Innenstadt (mit Video)

Möbel, Fast Food, Graffiti: Warum Mannheims Quadrate so vermüllt sind

Wer durch Mannheims Innenstadt läuft, der kommt an einem Thema nicht vorbei: Müll. Warum ist Mannheim so dreckig? Ein Rundgang durch die Quadrate.

Von 
Sebastian Koch
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Keine Seltenheit in Mannheim: Kippen und Coffe-to-go-Becher werden im Stadtbild entsorgt. © PIX-Sportfotos

Mannheim. Jutta Schroth und Daniel Barchet wirken überrascht, als wir sie vor der Kirche St. Sebastian treffen. Wir haben uns zu einem Müll-Rundgang verabredet. Dreck gibt es in den Quadraten schließlich an gefühlt allen Ecken.

Just an diesem Nachmittag aber zeigt sich die Stadt von ihrer saubersten Seite. Zumindest auf den ersten Blick. „Die Stadt schaut wie geschleckt aus“, sagt Schroth mit ironischem Lachen. So sauber habe sie den Marktplatz lange nicht mehr gesehen. „Wir werden etwas finden“, kündigt Barchet aber an.

Dafür brauchen wir nicht lange. Kaum über den Platz gegangen, bleibt er vor der Tiefgarage stehen. So sauber das Zentrum ausschaut, so unappetitlich ist das, was zwischen Fahrradständern und Geländer liegt: Verpackungen, Alufolie, Plastiktüten. „Wenn man den Platz reinigt, muss man doch auch an Ränder gehen.“

Barchet leitet den Bürger- und Gewerbeverein Östliche Innenstadt, Schroth den Bürgerverein Innenstadt-West. Neben dem Poserproblem machen Barchet und Schroth immer wieder auf die Vermüllung aufmerksam. Die schade nicht nur dem Ruf der Stadt, sondern mindere die Aufenthaltsqualität und wirke sich negativ auf die gefühlte Sicherheit aus. „Das sind Faktoren, derentwegen man sich in der Innenstadt nicht mehr wohlfühlt“, sagt Barchet, der zuletzt vergeblich für die Einführung einer Verpackungssteuer geworben hatte. Der Gemeinderat hatte die auf Empfehlung der Verwaltung abgelehnt: Der bürokratische Aufwand sei hoch, zudem gab es juristische Bedenken.

In der Sicherheitsbefragung sagten 64 Prozent, Müll in Mannheim als besonders störend zu empfinden

In der Marktstraße passieren wir einen abgestellten Kühlschrank und einen alten Sessel. Unter einem Baumring in I2 liegt ein Müllsack. Ob Sperr- oder Restmüll: „Wenn man ein Bild von Müll in Mannheim braucht, müssen Sie einfach hier vorbeilaufen“, sagt Schroth. Matratzen oder Möbel würden hier oft tagelang liegen. „Das animiert, seinen Müll noch dazuzustellen.“

Müllsäcke neben Sperrmüll: In Mannheims Quadraten ist das gefühlt oft mehr Regel als Ausnahme, kritisieren Bürgervereine. © PIX-Sportfotos

Aus dem Rathaus heißt es, die Sauberkeit habe sich seit Einführung der Gehwegreinigung 2015 „stark verbessert“. Auch bei illegalem Sperrmüll werde ein „geringfügiger Rückgang“ verzeichnet. Aber: „Von dieser Entwicklung ausgenommen sind die bekannten Hotspots.“

Mannheim und sein Müllproblem – eine nicht enden wollende Geschichte. In der aktuellsten Sicherheitsbefragung von 2024 haben 64 Prozent der Befragten angegeben, in der Innenstadt Schmutz und Müll als besonders störend zu empfinden. „Illegale Sperrmüllablagerungen und weggeworfener Verpackungsmüll haben den größten Einfluss auf die Kriminalitätsfurcht und die Minderung der Lebensqualität; sie werden zudem von vergleichsweise vielen Menschen als Problem gesehen. Somit ist es naheliegend, die Ressourcen für diese Bereiche und die besonders betroffenen Stadtbezirke zu erhöhen“, hieß es.

