Mannheim. Die Mängelliste für den Sportwagen ist lang. Geduldig zählen die beiden Beamten dem Fahrer des silbernen BMW auf, was sie zu beanstanden haben: der Abstand zwischen beiden Vorderreifen ist zu groß, Teile der Scheinwerfer sind nicht zugelassen, das eine oder andere Originalteil im Motor fehlt, weil es gegen leistungsstärkere Ersatzstücke ausgetauscht worden ist. Für all das liegen keine Berechtigungen vor, erklären die Polizisten in ruhigem Ton. Immerhin: Die Reifen berühren beim Einschlagen die tiefergelegte Karosserie nicht. Eine akute Gefährdung für den Verkehr liegt deshalb nicht vor, weshalb der Mann nach knapp 20 Minuten seine Fahrt fortsetzen darf. Er wird sich in den kommenden Tagen aber mit dem Auto und den fehlenden Berechtigungen beschäftigen müssen.
Die Beamten winken an diesem Freitagabend auf Höhe der Kapuzinerplanken im Minutentakt Autos und Motorräder auf den Seitenstreifen, um ihre Verkehrstauglichkeit und mögliche Veränderungen zu prüfen. Polizei und Stadtverwaltung haben zu dieser Schwerpunktkontrolle gegen Poser dieses Mal auch Journalistinnen und Journalisten eingeladen. Außerdem ist der für Sicherheit und Ordnung zuständige Dezernent Volker Proffen gekommen.
Anwohner in Mannheimer Innenstadt: „Können Freitag und Samstag abends keine Fenster öffnen“
Wie in jedem Jahr sorgen aufheulende Motoren, dröhnende Partymusik bei offenen Autofenstern und laute Hupkonzerte in der Innenstadt für Frust und Ärger bei Anwohnerinnen und Anwohnern. Seit vielen Jahren geht das schon so. Immer wieder erreichen auch diese Redaktion entsprechende Beschwerden. Polizei und Stadtverwaltung scheinen dem Problem trotz vieler Kontrollen – auch ohne Einladung der Presse – nicht Herr zu werden.
Die Situation ist unverändert schlimm.
„Seit der Pandemie hat sich die Situation eher verschlimmert. Vor allem die rollenden Discos und Hupkonzerte unter unserem Fenster nerven“, erzählt Marc. Der Mitte 30-jährige Vater zweier Kinder ist vor zehn Jahren damals als Student in die Quadrate gezogen – „wissend, dass es in der Innenstadt abends auch mal lauter sein kann“, erzählt Marc, der aus beruflichen Gründen nur mit Vornamen genannt werden will. Seine Frau und er überlegen nun, aus den Quadraten wegzuziehen. „Wir können im Sommer am Freitag- und Samstagabend keine Fenster aufmachen, weil entweder Hupkonzerte oder aufheulende Motoren die Kinder wecken und auch uns stören“, sagt Marco und schiebt mit einem Lachen hinterher: „Vielleicht sind wir ja auch einfach älter und lärmempfindlicher geworden.“ Das aber will er ausdrücklich sarkastisch verstanden wissen, sagt er. Der Frust der Familie ist „eben exorbitant groß“.
Zum Lachen ist kaum einem Anwohner in Gesprächen am Freitag zumute. Die Vorsitzenden der Bürgervereine Innenstadt-West, Jutta Schroth, und Östliche Innenstadt, Daniel Barchet, teilen ihren Frust. Vor genau einem Jahr hatte die Stadtverwaltung mit viel Öffentlichkeit und PR eine Videokampagne vorgestellt, in der Poser gefragt werden: „Muss das sein?“ Auch Barchets Bürgerverein war an der Kampagne beteiligt, wie er auch ein Jahr später betont. Der Effekt aber sei nicht nachhaltig gewesen. „Die Hoffnung, dass durch die Kampagne mehr Sensibilität bei Posern entsteht, war nicht von Erfolg gekrönt. Das man muss leider sagen. Die Situation ist unverändert schlimm. Gerade Kunststraße, Fressgasse und Marktstraße sind bei Posern nach wie vor extrem beliebt.“ Schroth indes spricht von Videos, mit denen Anwohner teilweise zweistündiges Dauerhupen dokumentierten. Auch Marco berichtet von diesen Konzerten. Dieser Redaktion liegen Videos vor, die mehrminütiges Dauerhupen zeigen.
Mannheimer Sicherheitsdezernent: Videokampagne war „Beitrag zur Sensibilisierung“
In der Kunststraße wird am Freitagabend hingegen kaum gehupt. Vor vielen Schaulustigen kontrollieren Beamte der Einsatzgruppe Poser der Landespolizei an dieser Stelle vor allem technische Veränderungen an den Autos. Die Kunststraße ist ein Hotspot für aufheulende Motoren oder unnötiges Hin- und Herfahren, der über Mannheim hinaus bekannt ist. So sind in Bad Dürkheim, Ludwigshafen, Frankfurt oder Darmstadt zugelassene Autos zu sehen. Meist sitzen junge Männer am Lenkrad. Immer wieder lässt Proffen sich von den Polizeibeamten technische Details erklären.
