Stuttgart. Die Recherche klingt unglaublich und sie verbreitete sich Anfang der Woche rasend schnell: Journalisten des ZDF-Heute Journals und der Dokumentationsreihe Terra X History haben digitale Spuren zum Mannheimer Messerattentat gefunden, die nach Russland führen. Und unter dem Eindruck dieser journalistischen Arbeit ist am Dienstag der Prozess um das Messerattentat vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart fortgesetzt worden.
BND und LKA sollen Erkenntnisse zu russischen Suchanfragen zu Mannheimer Messerattentat offenlegen
Gleich zu Beginn weist der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats am OLG, Herbert Anderer, auf die Rechercheergebnisse des ZDF hin, die am Sonntagabend erstmals veröffentlicht worden sind. Demnach soll es in Russland schon vor dem Mannheimer Messerattentat auffällige Suchanfragen im Internet gegeben haben. Ein Datenprofiler fand im Auftrag des Senders heraus: Rund einen Monat vor der Tat sollen Personen im Netz nach einem „Terroranschlag in Mannheim“ gesucht haben. Außerdem verzeichnete Google russische Suchanfragen nach „Anschlag in Deutschland“, „Michael Stürzenberger Anschlag“ oder „Michael Stürzenberger erstochen“.
Deshalb sollen das Landeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst dem Staatsschutzsenat nun alle Ermittlungsergebnisse, die den Behörden dazu vorliegen, offenlegen. Zudem bat der Vorsitzende des Senats Bundesanwältin Verena Bauer, zu prüfen, „ob dem Generalbundesanwalt zu dieser Sache Erkenntnisse vorliegen, und diese dem Senat zu überlassen“. Ende Mai könnten die Spuren, die Täterwissen in Russland andeuten, erstmals in Stuttgart thematisiert werden.
Arzt von Rouven Laur berichtet vom Tag des Messerattentats
Und dann geht es an diesem Dienstag um Rouven Laur, um die Stunden nach dem Messerangriff am 31. Mai 2024. Nima Etminan, der Direktor der Neurochirurgischen Klinik an der Mannheimer Universitätsmedizin (UMM) erinnert sich an einen Tag in seinem Berufsleben, den er nie vergessen wird.
Gegen Mittag, als Rouven Laur eingeliefert wurde, da operierte er gerade einen anderen Patienten. Er befand sich in den letzten Zügen, als ihn zwei Kolleginnen konsultierten. Und er erfuhr: Da ist ein Patient, seine Haut und der Schädelknochen wurden verletzt, da ist eine Blutung unter der harten Hirnhaut, die sich über eine gesamte Hirnhälfte erstreckt und zu einer deutlichen Hirnschwellung führt.
Das ist Extremchirurgie, etwas ganz anderes als ein Hirntumor.“
Rouven Laur war bereits komatös, als er eingeliefert wurde. Seine linke Gehirnhälfte war nicht mehr durchblutet, die Hauptschlagader des Gehirns verletzt. „Das überlebt man nicht ohne Operation“, sagt Etminan. Mit der Gabe eines Medikaments gewannen die Mediziner etwas Zeit. In der Neurochirurgie kommt es auf jede Minute an, sagt Etminan. Eine geläufige Redensart in der Neurochirurgie laute: „Time is Brain“.
Etminan beschreibt vor Gericht, wie er sich für wenige Minuten zurückzog, um alle möglichen Szenarien in seinem Kopf durchzuspielen, sich einen Plan A, einen Plan B und einen Plan C für die Operation zurechtzulegen. „Das ist Extremchirurgie, etwas ganz anderes als ein Hirntumor“, sagt Etminan, der zu den renommiertesten Experten in Deutschland zählt, wenn es um die operative Behandlung und Erforschung von Hirngefäßerkrankungen geht. Sein Plan A sah vor, alles zu retten, was zu retten war, etwa das Sprachzentrum – und eine einseitige Körperlähmung zu verhindern.
Um 13.30 Uhr begann er, Rouven Laur zu operieren. Und anfangs sah es gut aus. Er nahm sich das erste wichtige Gefäß vor, nähte mit Nadel und Faden, so klein und so fein, dass sie nur unter dem Mikroskop erkennbar sind. Jemand im OP saugte und spülte, damit Etminan weiter nähen konnte. Doch dann eine extreme Schwellung im Gehirn. „Und ab diesem Moment bin ich der Situation nur noch hinterhergerannt.“
Ärzte kämpfen nach Messerattentat sechs Stunden um Rouven Laurs Leben
Etminan atmet durch. „Das war ein schwerer Tag für uns“, sagt er. Über sechs Stunden stand er im OP. Er beschreibt, wie er und sein Team alles versuchten. Um 19.48 Uhr legte er das OP-Besteck beiseite. Das Ende der OP am Freitagabend markierte den Beginn seiner Zeit mit Familie Laur. Eine Schwester von Rouven Laur, sie ist Ärztin, kannte er aus ihrer Zeit an der UMM. Mit ihr und dem Rest der Familie habe er intensive Gespräche über die anstehenden Entscheidungen geführt. Diese kreisten darum, ob er in der Nacht noch einmal operieren sollte, um zu versuchen, das Leben von Rouven Laur zu retten.
Da ist ein junger Mensch gestorben, ein guter Mensch, wie wir später erfahren haben, das haben wir alle nicht verarbeitet, auch ich nicht.“
Wie hätte dieses Leben ausgesehen, will der Vorsitzende Richter des Senats wissen. Sinngemäß sagt Etminan dazu: Rouven Laur wäre nie wieder aufgewacht, er hätte nie wieder kommunizieren oder selbstbestimmt leben können. Weite Teile seines Gehirns hätten abgetragen werden müssen. „Das ist so eine radikale Operation“, sagt er. Eine, die mitunter medizinische Komplikationen nach sich zieht, die zum Tod führen können.
Und so wurden am Sonntag nach dem Attentat, am 2. Juni 2024, die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt. „Herr Laur hatte klar geäußert, dass er so nicht am Leben gehalten werden will.“
Dieser Tag, an dem Rouven Laur, in die Klinik kam, habe sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Auch in das seiner Kolleginnen und Kollegen, sagt er. „Da ist ein junger Mensch gestorben, ein guter Mensch, wie wir später erfahren haben, das haben wir alle nicht verarbeitet, auch ich nicht.“ Das Video von der Tat habe er sich nicht ansehen können. Das Video, auf dem zu sehen ist, wie Rouven Laur noch einmal aufsteht, einige Schritte geht, weil in seinen Nervenzellen noch Restaktivität steckt – bevor die Verletzungen ihr ganzes zerstörerisches Potenzial entfalten.
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