Landgericht

Marktplatz-Prozess: Vom Freispruch bis zur Belastung für den ZI-Arzt

Ein fehlgeleiteter Krankenwagen, mögliche milde Strafen für die angeklagten Polizisten und Nazi-Vergleiche am Tatort: Eine erste Bilanz nach sechs Prozesstagen zum tödlichen Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz am Landgericht

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Lisa Uhlmann
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Nach sechs Verhandlungstagen am Mannheimer Landgericht soll das Urteil am 1. März fallen. © Christoph Blüthner

Mannheim. Ein fehlgeleiteter Krankenwagen, mögliche milde Strafen für die angeklagten Polizisten und Nazi-Vergleiche am Tatort: Nach sechs Prozesstagen zum tödlichen Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz am Landgericht sind noch immer nicht alle Fragen klar beantwortet. Warum die Polizisten milde Strafen erhalten könnten und warum ein möglicher späterer Prozess gegen den behandelnden Arzt des verstorbenen Patienten vom Zentralinstitut (ZI) für Seelische Gesundheit erst einmal vom Tisch ist. Ein Überblick:

Warum wurde das Verfahren gegen den ZI-Arzt eingestellt?

Auf Anfrage dieser Redaktion erklärt die Mannheimer Staatsanwaltschaft: Das Verfahren wurde „gemäß § 153a StPO aus Opportunitätsgründen eingestellt. Hierbei wurden die Gesamtumstände, insbesondere auch die großen Belastungen für den Arzt berücksichtigt.“ Laut dem besagten Paragrafen braucht es dafür die Zustimmung des Gerichts und das Erfüllen von bestimmten Auflagen und Weisungen.

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So kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen. Allerdings nur, wenn diese dafür geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht, heißt es im Paragrafen. Im Fall des ZI-Arztes hat sich die Staatsanwaltschaft für eine Geldauflage von 8000 Euro entschieden. Die Summe ist laut Staatsanwaltschaft an verschiedene gemeinnützige Einrichtungen gegangen.

Ist der ZI-Arzt damit dauerhaft entlastet?

Mit dem eingestellten Verfahren aus Opportunitätsgründen ist nichts ausgeräumt, aber auch nichts bestätigt. Trotzdem gilt der Beschuldigte damit nicht als vorbestraft und weiterhin die Unschuldsvermutung. Außerdem kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach der Erfüllung der Auflagen nicht wieder aufnehmen - auch zu keinem späteren Zeitpunkt oder falls es neue Erkenntnisse gibt. Eine spätere Anklage gegen den Psychiater ist damit also vom Tisch. Das wäre nur möglich gewesen, wenn das Verfahren aus einem anderen Grund eingestellt worden wäre, wie etwa einem fehlenden, hinreichender Tatverdacht.

Warum könnten die Polizisten milde Strafen erhalten?

Zwar gibt es gleich drei rechtsmedizinischer Gutachten zur Todesursache und den Faktoren, die zum Tod geführt haben sollen. Allerdings folgt Staatsanwalt Michael Hager der Annahme, dass der 47-Jährige am wahrscheinlichsten am plötzlichen Herztod gestorben ist. Deshalb plädiert er für einen Freispruch für den Polizeihauptmeister. Denn alle Rettungsversuche ohne Defibrillator hätten den Mann nicht retten können. Außerdem lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Faustschläge den Tod des Opfers verursacht haben. Für den 27-jährigen Oberkommissar fordert der Staatsanwalt deshalb eine sechsmonatige Bewährungsstrafe wegen schwerer Körperverletzung im Amt.

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Falls das Gericht der Forderung für eine Strafe unter einem Jahr folgt, würde der Hauptangeklagte kein Eintrag ins Führungszeugnis erhalten - also keine Vorstrafe. Das ist besonders für seine berufliche Zukunft als Polizist wichtig: Auch das Disziplinarverfahren samt der möglichen Aufhebung der Suspendierung, orientiert sich am Urteil und wird vom Polizeipräsidium Mannheim geführt.

Wie haben die Kollegen der Polizisten den Einsatz erlebt?

