Marktplatz

Tödlicher Polizeieinsatz in Mannheim: Wer war Ante P.?

Ante P. starb am 2. Mai 2022 während eines Polizeieinsatzes auf dem Mannheimer Marktplatz. Wer war der Mensch? Was hatte er für eine Geschichte, welche Wünsche und Pläne?

Von 
Agnes Polewka
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Ante P. 2020. Als Jugendlicher entwickelte er eine paranoide Schizophrenie. © privat

Kristina V. (Name von der Redaktion geändert) kann sich gut an die letzte Begegnung mit ihrem Bruder erinnern. Am 26. April 2022, da saßen beide gemeinsam auf der Bank vor seiner Wohnung auf der Rheinau und rauchten zusammen eine Zigarette. Sie sprachen über ihren Umzug in eine neue Wohnung und ihren neuen Job. Der 47-Jährige freute sich für seine kleine Schwester. Sechs Tage später war Ante P. tot.

Er starb am 2. Mai 2022 bei einem Polizeieinsatz auf dem Marktplatz. Deutschlandweit haben Medien darüber berichtet, was an diesem Tag passiert sein soll: Ante P., der unter einer paranoiden Schizophrenie litt, ging es schlecht, er war verwirrt, hatte Angst. Sein Arzt ließ ihn stationär aufnehmen, doch Ante P. verließ das ZI-Gelände. Der Arzt folgte ihm, schaltete schließlich Beamte der Polizeiwache H4 ein, weil er hoffte, sie könnten ihm dabei helfen, seinen Patienten zurück in die Klinik zu bringen. Darauf soll Ante P. Richtung Marktplatz gelaufen sein.

Was dann geschah, ist nahezu lückenlos über Videoaufnahmen dokumentiert – über Clips von Passanten und Aufzeichnungen von Überwachungskameras. Darauf ist zu sehen, wie P. die Straße überquerte, wie einer der Polizeibeamten ihn packte und sich P. wieder entwand. Wie er die Arme hochriss und einer der Beamten sein Pfefferspray zückte. Dann Schläge, die blutende Nase von Ante P., ein Polizist, der auf seinem Rücken sitzt. Eine letzte Bewegung.

Anruf der Mutter

Schon am Nachmittag des 2. Mai 2022 kursierten die Aufnahmen in den sozialen Netzwerken. Kristina V. bekam davon zunächst nichts mit. Sie saß gerade beim Abendessen, als das Telefon klingelte. Ihre Mutter und ein Cousin redeten auf sie ein. Baten sie, im Haus der Mutter vorbei zu kommen, weil sie ihr etwas sagen müssten. Später erfährt Kristina V.: Sie wollten mit ihr sprechen, bevor sie zufällig auf die Videos stieß, die Menschen da schon tausendfach geteilt und kommentiert hatten.

P. wollte wieder nach Kroatien reisen, fühlte sich aber nicht stabil genug. © privat

Kristina V. fällt es schwer, über den Tag zu sprechen, an dem ihre Welt ins Wanken geriet. Sie kann nicht mehr arbeiten, immer wieder versinkt sie in ihrer Trauer. Über ihren Rechtsbeistand, den Stuttgarter Anwalt, Engin Sanli, hat sie die Fragen dieser Redaktion beantwortet. Die Fragen nach Ante P.s Geschichte, nach seinem Charakter und nach seinen Träumen. Und die Fragen nach dem 2. Mai 2022, an dem sein Leben endete.

In den siebziger Jahren kamen die Eltern der Geschwister aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Region. Ante P. wurde 1974 geboren, seine Schwester ist vier Jahre jünger. Dann, Ante P. war schon ein Teenager, hatte er immer öfter Angst. Todesangst. Er litt unter Wahnvorstellungen, kam mit dem Alltag nicht mehr klar, brach seine Ausbildung ab.