Man überlegt es sich, seine Kippe auf den Boden zu werfen, wenn man schon zum zweiten Mal 150 Euro zahlen musste. Das muss richtig weh tun.
Daniel Barchet Vorsitzender des Bürger- und Gewerbevereins Östliche Innenstadt

Warum bekommt Mannheim das Problem nicht in den Griff? „Weil sich viele nicht an Regeln halten“, antwortet Schroth. Sperrmüll müsse man anmelden, Tonnen dürfe man erst am Vortag auf die Straße stellen – „aber viele stellen einfach alles vor die Tür und denken, dass das schon irgendwann verschwindet“. Aus Möbeln werden so schnell Müllhalden. Auch Coffee-to-go-Becher werden oft abgestellt, wo sie ausgetrunken wurden: auf Fenstersimsen, Mauervorsprüngen, dem Boden.

Bürgervereine kritisieren interne Kommunikation der Stadt Mannheim – Verwaltung sieht „rücksichtsloses Verhalten“ von Bürgern

Barchet verweist auf die Struktur der Stadtteile. „Auch auf dem Waldhof, im Jungbusch oder in der Neckarstadt sieht es ähnlich aus.“ Mannheim hat einen hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. „Nicht allen sind die Regeln der Abfallentsorgung bekannt“, sagt er. Und Schroth ergänzt, für viele Menschen sei der öffentliche Raum ein Aufenthaltsraum. Es gebe aber auch die, „für die er Staat, Obrigkeit und Feind bedeutet, um den man sich nicht kümmern braucht“.

Auf dem Rundgang durch die Quadrate fallen neben Sitzmöbeln auch Kühlschränke auf, die auf die Straße gestellt werden. © PIX-Sportfotos

Das Rathaus verweist auch auf die hohe Fluktuation bei Mietern. Wilder Sperrmüll sei ein Ergebnis häufiger Wohnungswechsel. „Der hohe Anteil an externen Besuchern ohne emotionale Bindung mit der Stadt trägt zu einem sorglosen Umgang mit Wegwerfmüll bei“, heißt es außerdem. Öffentliches Urinieren oder Spuren von Drogenkonsum stören zusätzlich. „Ein Grund für die Verschmutzungen ist also rücksichtsloses Verhalten. Die Stadt erinnert daher daran, dass jede und jeder selbst einen Beitrag zu mehr Sauberkeit leisten kann.“

Welche Strafen drohen für Kippen, Verpackungen und Sperrmüll?

  • Für das wilde Wegwerfen von Zigarettenkippen droht in Mannheim eine Strafe von 75 Euro .
  • Werden Sünder beim wilden Wegwerfen von Verpackungen erwischt, müssen sie zwischen 100 und 200 Euro bezahlen.
  • Sanktionen bei illegalen Sperrmüllablagerungen richten sich laut Auskunft der Stadtverwaltung nach dem Bußgeldkatalog Umwelt Baden-Württemberg .
  • Darin werden Einzelstücke kleineren Umfangs wie Koffer oder Kinderwagen mit 100 bis 500 Euro bestraft, Einzelstücke größeren Umfangs wie Öfen oder Kommoden mit Bußgeldern zwischen 200 und 800 Euro .
  • 200 bis 800 Euro muss man auch bezahlen, wird man beim Ablagern von mehreren Einzelstücken größeren Umfangs oder einer Gesamtmenge von bis zu einem Kubikmeter beziehungsweise 200 Kilogramm erwischt.
  • Bei größeren Sperrmüllmengen droht eine Strafe von 800 bis 1.500 Euro . seko

Das Problem liege aber nicht allein bei den Menschen, kritisiert Barchet. „Die Kommunikation funktioniert nicht.“ Wenn Straßenreinigung oder Ordnungsdienst Müll entdecken, müssten sie den sofort an die Abfallwirtschaft melden. Stattdessen würden zwischen dem für Sicherheit und Ordnung zuständigen Dezernat 1 und dem für den Stadtraumservice verantwortlichen Dezernat 5 Zuständigkeiten hin- und hergeschoben, schildert er seine Erfahrungen. Zwar hat die Stadt Mülldetektive und eine schnelle Eingreiftruppe Sperrmüll eingerichtet, größere Mülleimer aufgestellt oder Reinigungsintervalle erhöht. „Aber solange Stadtraumservice und Ordnungsamt nicht besser vernetzt sind, bleibt das Stückwerk“, sagt Schroth.