Auch zwei Kollegen aus dem Innenstadtrevier in H4 sind als Zeugen geladen. Der 30-jährige Polizist und seine 34-jährige Streifenpartnerin berichten, dass sie das Klingeln des ZI-Arztes mit der Bitte um Hilfe mitbekommen hätten. Wenig später hätten sie den Auftrag erhalten, mit einem Streifenbus als Verstärkung zum Marktplatz zu fahren.

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Sie hätten auch die Info erhalten: Ein Rettungswagen sei angefordert worden. Am Marktplatz angekommen seien sie ausgestiegen und hätten die Polizisten sowie einen Arzt um den reglosen am Boden liegenden Mann stehen sehen. Die 34-Jährige untermauert im Zeugenstand die Aussage des Hauptangeklagten: „Mein Kollege hat den Arzt gebeten, die Vitalfunktionen des Mannes zu überprüfen.“ Daraufhin hatte der Mediziner die Polizisten angewiesen, die Handschellen zu lösen und den 47-Jährigen umzudrehen. Danach hätten sie sich mit der Herzdruckmassage abgewechselt, während der 30-jährige Polizisten den Streifenbus so umparkt, dass er den Schaulustigen die Sicht versperrt. Nach ihren Aussagen setzen sich beide ins Publikum, um die Verhandlung mitzuverfolgen.

Warum hat es so lange gedauert, bis der Krankenwagen da war?

Bei der Befragung der polizeilichen Zeugen kristallisiert sich heraus: Der angeforderte Rettungswagen war zunächst ans ZI beordert worden. Der Plan: Ante P. per Polizeibus zum ZI zu fahren, um ihn dort medizinisch zu behandeln. Weil sich der Mann am Boden aber nicht mehr bewegt, wird der Rettungswagen direkt an den Marktplatz beordert, später auch ein Notarzt angefordert.

Welche Videos wurden gezeigt?

Immer wieder verlassen die Angehörigen des Deutsch-Kroaten den Gerichtssaal, bevor Videos gezeigt werden. Die Aufnahmen stammen von Polizeikameras am Marktplatz; zeigen aber auch Sequenzen von Überwachungskameras aus den umliegenden Geschäften, wie von einem Dönerladen oder einem Juwelier. Dabei ist einmal deutlich die Wolke von Pfefferspray zu sehen, die der Oberkommissar dem ZI-Patienten ins Gesicht gesprüht hatte.

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Eine andere Sequenz hat den Moment eingefangen, als die Polizisten den reglos wirkenden Ante P. mit vereinten Kräften umdrehen. Ein anderer Ausschnitt zeigt, wie die Beamten sowie der Arzt über sechs Minuten lang tatenlos neben dem reglosen Mann stehen.

Wie verlässlich sind Aussagen der Zeugen?

In seinem Plädoyer kritisiert der Staatsanwalt die Aussagen der Zeugen, die mit Videos und anderen Spuren das äußere Geschehen rekonstruieren sollten. „Wenn es allein nach den Zeugen gehen würde, wären die Angeklagten schon längst entgegen der Faktenlage verurteilt“, so der Staatsanwalt. So seien oft falschen Fakten, Übertreibungen oder sogar Verdächtigungen wiedergegeben worden. Ein Zeuge wurde sogar einvernehmlich abbestellt, also ausgeladen. Der Mann hatte auf der Plattform TikTok in Videos falsche Anschuldigungen gegen die Polizisten erhoben. Er ist deshalb wegen Verleumdung verurteilt worden.

Wie war die Stimmung der Schaulustigen am Tatort?

Augenzeugen berichten unabhängig von einander vom unangemessenen Verhalten der Menge. Um dem Gedächtnis der Zeugen auf die Sprünge zu helfen, verließt der Vorsitzende Richter oft Auszüge aus den polizeilichen Vernehmungen: „Die Stimmung war aufgeheizt. Die Leute haben Beleidigungen wie Hurensöhne, Nazis oder Hundeschweine gerufen, oder gefragt: ’Was seid ihr für Vorbilder?’“, heißt es zum Beispiel. Eine zurückhaltendere Menge, findet der Staatsanwalt, hätte vielleicht den „in Panik geratenen Polizisten“, wie sie ein Zeuge beschreibt, mehr Raum gelassen, um sich besser um das Opfer zu kümmern.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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