Mannheim. Wie es der Zufall will, ist der Paradeplatz gerade jetzt sauber. Kurz vor der Hauptausschusssitzung um 16 Uhr im benachbarten Stadthaus, bei der unter anderem das Thema Verpackungssteuer auf dem Programm steht, ist hier auf den Grünflächen und Wegen ausnahmsweise keine einzige einfach weggeworfene Einwegverpackung zu sehen. Ein Blick in die Mülleimer zeigt jedoch, was hier sonst so rumfliegt: Kaffeebecher, Fastfood-Boxen, Bäckertüten in großen Mengen.
„Mannheim hat ein Imageproblem in Bezug auf Sauberkeit und Sicherheit“, schreibt Daniel Barchet, Vorsitzender des Bürger- und Gewerbevereins Östliche Innenstadt, in einem Brief an alle Mitglieder des Gemeinderats. Die Vermüllung des öffentlichen Raums durch Einwegverpackungen sei eines der sichtbarsten Probleme. Aber zugleich ein lösbares: mit der Einführung einer Verpackungssteuer. „Auch in Anbetracht der Finanzlage der Stadt wäre es nachlässig, darauf zu verzichten“, appelliert Barchet vergeblich.
Tübinger Modell von Verfassungsgericht bestätigt
Ähnlich argumentiert das Umweltforum Mannheimer Agenda 21 und verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die in Tübingen als deutschlandweiter Vorreiter erhobene Steuer auf Gastronomie-Einwegverpackungen für rechtmäßig befunden hat. Daraufhin haben einige Kommunen, unter ihnen Heidelberg, angekündigt, diesem Beispiel zu folgen. Doch nun steht fest: Mannheim wird das nicht tun, zumindest auf absehbare Zeit nicht.
Ein Antrag der LTK, ein Mehrwegsystem und eine Verpackungssteuer einzuführen, wird im Hauptausschuss mit breiter Mehrheit abgelehnt. Außer dem Linken Dennis Ulas stimmt niemand dafür. Die Grünen Gabriele Baier, Nina Wellenreuther und Chris Rihm enthalten sich, CDU, SPD, AfD, Mannheimer Liste (ML) und FDP votieren geschlossen dagegen.
Nachdem sich schon die Stadtverwaltung in einer 18-seitigen Informationsvorlage klar gegen eine solche Steuer positioniert hat, ist das keine Überraschung mehr.„Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, versichert Christian Specht. Die Vermüllung der Stadt sei unbestreitbar ein großes Problem, so der Oberbürgermeister. Auf den ersten Blick erscheine eine Verpackungssteuer daher verlockend. Doch komme die Verwaltung zum eindeutigen Ergebnis, besser die Hände davonzulassen.
Zur Begründung verweist das Stadtoberhaupt zunächst auf juristische Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil auf eine neue Verpackungsrichtlinie der EU verwiesen, mit deren Inkrafttreten das Tübinger Modell möglicherweise nicht mehr rechtmäßig sei. Zudem bedeute eine solche Steuer einen enormen bürokratischen Aufwand, weil die Tücke in den Details stecke. Specht erwähnt beispielhaft notwendige Unterscheidungen zwischen warmen Schnitzelbrötchen, kalten Schnitzelbrötchen und eingepackten Schnitzelbrötchenresten.
„Nicht auszudenken, wenn so ein Schnitzelbrötchen dann auch noch mal die Stadtgrenze überschreitet“, spottet Specht. Würden Gastronomie-Einwegverpackungen auf kommunaler Ebene besteuert, drohe ein ähnlicher Flickenteppich wie einst bei den Corona-Regelungen.
Specht: Ordnungsdienst bräuchte 22-seitige Auslegungsschreiben
Um eine solche Steuer zu kontrollieren, benötige der Kommunale Ordnungsdienst 22-seitige Auslegungsschreiben, warnt Specht. Finanzbürgermeister Volker Proffen hat zudem errechnet, dass für die Organisation in der Verwaltung fünfeinhalb zusätzliche Stellen nötig wären. Beide Christdemokraten betonen, der Aufwand könne den Ertrag in keinster Weise rechtfertigen.
Das ist dann auch der vorherrschende Tenor in der Debatte. Die CDU-Fraktion habe zwar ebenfalls mit einer Verpackungssteuer „geliebäugelt“, sagt ihr Vorsitzender Claudius Kranz. Doch weil die von der Gastronomie entrichtet würde, fehle die Lenkungswirkung. „Die Leute werden ihren Müll trotzdem weiter wegschmeißen, weil sie es nicht in ihrem Geldbeutel spüren.“ Dem schließt sich seine FDP-Kollegin Birgit Reinemund an. Und speziell für kleine Kioske sei der Aufwand einfach zu hoch. AfD-Fraktionschef Jörg Finkler meint, den Bürgern und der Gastronomie würden ohnehin schon zu viele Steuern zugemutet.
„Mannheim ist bundesweit verrufen als schmutzige Stadt“
Reinhold Götz kann die Argumente der Stadtspitze zwar nachvollziehen und sieht ebenfalls praktische Probleme. Der SPD-Fraktionschef regt allerdings an, nun mal die Erfahrungen anderer Kommunen abzuwarten und sich eine spätere Einführung vorzubehalten. Dafür plädiert auch ML-Stadtrat Christopher Probst. Die Idee einer Verpackungssteuer sei „zunächst einmal verlockend“. Doch noch würden die Nachteile klar überwiegen. Specht sagt zu, die Verwaltung werde die Praxis in anderen Städten im Auge behalten.
Ulas zeigt sich von der breiten Ablehnung enttäuscht. Der Linke argumentiert vergeblich gegen die Bedenken und spricht von einer großen Chance. „Mannheim ist bundesweit verrufen als schmutzige Stadt.“ Dabei werde es jetzt leider auch bleiben. Grünen-Fraktionschefin Baier mahnt ebenfalls: „Wir haben ein Müllproblem in Mannheim.“ Und 40 Prozent des Straßenmülls machten Einwegverpackungen aus. Das immerhin bestätigt an diesem Tag der Blick in die Abfalleimer auf dem Paradeplatz – selbst wenn der ausnahmsweise mal ganz sauber ist.
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