Frau Schäfer, Sie sind Anfang Juni zur Präsidentin des Polizeipräsidiums Mannheim ernannt worden. Zuvor war Siegfried Kollmar sehr überraschend verstorben, und nur wenige Tage vor Ihrer Ernennung ist Ihr Kollege Rouven Laur auf dem Marktplatz getötet worden. Innenminister Thomas Strobl hat davon gesprochen, dass die Polizei Baden-Württemberg in dieser Zeit die schwärzesten Stunden überhaupt erlebt hat. Wie haben Sie Ihre ersten Tage als Polizeipräsidentin erlebt?
Ulrike Schäfer: Der Tod von Rouven Laur war ein unfassbar schreckliches Ereignis für das Polizeipräsidium Mannheim und für mich persönlich. Dass meine Ernennung zur Polizeipräsidentin in diesen Zeitraum gefallen ist, war für mich völlig unerheblich, weil der Tod von Rouven Laur so präsent war, dass die Übertragung dieses Amts für mich eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Ich war ohnehin seit Mitte Februar beauftragt, das Präsidium zu leiten, und habe mich schon verantwortlich gefühlt, als ich noch Vizepräsidentin war. Rouven Laur war wichtig, und alles andere hat in dieser Zeit keine Rolle gespielt.
Ihre Ernennung wurde am 5. Juni, kurz nach 17 Uhr bekanntgegeben. Der Zeitpunkt, fünf Tage nach dem Messer-Attentat vom Marktplatz, war schon überraschend.
Schäfer: Die Entscheidung hat das Innenministerium getroffen. Das Kabinett hat dienstags …
… das war der 4. Juni …
Schäfer: … meiner Berufung zugestimmt. Dann hat man auch schnell kommuniziert. In der Pressemitteilung zeigt sich, dass das Innenministerium damit wohl auch die Absicht verbunden hatte, den Kolleginnen und Kollegen zu zeigen: Die, die sich jetzt um euch kümmert, wird auch die sein, die künftig das Präsidium leitet. Dieses Zeichen von Verlässlichkeit und Kontinuität in der Leitung des Präsidiums wollte das Innenministerium setzen.
Zur Person: Ulrike Schäfer
- Geboren ist Ulrike Schäfer am 27. August 1967, sie kommt aus Neuenburg am Rhein.
- 1991 ist sie in den Polizeidienst eingetreten.
- Nach mehreren Stationen im baden-württembergischen Innenministerium sowie den Kriminalinspektionen 2 der Polizeipräsiden Ludwigsburg und Karlsruhe wechselte Schäfer 2021 als Polizeivizepräsidentin nach Mannheim.
- Seit Anfang Juni 2024 ist sie Präsidentin des Mannheimer Polizeipräsidiums.
Wenn Sie sich noch mal an die Tage nach dem 31. Mai zurückerinnern. Es hat hitzige Demonstrationen und eine bewegende Trauerfeier gegeben, auf der Sie auch gesprochen haben. Wie schwierig war es für die Polizei in diesen Tagen, dem Alltag nachzugehen?
Schäfer: Das war ein schreckliches Ereignis, das uns emotional alle wahnsinnig betroffen gemacht hat. Trotzdem mussten wir schon zwei Tage später wieder eine Versammlung schützen.
Das waren die der Jungen Alternative und die Gegendemonstration mit Menschenkette auf dem Marktplatz.
Schäfer: Ja. Die Versammlungen gehen weiter, die Kriminalität geht weiter, Einsatzlagen gehen weiter - da müssen wir unsere Aufgaben trotz allem professionell lösen. Meine Kolleginnen und Kollegen haben das auch sehr professionell getan. Aber natürlich gibt es auch Kolleginnen und Kollegen, die am 31. Mai unmittelbar betroffen waren. Sie sind sofort psychologisch betreut worden, und ich habe sie aus dem Dienst genommen, damit sie eben in den ersten Tagen nicht gleich wieder in den Einsatz gehen müssen. Andere sind mit der Situation anders umgegangen, haben Halt darin gefunden, indem sie ihren Alltag so fortgeführt haben, wie sie ihn gewohnt sind. Wir haben als Polizei unsere Aufgaben professionell bewältigt. Da habe ich auch sehr großen Respekt vor meinen Kolleginnen und Kollegen, die das geschafft haben.