Die Diagnose: paranoide Schizophrenie. Ante P. musste zum ersten Mal stationär in Behandlung. Immer wieder war er in den folgenden Jahren im Psychiatrischen Zentrum in Nordbaden in Wiesloch, dann kam er in einer Wohngruppe unter, später zog er in seine eigene Wohnung, mit Medikamenten gut eingestellt und betreut von Medizinern des ZI. Kristina V. sagt, Ante P. habe ein enges Vertrauensverhältnis zu seinem Arzt gehabt, jahrelang sei er gut betreut worden, durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZI. Bevor er starb, wurde er zu Hause regelmäßig von einer Pflegefachkraft der Einrichtung aufgesucht. Ante P. freute sich auf die Besuche, sagt Kristina V. Ihrer Ansicht nach tragen andere die Verantwortung für den Tod ihres Bruders.

Ante P. bei seiner Einbürgerung mit Oberbürgermeister Peter Kurz. © privat

Am 12. Januar 2024 soll der Prozess gegen die beiden Polizeibeamten beginnen, die so stark auf Ante P. eingewirkt haben sollen, dass er starb. Einer der beiden Männer ist wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt, der andere wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen.

Auf Körperverletzung im Amt mit Todesfolge steht eine Mindeststrafe von drei Jahren Haft. Bei fahrlässiger Tötung droht im Falle einer Verurteilung eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen den Arzt wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, steht bislang nicht fest, ob die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn Anklage erhebt.

Ante hatte ein gutes Vertrauensverhältnis zu seinem Arzt
Schwester von Ante P.

Ante P. sei ein ruhiger Mensch gewesen. In sich gekehrt, sensibel. Auf seinem Balkon im vierten Stock zog er Erdbeeren, pflanzte Blumen. Er träumte davon, nach Kroatien zu reisen, in das Heimatland seiner Familie, fühlte sich aber nicht stabil genug, sagt seine Schwester.

Geschütztes Umfeld

Ante P. hatte zwei Pässe, den deutschen und kroatischen. Es gibt ein Foto, das ihn bei seiner Einbürgerung mit Oberbürgermeister Peter Kurz zeigt. Er trägt ein kariertes Sakko, ein Hemd, sein Blick ist wach, er fixiert die Kamera.

Ante P. hatte sich ein Leben in Mannheim aufgebaut, hatte gute Phasen. Er fand in der arbeitstherapeutischen Werkstätte eine Aufgabe und ein geschütztes Umfeld, wurde dort mit anderen Menschen betreut, die psychische Erkrankungen haben. Mit Kollegen traf er sich auf dem Swansea-Platz, um Körbe zu werfen.

Ante war ein ruhiger Mensch, in sich gekehrt und sensibel
Schwester von Ante P.

Er habe auch gerne Fußball gespielt, in diesen Phasen, in denen es ihm gut ging, sagt seine Schwester. Als sein Körper noch nicht aufgedunsen war, von den Medikamenten.

Am Tag seines Todes wog er 137 Kilo. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft starb Ante P., weil er bei starkem Übergewicht zu lange auf dem Bauch lag, ohne sich mit den Händen abstützen zu können, weil sie auf seinem Rücken gefesselt waren. Er konnte nicht mehr richtig atmen, verlor das Bewusstsein.

Er träumte davon, nach Kroatien zu reisen
Schwester von Ante P.

Einer der beiden Polizeibeamten soll ihm zuvor gegen den Kopf geschlagen, ihn an der Nase verletzt haben, die blutete. Weil der 47-Jährige minutenlang auf dem Bauch lag, soll außerdem Blut in seine Atemwege gelangt sein.

Laut dem rechtsmedizinischen Gutachten, das die Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben hat, erstickte Ante P., weil ihn erstens niemand auf die Seite drehte und er zweitens das Blut nicht abhusten konnte. Sein Sterben ist auf den Videos vom 2. Mai 2022 dokumentiert. Um 12.11 Uhr, so hat es die Staatsanwaltschaft notiert, bewegte er sich zum letzten Mal.

Redaktion

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