Stadt Mannheim: Kritik von Bürgervereinen „unbegründet“

In der Breiten Straße fallen überfüllte Tonnen, kaputte Fahrräder und Dreck neben Abfalleimern auf. Kippen, Flaschen und Papier stecken in Fugen des Granitblocks am Neckartor. In der Nähe von Dönerrestaurants liegen Servietten unter Tischen, eine weiße Plastiktüte fliegt im Wind. Die Gastronomie müsse in die Pflicht genommen werden, sagt Schroth. „Zum Beispiel mit Mülleimern, die sie vor Restaurants aufstellen und auch selbst leeren müssen.“

Ein Grund für die Verschmutzungen ist also rücksichtsloses Verhalten. Die Stadt erinnert daher daran, dass jede und jeder selbst einen Beitrag zu mehr Sauberkeit leisten kann.
Sprecher stadt Mannheim

Indes weist die Verwaltung den Vorwurf schlechter interner Kommunikation als „unbegründet“ zurück. Entdecken etwa Mülldetektive – offiziell: Sauberkeitsermittler – oder der Ordnungsdienst Müll, wird dieser „umgehend“ dem Stadtraumservice gemeldet. Mit speziellen Meldegeräten sollen Ermittler und Stadtraumservice künftig noch enger zusammenarbeiten.

Die Stadt sieht den Einsatz der Mülldetektive als Erfolg. Seit 2024 seien etwa 6.900 Kubikmeter Sperrmüll festgestellt worden, davon 537 Kubikmeter in den Quadraten. 25 der 394 erstatteten Anzeigen betreffen die Innenstadt. Auch die schnelle Eingreiftruppe Sperrmüll sei täglich im Einsatz, wobei die Quadrate ein Schwerpunkt darstellen.

Wird beim Stadtraumservice gekürzt? Stadt Mannheim „Das bleibt abzuwarten“

In der westlichen Unterstadt gibt es Programmkinos, die Synagoge, das Eintanzhaus, Projekte von Stadt.Wand.Kunst. „Wenn Menschen die Stadt besuchen, die auch kulturelle Sachen anschauen wollen, und dann durch die Straßen laufen, werden sie sich nicht wohlfühlen“, fürchtet Schroth. „Die Müll-Frage ist eine Frage der Außenwirkung.“

Um die zu verbessern, wünschen sich die Bürgervereine ein konsequenteres Durchgreifen. „Man überlegt es sich, seine Kippe auf den Boden zu werfen, wenn man schon zum zweiten Mal 150 Euro zahlen musste. Das muss richtig weh tun“, sagt Barchet. Um das durchzusetzen, braucht es aber Personal. „Es wird nicht einfacher werden angesichts der Haushaltslage.“

Die Stadt Mannheim führt die viele Sperrmüllhalden auch auf eine hohe Fluktuation auf dem Wohnungsmarkt in der Innenstadt zurück. © PIX-Sportfotos

Ob es Kürzungen im Stadtraumservice gibt? Das „bleibt abzuwarten“, heißt es aus dem Rathaus. Beim Ordnungsdienst würden diese nicht diskutiert. Die konsequentere Verfolgung gestaltet sich aber sowieso schwierig. Müllsünder müssen „auf frischer Tat ertappt“ werden. Sobald Uniformierte in Sichtweite sind, heißt es, „verhalten sich die meisten Menschen aber erfahrungsgemäß regelkonform“. Um dies zu vermeiden, ist der Ordnungsdienst „sporadisch“ in Zivil unterwegs – jedenfalls, sofern Kapazitäten das erlauben.

