Mannheim. Ein Jahr, zwölf Monate, 365 Tage: Der Krieg in der Ukraine hat das Jahr der deutschen Bundestagsabgeordneten geprägt wie kein anderes Thema. Wenn man es genau nimmt, setzen sich die politischen Repräsentanten sogar noch länger damit auseinander. Im Verteidigungsausschuss sei die Lage an der Ostgrenze Europas natürlich schon vor dem 24. Februar Dauerthema gewesen, erklärt zumindest Kevin Leiser am Mittwochabend im voll besetzten Seminarsaal EW 148 im Schloss.
Zusammen mit Mannheims SPD-Bundestagsabgeordneter Isabel Cademartori diskutiert der Sozialdemokrat, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags, ob in der Ukraine das Recht des Stärkeren am Ende gewinne. Nach eineinhalb Stunden lässt sich sagen: Wer gewinnt, ist so unklar wie die Frage, wie ein Frieden aussehen könne.
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Cademartori und ihr Fraktionskollege aus dem Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe liefern phasenweise interessante Einblicke in ihre eigenen Vorstellungen und Eindrücke vom Krieg. Dass der Diskussion bei der einen oder anderen Frage etwa zur Waffenlieferung oder zu Friedensverhandlungen eine politische Gegenstimme fehlt, ist auch dem geschuldet, dass sich die Juso-Hochschulgruppe bei der Auswahl ihrer beiden Gäste auf die eigene Partei beschränkt hat. Tatsächlich decken die beiden Sozialdemokraten aber in ihren persönlichen Meinungen eine Bandbreite ab, aus der sich durchaus auch Kontroversen ergeben.
„Das ist undenkbar“
Dabei legt vor allem Cademartori Wert darauf, als Abgeordnete auch eine eigene Meinung zu vertreten, die nicht immer die der von ihrer Partei geführten Regierung sei. Man müsse Sorgen ernstnehmen und dürfe es nicht als inkorrekt abtun, wenn gefragt werde, wie die Atommacht Russland einen Krieg verlieren könne. Sie wünsche sich in dieser Frage manchmal eine andere Debattenkultur, sagt Cademartori. „Ich persönlich halte es für legitim zu sagen, dass es irgendwann natürlich irgendeine Art von Verhandlung wird geben müssen, um den Krieg zu beenden.“ Das sei zumindest ihre Meinung, die nicht automatisch auch die der Regierung sei müsse. Einen zeitlichen oder gar einen inhaltlichen Horizont der Verhandlung, betont Cademartori im darauffolgenden Satz, dürfe man dabei niemandem setzen. „Es ist nicht an uns und wäre verhandlungstaktisch verheerend, der Ukraine zu sagen, auf diese Gebiete könnt ihr vielleicht verzichten. Das ist undenkbar.“
Leiser dagegen, der wie seine Mannheimer Fraktionskollegin mit 29 Jahren (Cademartori ist 35) zu den jüngeren Abgeordneten gehört, geht nach der Annexion der Krim 2015 und den gescheiterten diplomatischen Bemühungen unmittelbar vor dem 24. Februar 2022 davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin „diesen Krieg gewollt haben“ müsse. „Gibt es irgendjemandem hier, der Putin zutraut, sich an Verhandlungsergebnisse tatsächlich zu halten“, fragt der Verteidigungspolitiker, wohl rhetorisch. Er wird bestätigt: Es meldet sich niemand. „Ich traue ihm null über den Weg. Keine Sekunde, keinen Millimeter“, fährt Leiser fort. Das könne man nach dem, was geschehen ist, nicht mehr. „Wie soll man mit diesem Mann noch eine Vereinbarung treffen?“
In der Frage der Waffenlieferungen, da sind sich beide einig, erfülle Deutschland seine Verpflichtungen. Man gehöre zu den größten Waffenlieferanten der Ukraine. Aber bei allem müsse es darum gehen, „Russland mehr zu schaden als uns selbst“, erklärt Leiser. Deutschland dürfe keine Kriegspartei werden, betont Cademartori. Diese Risikoabwägung habe Diskussionen zur Folge, die geführt werden müssten. „Wir haben einen Eid geschworen, das Wohl des deutschen Volks im Blick zu behalten“, sagt sie. „Das dürfen wir nicht beiseitelassen.“
Ob die Ukraine auf absehbare Zeit Mitglied der Nato werden könne, will eine Zuhörerin wissen. Man sehe selbst am „eigentlich unproblematischen Fall wie Schweden“, dass in der aktuellen Lage ein Beitritt zum Verteidigungsbündnis nicht einfach sei, antwortet Cademartori. Die Türkei blockiert wegen diplomatischer Verwerfungen den Beitritt des skandinavischen Landes. Um einen Staat aufzunehmen, müssen alle Mitglieder zustimmen. Auch aufgrund der Umstände halte sie „einen Konsens in der Nato zum Beitritt der Ukraine aktuell nicht für realistisch“.
Schwierige Prognosen
Prognosen fallen Cademartori und Leiser schwer. „Was ist Frieden?“, windet sich Leiser bei der Frage, ob es den in diesem Jahr geben könne. Bevor es zu philosophisch wird, vielleicht zumindest eine Waffenruhe? Das müsse die Glaskugel beantworten. „Wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie sie unsere Unterstützung braucht.“ Und Cademartori? „Ich habe die Hoffnung, dass es einen Status quo geben wird, der besser ist als heute.“ Das sei eine Hoffnung, aber keine Prognose.
Die Frage, ob das Recht des Stärkeren gewinnt, bleibt unbeantwortet. Ebenso, wer dieser Stärkere überhaupt ist. Und so bleibt von dem Abend auch die Furcht davor, dass die Juso-Hochschulgruppe auch 2024 noch Gelegenheit haben wird, diesen Fragen nachzugehen.
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