Ist jetzt, mehr als 100 Tage danach, wieder Normalität im Polizeipräsidium eingekehrt?
Schäfer: Normalität wird es nach diesem Tag nicht mehr geben. Das war ein derart einschneidendes Erlebnis für die Kolleginnen und Kollegen, die immer noch jeden Tag auf der Straße im Einsatz sind. Das macht schon etwas mit uns allen.
Die Anteilnahme war groß nach dem Attentat. Das war nicht immer so. Gerade die vergangenen zweieinhalb Jahre waren alles andere als einfach für die Mannheimer Polizei. Nach mehreren Einsätzen, bei denen Menschen ihr Leben verloren haben, war sie bundesweit in den Schlagzeilen: Die Einsätze am 2. Mai 2022 am Marktplatz und am 23. Dezember 2023 auf der Schönau sind da zuallererst zu nennen. All das hat zu sehr viel Kritik geführt. Würden Sie rückblickend sagen, die Polizei hat in dieser Zeit Fehler gemacht?
Schäfer: Als Polizeipräsidentin wünsche ich mir natürlich nicht, dass meine Kolleginnen und Kollegen in so schwierige Situationen kommen, wie Sie sie ansprechen. Jeder Einsatz ist eine große Herausforderung, die meine Kolleginnen und Kollegen professionell abarbeiten. Polizeiliches Einschreiten strafrechtlich zu würdigen, ist die Aufgabe von Gerichten, das steht mir nicht zu. Ich glaube, dass die Mannheimer Polizei trotz allem ein sehr großes Vertrauen in der Bevölkerung genießt.
Nach dem Attentat auf Rouven Laur haben wir gesehen, wie groß die Anteilnahme war. Ich erinnere mich an Beifall auf dem Marktplatz. Wir haben unglaublich viele Beileidsbekundungen in Briefen und Karten erhalten, es sind Blumen abgelegt worden. Daran sieht man, welchen Stellenwert die Polizei hat
Gerichte und Behörden haben die Polizistinnen und Polizisten in den Fällen größtenteils entlastet. Trotzdem hatte man den Eindruck, dass das Vertrauen in die Polizei in dieser Zeit gesunken ist.
Schäfer: Nach dem Attentat auf Rouven Laur haben wir gesehen, wie groß die Anteilnahme war. Ich erinnere mich an Beifall auf dem Marktplatz. Wir haben unglaublich viele Beileidsbekundungen in Briefen und Karten erhalten, es sind Blumen abgelegt worden. Daran sieht man, welchen Stellenwert die Polizei hat. Natürlich gibt es Menschen, die mit der polizeilichen Arbeit nicht zufrieden sind, vor allem, wenn sie persönlich betroffen sind. Trotzdem genießt die Polizei - gerade auch nach dem Attentat an Rouven Laur - großes Vertrauen in der Bevölkerung.
War der 31. Mai ein Wendepunkt, weil er gezeigt hat, in welche gefährlichen Situationen sich Polizistinnen und Polizisten begeben müssen, um andere zu schützen?
Schäfer: Ob er ein Wendepunkt war, weiß ich nicht. Es ist immer schwierig, an solchen schrecklichen Einzelfällen eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Wir selbst wissen natürlich, wie gefährlich der Beruf ist. Der Fall Rouven Laur hat noch einmal eine andere Dimension, und er hat deutlich gezeigt, dass trotz sorgfältiger Vorbereitung und guter Ausstattung so etwas passieren kann. Das Ausmaß der Tat vom Marktplatz hat bei uns Eindruck hinterlassen, und sicher auch bei der Bevölkerung.
Die Menschen machen sich derzeit Sorgen um die Sicherheit. Nach dem Marktplatz-Attentat wird bundesweit darüber diskutiert, Messer beispielsweise auf Volksfesten und in Zügen zu verbieten. Was halten Sie von diesen Debatten und diesen Forderungen?
Schäfer: Wir sollten nicht zulassen, dass es normal ist, Messer mitzuführen. Man sieht ja, dass die Angriffe mit Messern und Auseinandersetzungen, in denen Messer eine Rolle spielen, zunehmen. Deswegen sollte die Debatte um Messerverbote geführt werden. Jedes Messer, das nicht mitgeführt wird, kann nicht eingesetzt werden für Straftaten.
