Justiz

Messerattentat Mannheim: Bericht des Polizisten, der den Angreifer stoppte

Er zog seine Waffe, schoss und verhinderte noch Schlimmeres. Im Prozess um das Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz hat sich der Beamte geäußert, der das Grauen beendete.

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Agnes Polewka
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Der Mannheimer Marktplatz kurz nach der Tat. © picture alliance/dpa

Stuttgart. Am 31. Mai 2024 schoss der Polizist Maximilian Keller (Name von der Redaktion geändert) zum ersten Mal in seinem Leben auf einen Menschen. Ein Video davon ging Minuten später viral. Kellers Schuss haben inzwischen unzählige Menschen auf der ganzen Welt gesehen.

Fast ein Jahr danach sitzt Keller im größten Verhandlungssaal des Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim und beginnt zu erzählen. Nur wenige Meter von Sulaiman A. entfernt, dem Mann, den er mit seinem Schuss stoppte. Die Bundesanwaltschaft wirft dem mutmaßlichen Messerattentäter vom Mannheimer Marktplatz Mord und versuchten Mord vor.

Der Polizist wusste: Die Veranstaltung barg ein gewisses Konfliktpotential

Vor Gericht beschreibt Keller, wie er an jenem 31. Mai 2024 zur Arbeit kam. Es war der erste Arbeitstag nach seinem Urlaub. Auf der Dienststelle erfuhr er, dass es für ihn und die Kolleginnen und Kollegen noch am selben Tag zu einer Kundgebung des rechtspopulistischen Vereins „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) auf den Mannheimer Marktplatz gehen sollte. Den Verein kannte er. Auch von Islamkritiker Michael Stürzenberger hatte er schon gehört.

Er selbst fragte sich, warum die BPE ausgerechnet an diesem Ort, an dem viele Menschen türkischer Herkunft leben, ihre Kundgebung abhalten durfte. Zumal er um die „provokante Art Stürzenbergers“ wusste. Keller wusste also: Die Veranstaltung barg ein gewisses Konfliktpotential. Doch mit dem, was dieser Tag bringen sollte, damit hätte er niemals gerechnet.

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Der Einsatz begann ruhig, während die BPE-Mitglieder mit dem Aufbau beschäftigt waren, fanden sich die Beamten auf dem Markplatz ein, besorgten sich noch etwas zu essen und zu trinken, suchten eine nahegelegene Toilette auf. Die Absicherung des Marktplatzes bei Veranstaltungen, das kam öfter vor. „Das war kein außergewöhnlicher Einsatz“, sagt Keller.

„Erst fiel etwas um, dann fiel jemand um“

Keller unterhielt sich gerade auf Höhe der Unteren Pfarrkirche St. Sebastian mit einem Kollegen, da bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass etwas umfiel. „Erst fiel etwas um, dann fiel jemand um“, sagt Keller. Und dann rannte er los. Mitten in die Rangelei hinein, die sich auf dem Platz abspielte, da ging Keller noch von einer Schlägerei aus. Doch dann hörte er eine Kollegin immer wieder das Wort „Messer“ rufen. In diesen Sekunden war Keller gerade dabei, sich dem Angreifer, der auf dem Boden lag, zu nähern. Er wollte ihn packen. Als sich der Attentäter hochstemmte und aufstand, sah Keller das Messer. „Er ist mit dem Messer aufgestanden, hat mich angesehen. Aus diesem Grund habe ich die Waffe gezogen und bin mehrere Schritte rückwärtsgelaufen.“

Keller sagt, er wusste, was er zu tun hatte. Er musste den Angreifer niederschießen. Doch da waren überall so viele Menschen. Und dann stand der Mann mit dem Messer hinter seinem Kollegen Rouven Laur. In diesem Moment zu schießen, barg das Risiko, auch Rouven Laur zu treffen. Keller brachte sich in Position und das Messer fuhr in Rouven Laurs Körper.

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Dann schoss Keller. „Es war nicht die erstbeste, es war die erste Gelegenheit“, sagt er. Danach richtete er die Waffe auf einen zweiten Mann. „Ich habe aber schnell gemerkt, dass er das Messer wegwerfen will.“

Wieder wandte sich Keller dem Angreifer zu, versuchte, die Blutung der Schusswunde zu stillen. Während er seine Hände auf die Wunde presste, schaute er zu seinem Kollegen Rouven Laur. „Ich habe gerufen, er soll sich setzen und habe den anderen Kollegen zugerufen, dass er sich hinsetzen soll. Ich wollte nicht, dass er kollabiert“, sagt er. Sein Blick traf auf den von Rouven Laur, diesen letzten Kontakt werde er nie vergessen, sagt Keller.

„Ich habe keine Gewissensbisse“

Der Messerangreifer auf dem Boden vor ihm wimmerte. Er schaukelte von rechts nach links. Keller redete auf ihn ein, schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, um ihn bei Bewusstsein zu halten.

Überall an seiner Uniform haftete das Blut des Angreifers, ein Kollege fuhr ihn zurück auf das Polizeirevier. Dort wartete Keller auf die Kollegen der Kriminaltechnik. Fotos, Schmauchspuren, dann die Vernehmung. Er händigte den Kollegen seine Waffe aus.

Danach folgten Stunden, die sich hinzogen. „Wir waren alle da, keiner ist gegangen, weil wir natürlich wissen wollten, was mit Rouven ist.“ Irgendwann ging Keller nach Hause, sein Bruder übernahm die vielen Anrufe, die auf seinem Telefon eingingen, weil so viele Menschen das Video gesehen hatten. In den Tagen danach habe er nicht gearbeitet, keiner der Kolleginnen und Kollegen. Und doch hätten sie ständig miteinander gesprochen und sich bei der Arbeit getroffen, obwohl niemand von ihnen arbeitete.

Die Ermittlungen wegen Schusswaffengebrauchs gegen Keller wurden nach zwei Monaten eingestellt. „Der Schuss musste sein, ich habe keine Gewissensbisse oder ähnliches“, sagt er. „Ich habe mir schon die Frage gestellt, wie es ihm geht, aber es wäre mir gleichgültig gewesen, wenn es anders ausgegangen wäre.“

Beruflich entstanden Keller durch den Schuss keine Nachteile. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht. „Ich bin im Netz mit Abstand noch am besten weggekommen“, sagt er. Nicht so die anderen Kolleginnen und Kollegen, die beschimpft und bepöbelt wurden. „Es hat viel mit den Kollegen gemacht, dass sich die Menschen so auf sie gestürzt haben und die Anteilnahme teilweise nur Beikost war“, sagt Keller. Doch nicht mit ihm. Er nahm die Kommentare nicht ernst. Weil er ein reines Gewissen hat.

Redaktion

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