proaktiv von der Verwaltung bereitgestellt werden. Wie den Zuschuss für Babysitter, den es schon gibt. Aber es ist entscheidend, dass Menschen mit Kindern diese Unterstützung nicht erst beantragen müssen, sondern dass sie zum Standard wird. Wenn wir als Gesellschaft wollen, dass mehr Frauen in der Politik aktiv sind, müssen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Es wird etwa oft gesagt, dass Frauen dreimal so viel leisten müssen, um dasselbe Gehalt zu bekommen. Haben Sie in Ihrer politischen Karriere solche Erfahrungen gemacht?
Heberer: Auf jeden Fall. Ich habe gelernt, dass ich sehr gut vorbereitet sein muss, um Respekt zu gewinnen. Dabei ist es wichtig, für die Probleme auch Lösungsmöglichkeiten geprüft zu haben, nur über die Probleme zu reden, bringt keine praktikablen Ergebnisse. Auf diese Weise war es mir möglich meine Argumente gut zu vertreten. Man muss in diesen Momenten sachlich bleiben und inhaltlich kontern, aber auch auf andere Standpunkte zugehen können - alles andere bringt die Politik nicht voran.
Heß: Das ist ein wichtiger Punkt. Und liegt oft an der eigenen Disziplin der Frauen. Man braucht einen langen Atem, muss beharrlich bleiben und sollte nicht zu schnell auf Kompromisse eingehen.
Braucht man auch Verbündete?
Heß: Ja!
Funck: Auf jeden Fall! Ich persönlich habe in meiner politischen Laufbahn keine negativen Erfahrungen gemacht. Ich fühlte mich immer unterstützt, sowohl von meiner Partei als auch von meinen Kolleginnen und Kollegen. Es ist jedoch bemerkenswert, dass Männer oft anders netzwerken, was ihnen in vielen Fällen Vorteile verschafft. Es ist wichtig, sich in Netzwerken zu bewegen und Verbündete zu finden, unabhängig vom Geschlecht.
Heß: Ja, und ich denke, es ist auch wichtig, dass wir uns in Debatten nicht von lautstarken Redebeiträgen ablenken lassen. Manchmal wird der Fokus auf die wichtigen Themen verloren. Man muss darauf achten, dass die zentralen Punkte zur Sprache kommen und nicht in lautem Getöse untergehen...
Welche Vorteile haben Frauen hierbei?
Heß: Ich habe oft das Gefühl, dass wir Frauen anders zuhören. Dieses aktive Zuhören ermöglicht es uns, besser auf die Diskussionen einzugehen und dabei auch Missverständnisse aufzuklären. Das ist eine Stärke, die wir in die politischen Debatten einbringen können.
Haben Sie auch Ablehnung erfahren in all den Jahren?
Heberer: Natürlich, Politikerinnen und Politiker werden zuerst einmal ganz pauschal kritisch bewertet. Doch es ist wichtig, dass wir den direkten Kontakt zu den Menschen suchen. Beispiel Wahlkampfveranstaltung: Oft erleben wir, dass diese Ablehnung gegenüber der Politik schwindet, sobald ein persönliches Gespräch stattfindet. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir verstehen, was ihre Anliegen sind, und dass wir mit ihnen gemeinsam nach guten Lösungen suchen und auch dafür einstehen. Das ist ein demokratischer Prozess und da steigen die Leute auch mit ein.
Heß: Dennoch gibt es oft abwertende Kommentare oder respektlose Äußerungen auch im Netz, die nicht akzeptabel sind. Ich bin davon bislang nicht so betroffen gewesen. Es macht wütend, gerade wenn solche pauschalen Urteile über Politikerinnen und Politiker gefällt werden. Der Vorwurf, dass Politiker und Politikerinnen per se in einer privilegierten Situation seien und darum Entscheidungen treffen, die an der Lebensrealität der Menschen vor Ort vorbeigehen, halte ich für falsch - vor allem auf der Kommunalen Ebene. Politikerin sein ist erstmal kein Privileg, sondern harte Arbeit.
Heberer: Auch hier zeigt meine Erfahrung: Diese Art von Ablehnung ändert sich in der Regel, sobald der Kontakt persönlich wird und die Menschen sehen, was man tut.
Wie geht es nun für Sie drei weiter?
Funck: Auch wenn ich nicht mehr im Gemeinderat bin, bleibe ich politisch aktiv in der Partei, auch wenn es in einer anderen Form ist. Ich freue mich darauf, weiterhin mitzuwirken und meine Sichtweise einzubringen. Es ist für mich wichtig, auch weiterhin zu zeigen, dass ich ein politischer Mensch bin.
Heberer: Ich werde weiterhin kulturpolitisch aktiv bleiben und viele Projekte angehen, die mir wichtig sind. Ich möchte die neu gewonnene Zeit auch privat nutzen und neue Horizonte entdecken. Die Kontakte, die ich aufgebaut habe, möchte ich weiterhin pflegen und ausbauen. Diese Vernetzungen und Freundschaften sind für mich von unschätzbarem Wert.
Heß: Ich nehme viele wertvolle Erfahrungen mit und werde weiterhin politisch aktiv bleiben, insbesondere in der Bildungspolitik, eben nun auf andere Art. Es ist für mich auch von großer Bedeutung, dass wir als Frauen Politik aktiv gestalten und unsere Stimmen einbringen.
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