Auch in Mannheim gibt es immer mehr Delikte mit Messer?
Schäfer: Richtig, deshalb gibt es in Mannheim eine Waffen- und Messerverbotszone.
Die ist seit dem 1. Dezember 2023 in Kraft. Hat sie sich aus Sicht der Polizei bislang bewährt?
Schäfer: Es ist noch zu früh, ein abschließendes Urteil zu fällen. Ich persönlich glaube, dass die Waffen- und Messerverbotszone ein Baustein ist, der dazu beitragen kann, die Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten. Allein löst sie keine Probleme, und sicher werden wir damit Straftaten wie gegen Rouven Laur oder in Solingen nicht verhindern können.
Noch mal zu den Messerverboten. Die kann man leicht fordern. Aber Verbote bringen nichts, wenn sie nicht konsequent kontrolliert werden. Ist das für die Polizei überhaupt leistbar?
Schäfer: Dazu muss man sagen, dass mit der Waffen- und Messerverbotszone in Mannheim keine Kontrollbefugnisse für die Polizei einhergehen. Wir führen unsere Kontrollen nach polizei- oder strafrechtlichen Vorgaben durch. Zunächst ist jetzt der Gesetzgeber gefordert, zu entscheiden, welche Regelungen es geben soll. Sollte dadurch der Polizei eine Aufgabe übertragen werden, werden wir diese auch erfüllen.
Natürlich ist mehr Personal immer gut. Aber die Mannheimer Polizei kann ihre Aufgaben mit dem Personal, das zur Verfügung steht, gut bewältigen
Es gibt bereits die Diskussion, ob die Kontrollbefugnisse der Polizei erweitert werden sollten, um die Sicherheit zu erhöhen. Das Stichwort der anlasslosen Kontrollen wabert durch die Debatte. Braucht die Polizei mehr Befugnisse?
Schäfer: Mit denen, die die Polizei derzeit besitzt, kommen wir klar. Mit Bezug zur Waffen- und Messerverbotszone wäre es aber hilfreich, durch die Verordnungen entsprechende Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen. Denn wir können die Regelungen nur durchsetzen, wenn wir die Kontrollbefugnisse haben.
Also macht eine Waffen- und Messerverbotszone mehr Sinn, wenn gleichzeitig die Kontrollbefugnisse der Polizei ausgeweitet werden?
Schäfer: Die Waffen- und Messerverbotszone selbst beinhaltet keine Rechtsgrundlage, Kontrollen durchzuführen. Heißt: Die Polizei führt Kontrollen nach dem Polizeigesetz oder dem Strafprozessrecht durch und hat die Möglichkeit, Waffen sicherzustellen, die bei diesen Kontrollen gefunden werden.
Das haben wir verstanden. Aber macht es mehr Sinn, eine solche Zone einzuführen, wenn die Polizei gleichzeitig auch mehr Kontrollbefugnisse erhält?
Schäfer: Wäre in der Verordnung zur Waffen- und Messerverbotszone eine Kontrollbefugnis enthalten, wäre das hilfreich.
Und genug Personal für solche Kontrollen ist vorhanden? Zuletzt hat die Gewerkschaft der Polizei die personelle Ausstattung des Präsidiums als zu gering kritisiert.
Schäfer: Natürlich ist mehr Personal immer gut. Aber die Mannheimer Polizei kann ihre Aufgaben mit dem Personal, das zur Verfügung steht, gut bewältigen.
Lassen Sie uns über die Innenstadt sprechen. Die hat nicht nur eine große Waffen- und Messerverbotszone, sondern gehört auch zu den am meisten und am fortschrittlichsten videoüberwachten Städten. Trotzdem hört man immer wieder, dass sich vor allem junge Frauen - auch vor dem 31. Mai - vergleichsweise unsicher fühlen. Teilweise so sehr, dass sie die Quadrate abends meiden. Wie passt das zusammen?
Schäfer: Sicherheitsbefragungen zeigen, dass das Unsicherheitsgefühl bei jungen Frauen in allen Städten überproportional ausgeprägt ist. Oft spiegelt dieses Gefühl aber nicht die Realität wider. Als Polizei berücksichtigen wir in erster Linie die objektive Situation. Wir bewerten die Situation ständig, um gegebenenfalls mit Präsenz oder verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zu reagieren. Junge Frauen fühlen sich einfach oft unsicher - da spielt der Videoschutz eine untergeordnete Rolle.