Der Bürgermeister sieht die Behörden auf dem richtigen Weg, reagiert auf Kritik der Bürgervereine zurückhaltend. In der Diskussion spielten auch „subjektive Wahrnehmungen“ eine Rolle, sagt Proffen dieser Redaktion. Er verstehe den Frust vieler und wolle das Problem auf keinen Fall wegdiskutieren. Aus seiner Sicht aber sei die Lärmbelastung tendenziell zuletzt eher zurückgegangen, sagt der CDU-Politiker. Einen gegenteiligen Eindruck gebe jedenfalls die offizielle Beschwerdelage nicht her. Man müsse sich bewusst sein, dass das Poser-Phänomen nicht durch eine Maßnahme allein, etwa die Videokampagne, zu lösen sei. „Die war ein Beitrag zur Sensibilisierung, aber natürlich nicht die Lösung des Problems“, sagt Proffen.
Dazu würden regelmäßige Kontrollen von Stadt und Polizei kommen – zuletzt mit etwa 190 Verstößen bei einer Aktion im Mai. „Wir können das nicht jedes Wochenende machen. Aber wir machen das regelmäßig, um Poser abzuschrecken.“ Ein Video, das der Redakteur ihm zeigt und ein Hupkonzert dokumentiert, kommentiert Proffen: „Das ist natürlich großer Mist. Natürlich verstehe ich da den Frust der Menschen, vor deren Fenster das passiert.“
Bürgervereine fordern temporäre Straßensperrungen – Stadt gesprächsbereit, aber mahnend
Schroth und Barchet kritisieren hingegen, dass es noch mehr Kontrollen brauche. Die sind in noch engeren Taktungen zwar personell und organisatorisch nicht leicht zu stemmen, seien im Endeffekt aber wirksamer. Zudem müsse die Stadtverwaltung im Interesse der Anwohner und der Aufenthaltsqualität in den Quadraten über Veränderungen der Verkehrsführung nachdenken. Man müsse unterbinden, dass Menschen sich zum Posen in Mannheim verabredeten, sagt Barchet. „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass eine nächtliche Unterbrechung – also eine Sperrung – in der Fressgasse,Kunststraße oder Marktstraße etwas bringen würde. Wir glauben nicht, dass das für den Einzelhandel schädlich wäre. Wenn es ab 22.30 Uhr oder 23 Uhr eine Sperrung gibt, sind keine Geschäfte mehr offen, die meisten Restaurants machen auch schon langsam zu. Und wer in eine Disco will, kommt da trotzdem hin.“
Die eine Maßnahme, die für alle passt, gibt es nicht
Proffen zeigt sich für Überlegungen zu temporären Sperrungen prinzipiell zwar gesprächsbereit, warnt aber vor Schnellschüssen. Gerade bei Veränderungen im Verkehrsfluss müsse man Interessen und Konsequenzen abwägen, erklärt der Dezernent. „Wir müssen zum Beispiel prüfen, ob sich das Problem dann nicht einfach in andere Quadrate verlagert.“ Auch müssten neben Anwohnern Einzelhandel und Gastronomie in die Überlegungen einbezogen werden. „Die Stadt ist schließlich kein Versuchslabor.“ Es gelte, Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten. Proffen fürchtet aber: „Die eine Maßnahme, die für alle passt, gibt es einfach nicht.“
Vorsitzende von Bürgerverein aus Mannheimer Innenstadt: Menschen verlieren Vertrauen in Verwaltung
Bürgervereine und Anwohner hingegen sehen darin ein Zögern der Verwaltung, das sich auch in der Kommunikation zeige. Konkrete Nachfragen zu Maßnahmen würden oft zu spät oder gar nicht beantwortet – selbst Bezirksbeiräte erhielten kaum belastbare Informationen, kritisiert Schroth, die auch Bezirksbeirätin ist. Anwohner bekämen auf schriftliche Beschwerden oft wochenlang keine Antwort, sagt Marc. Schroth hat das Gefühl, „die Verwaltung ist sich nicht darüber im Klaren, mit welchem Vertrauensverlust das einhergeht. Die Bürger haben den Eindruck, sie werden nicht geschützt und mit diesem Problem alleingelassen“.
Proffen zeigt Verständnis für diesen Unmut, verweist aber auf die Vielschichtigkeit der Lage. „Es gibt Vorteile, in den Quadraten zu wohnen. Aber es gibt auch Nachteile.“ Das Zusammenleben von Wohnen, Nachtleben und Verkehr sei eine Herausforderung. Er sieht jedoch keine einfache Lösung, alle gleichzeitig zufriedenzustellen. „Wir versuchen aber wirklich bestmöglich, die sehr unterschiedlichen Interessen übereinanderzulegen.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Poser in Mannheimer Innenstadt: Wenn Rücksicht zur Nebensache wird