Langericht

Mannheimer Marktplatz-Prozess: Milde Strafen für Polizisten?

Von 
Lisa Uhlmann
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Deutlich weniger Zuhörende, dafür das erste Plädoyer: Am fünften Verhandlungstag zum Marktplatz-Prozess schließt das Gericht die Beweisaufnahme. © Lisa Uhlmann

Mannheim. „In dubio pro reo“ - im Zweifel für den Angeklagten: Es ist dieser lateinische Grundsatz im Strafverfahren, den Staatsanwalt Michael Hager in seinem Plädoyer aufgreift. Er ist überzeugt: Der 26-jährige Polizeihauptmeister hat sich nicht strafbar gemacht. Sein Streifenpartner, der Hauptangeklagte Oberkommissar, dagegen schon - durch Faustschläge ins Gesicht eines am Boden liegenden Mannes und den Einsatz von Pfefferspray. Am fünften Prozesstag am Landgericht zum tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz bleiben viele Fragen ungeklärt - und damit Zweifel an der Mitschuld der Polizisten am Tod von Ante P.

Urteilsverkündung am 1. März

Bevor der Staatsanwalt für den 26-Jährigen einen Freispruch und für seinen Kollegen eine sechsmonatige Bewährungsstrafe fordert, verkündet der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz folgende Beschlüsse: Zum einen lehnt die Erste Kammer alle Befangenheitsanträge gegen die rechtsmedizinischen Sachverständige ab. Zum anderen schließt Rackwitz die Beweisaufnahme und erklärt: „Das ist auch für uns ein besonderer Fall. Am 1. März wollen wir das Urteil verkünden.“

Wie besonders der Fall ist, zeigen die deutlich abmilderten Strafmaßforderungen des Staatsanwalts. Zu Prozessbeginn vertritt Hager eine andere Haltung: Der Tod des 47-Jährigen sei „vorhersehbar und vermeidbar gewesen.“ Damals ist er überzeugt: Der 137 Kilo schwere Mann starb, weil er auf dem Boden liegend wegen des Drucks auf den Oberkörper nicht mehr richtig atmen konnte, Blut in die Atemwege gelaufen sei. Laut Gutachten der Heidelberger Rechtsmedizin soll Ante P. erstickt sein, weil ihn niemand auf die Seite drehte und er das Blut nicht abhusten konnte.

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Vielen Augenzeugenberichte, Videos und ein Gutachterstreit zur Todesursache später rückt der Staatsanwalt in einem zentralen Punkt von der Anklage ab und wirft die Frage auf: Kann für Tod des 47-Jährigen jemand strafrechtlich belangt werden? Und haben die Handlungen der Polizisten den Tod verursacht?

Zur Aufklärung hätten die Aussagen der Zeugen nur eingeschränkt beitragen: Es gab Gedächtnislücken, manche hätten übertrieben, falsche Tatsachen wiedergegeben. Ein Zeuge sei sogar wegen Verleumdung verurteilt und abgelehnt worden. Zweifel bleiben auch bei der Todesursache: Die lasse sich nicht klar feststellen. „Ein Herzversagen durch physischen und psychischen Stress, wie es Rechtsmediziner Peter Betz annimmt, ist überzeugend und nachvollziehbar. Das hat Rechtsmedizinerin Kathrin Yen ausgeschlossen “, so Hager.

Das Landgericht Mannheim am fünften Prozesstag zum tödlichen Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz © Lisa Wazulin

Damit folgt er dem Gutachten der Verteidigung. Laut Betz, Leiter der Rechtsmedizin der Uni Erlangen-Nürnberg, habe es für den herzkranken Ante P. ohne den Einsatz eines Defibrillators kaum eine Überlebenschance geben. So lasse sich nicht mit Sicherheit sagen, dass Rettungsmaßnahmen seinen Tod hätten verhindern können. Darum komme nur ein Freispruch für den wegen Tötung durch Unterlassen Angeklagten infrage. Ob die Faustschläge seines Kollegen das Nasenbluten verursacht haben, sei nicht mehr entscheidend. Auch hier folgt der Staatsanwalt der Bewertung der freiberuflichen Rechtsmedizinerin Kirsten Marion Stein. Für sie ist das Blut in den Atemwegen nicht die Todesursache. Das Fazit der Staatsanwaltschaft: Ein kausaler Zusammenhang zwischen verursachtem Stress und dem Herztod lässt sich nicht eindeutig feststellen.

Strafe für Polizeigewalt gefordert

Auch Kritik am Verhalten der Polizisten gibt es im Plädoyer, aber auch die hasserfüllten Schaulustigen hätten zum Fehlverhalten beigetragen: Gegenüber psychisch beeinträchtigten Menschen sei es polizeiliche Pflicht, mit Nachsicht und Rücksicht zu handeln, hätte der Arzt auf fürsorgliche Zurückhaltung hingewiesen. Ante P. habe sich zu keinem Zeitpunkt aggressiv verhalten.

„Die Beamten hatten zwar den Auftrag, den Patienten zu seinem Schutz zurück ins Zentralinstitut(ZI) für Seelische Gesundheit zu bringen. Aber es kann nicht sein, dass Maßnahmen zum Schutz eines Betroffenen zu dessen Tod führen“, so Hager. Vielmehr hätten die Beamten die mildesten Mittel einsetzen, sich zurückziehen müssen, statt zu verfolgen. Deshalb hält Hager an einem Teil der Anklage fest: Weder das eingesetzte Pfefferspray noch die vier Faustschläge waren polizeirechtlich gerechtfertigt. Die vom Angeklagten als Rechtfertigung genannte Notwehr sei trotz der körperlichen Überlegenheit von Ante P. nicht erforderlich gewesen.

Vielmehr waren die Polizisten in der Überzahl, sie hätten den Deutsch-Kroaten mit Grifftechniken leicht zu Boden gebracht. Auch das Fesseln sei nicht nötig gewesen. Die Beißattacken hätte man mit dem Festhalten des Kopfes abwehren können statt mit Faustschlägen. So verwirft der Staatsanwalt den Vorwurf der schweren Körperverletzung mit Todesfolge im Amt und legt dem Oberkommissar drei strafbare Übergriffe zur Last. Solche Faustschläge, auch Schockschläge genannt, würden als vermeintlich zulässiges Mittel oft von Polizisten verwendet, seien aber nicht angemessen, so Hager.

Das geforderte Strafmaß solle zur Abschreckung dienen sowie die Suspendierung des Angeklagten berücksichtigen. Mit dem geforderten Strafmaß unter einem Jahr verzichtet der Staatsanwalt auf eine mögliche Vorstrafe und die verbundene Entfernung aus dem Beamtendienst. Der Prozess wird am 22. Februar um 9 Uhr mit Plädoyers der Verteidigung und der Nebenklage fortgesetzt.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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