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Auf dem Weg stechen in U1 abgestellte Einkaufswägen ins Auge. Ein paar Meter dahinter warnt ein Schild vor von einer Fassade bröckelnden Steine. Einige Steine liegen bereits rund um einen Baum im Beet. Ein paar Quadrate weiter ist unterdessen eine Dauerbaustelle zur Sammelstelle für Unrat geworden. In T5 blockieren andere Gitter ohne Baustelle Parkplätze. „Seit Tagen, ohne dass sich jemand kümmert“, sagt Barchet.

Auch „visueller Müll“ und verlassene Immobilien prägen Mannheims Innenstadt

Immer wieder fallen Graffiti auf. Keine spektakulären Bilder, die man als Kunst betrachten kann. Stattdessen Kritzeleien, Schriftzüge, vulgäre Sprüche. „Visueller Müll“, nennt Barchet das. Er berichtet von Fällen, in denen Sprayer mehrere tausend Euro Schaden verursacht hätten, und fürchtet, Schmierereien werden auch die Neubebauung in T4/T5 verschandeln.

Mehrfach hat er ein Graffiti-Mobil wie in Pforzheim vorgeschlagen. Dort beseitigen straffällig gewordene Jugendliche Schmierereien. Das Modell gilt als Erfolg. In Mannheim sei das aber auch aus Kostengründen nicht möglich, schildert Barchet die Antwort aus dem Rathaus. Dieser Redaktion erklärt die Verwaltung, dass die Stadt keine Kapazität habe, um alle Graffiti im Stadtgebiet zu entfernen. In erster Linie werden beleidigende, antisemitische und sexistische Schmierereien entfernt.

Sofa, Regale, Stühle oder Betten: Auf Sperrmüllhalden findet sich so einiges. © Daniel Barchet

In S2 steht derweil eine große Immobilie leer. Früher war hier ein Supermarkt, jetzt ist das Gebäude beschmiert, die Scheiben sind teilweise vergilbt. Es wirkt verwittert und dreckig. So wie sie ausschaut, fällt es schwer, sich vorzustellen, wer diese Immobilie wieder als Geschäft nutzen will. „Eigentümer lassen Häuser teilweise einfach vergammeln“, konstatiert Barchet.

Bürgervereine: „Das ist unsere Stadt. Wir alle tragen Verantwortung“

Am Ende, sagen die beiden, müsse sich die Haltung vieler Menschen ändern. Statt, dass jeder den anderen verantwortlich mache, Müll wegzuschmeißen, brauche es mehr Sinn für das Gemeinsame, sagt Schroth. „Mehr Menschen müssen begreifen: Das ist unsere Stadt. Wir alle tragen Verantwortung dafür, dass sie sauber ist.“

Die Beseitigung von „viusellem Müll“ wie Graffiti verursacht nicht selten hohe Kosten. © PIX-Sportfotos

Daran appelliert auch die Verwaltung und verweist auch auf ehrenamtliche Reinigungsaktionen. Wer sich regelmäßig für die Sauberkeit einbringen möchte, könne außerdem Sauberkeitspate werden.

Als wir uns wieder dem Marktplatz nähern, liegt der noch immer im Sonnenlicht – sauber, fast glänzend. „Wie geschleckt“, hieß es vor mehr als einer Stunde. Nach dem Spaziergang wirkt das nur wie eine Momentaufnahme.

Wie wird man Sauberkeitspate?

  • Sauberkeitspaten reinigen regelmäßig ein festes Gebiet , für das die Stadt Materialien wie Greifzange, Handschuhe oder Müllsäcke zur Verfügung stellt.
  • Als Sauberkeitspate können sich alle Menschen in Mannheim sowie Vereine, Unternehmen oder Einrichtungen wie Schulen engagieren.
  • Alle Informationen gibt es auf der Webseite der Stadt. seko

Am nächsten Tag schickt Barchet Fotos, die er noch am Abend gemacht hat. „Wie, wenn man darauf gewartet hätte, bis wir weg sind“, schreibt er. In T5 stapeln sich neben einem Sofa mehrere Regale an einem Baum.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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