Sorge und Angst bereiten vielen die Demonstrationen und Versammlungen zum Nahost-Krieg in der Innenstadt. Die finden seit fast einem Jahr regelmäßig an Wochenenden in Mannheim und teilweise auch in Heidelberg statt. Siegfried Kollmar hatte im Dezember mal gesagt, die Lage in Mannheim sei „angespannt“. Wie nehmen Sie die Sicherheitslage momentan wahr?
Schäfer: Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, und als Polizei haben wir den Auftrag, diese Freiheit zu schützen. Natürlich werden die Demonstrationen emotional geführt, und mitunter brechen sich auf unseren Straßen politische und gesellschaftliche Probleme Bahn. Trotzdem muss man betonen, dass die vielen Versammlungen hier überwiegend friedlich ablaufen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es Konflikte gibt, wenn unterschiedliche Sichtweisen - vor allem beim Nahost-Konflikt - aufeinandertreffen. Darauf sind wir sehr gut vorbereitet.
Als regelmäßiger Beobachter der Demonstrationen in Mannheim nehmen wir in den letzten Wochen trotzdem wahr, dass das Geschehen wieder hitziger wird und die gefühlte Gefahr ansteigt. Auf Mannheims Straßen wird Israel inzwischen offen und wörtlich das Existenzrecht abgesprochen, von der Hamas als Terrororganisation wird sich nicht distanziert. Auf der anderen Seite gibt es teils nicht-angemeldete Gegenproteste, die von der Gegenseite wiederum als Provokation aufgefasst werden. Natürlich hat es noch keine gewaltsamen Ausschreitungen gegeben und wird es hoffentlich auch nicht geben. Aber es gibt Beleidigungen, Bedrohungen und hasserfüllte Beschimpfungen, die das Sicherheitsgefühl vieler - auch Unbeteiligter - beeinträchtigen. Nehmen Sie diese Zuspitzung auch wahr oder täuscht uns dieser Eindruck?
Schäfer: Natürlich ist die Emotionalität groß. Wenn es im Nahen Osten entsprechende Angriffe oder Auseinandersetzungen gegeben hat, spüren wir das auch bei Demonstrationen in Mannheim. Strafrechtlich relevante Sachverhalte, wie Israel das Existenzrecht abzuerkennen, verfolgen wir zusammen mit der Staatsanwaltschaft. Die rechtliche Würdigung obliegt dann Gerichten. Wir versuchen mit unserer Strategie, dass die Versammlungen friedlich ablaufen und Konflikte nicht auf unseren Straßen ausgetragen werden.
Nehmen Sie Kritik wahr, dass die Polizei zu zurückhaltend und passiv agiert und sich deshalb auch Unbeteiligte mitunter unzureichend geschützt fühlen?
Schäfer: Das teile ich nicht. Für uns sind Inhalte von Demonstrationen vollkommen irrelevant. Das mag vielleicht bei dem einen oder anderen, der vielleicht auch dem jeweils gegensätzlichen Lager zugeordnet werden kann, manchmal auf wenig Verständnis stoßen. Das ist aber unsere Aufgabe, und die nehmen wir wahr. Wir können den Schutz aller gewährleisten. Natürlich prüfen wir Kritik und hinterfragen uns ständig, wo wir besser werden können.
Wo sehen Sie prinzipiell derzeit Kriminalitätsschwerpunkte in Mannheim?
Schäfer: Wir haben die Probleme, die es in einer Großstadt immer wieder gibt und die diskutiert werden. Aktuell gibt es Diskussion um die Drogensituation am ALTER. Letztes Jahr haben wir viele Raubüberfälle im Innenstadtbereich gehabt. Mannheim ist eine Großstadt. Ich kann aber versichern, dass wir das im Auge haben und mit offenen und verdeckten Maßnahmen auf Entwicklungen reagieren.
Würden Sie jungen Menschen heutzutage immer noch raten, Polizistin oder Polizist zu werden?
Schäfer: Auf jeden Fall. Es ist ein spannender und interessanter Beruf, in dem man dafür einstehen kann, dass die Bevölkerung sicher leben kann.
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