Gedenken

100 Tage nach dem Attentat: Das sagen Besucher auf dem Mannheimer Marktplatz

Der Messerangriff am 31. Mai auf dem Marktplatz und der Tod von Polizist Rouven Laur haben Mannheim tief getroffen. Am Tatort ist das 100 Tage später immer noch deutlich spürbar

Von 
Tanja Capuana
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Auch nach mehr als drei Monaten prägt das, was hier geschehen ist, die Atmosphäre am Marktplatz. © Thomas Tröster

Mannheim. Die Mannheimer Innenstadt präsentiert sich nach dem sommerlichen Samstag an diesem Sonntag mit einer eher kühlen Witterung. Es ist windig, regnerisch und der Himmel ist grau. Eigentlich passt das Wetter zur Stimmung: Vor exakt 100 Tagen wurde der junge Polizist Rouven Laur von einem Afghanen auf dem Marktplatz niedergestochen. Eine Gedenkstätte rund um den Brunnen erinnert an den 29-jährigen Polizeibeamten, der sein Leben verloren hat.

Zahlreiche Blumen, Fotos, Kerzen und Briefe erinnern an den jungen Mann, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Zwei rote Grablichter und Teelichte stehen ein paar Meter entfernt. Auf einem Papier in Klarsichtfolie ist zu lesen: „100 Tage nach dem Attentat“. Dazu das Datum des Überfalls sowie das vom Sonntag. Wer es dort hingelegt hat, weiß man nicht.

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Florian Karlein
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An diesem Nachmittag ist einiges los. Zwei kleine Kinder rennen einem Schwarm Tauben hinterher, die panisch wegfliegen. Junge, aber auch ältere Paare sowie Familien passieren den Platz. Eine Frau mit kurzen Haaren läuft gezielt zur Gedenkstätte, liest sich einen Text durch. Ihr ist die Bestürzung anzumerken. Dazu äußern möchte sie sich aber nicht. Nach wenigen Minuten läuft sie weiter.

Seit Martkplatz-Attentat: Junge Frau fühlt sich nicht mehr sicher

Das Attentat lässt auch die Freunde Kim und Luca nicht kalt. Die WG-Bewohner haben Besuch von einem Bekannten aus Koblenz und gehen in der Stadt spazieren. „Man denkt auf jeden Fall an das Attentat, wenn man über den Marktplatz läuft“, sagt Luca. „Es ist erschütternd“, fügt der junge Mann hinzu. „Mit diesem Attentat gingen die ganzen Messerangriffe in Deutschland so richtig los.“

Kim erzählt, dass sie an der Mahnwache für Laur teilgenommen hat. Auch danach waren sie und Luca bei Demos gegen die AfD dabei gewesen. Was Luca sauer aufstößt: dass manche Rechte die Tat nutzten, um Hetze zu betreiben und den Tod des jungen Mannes dafür instrumentalisierten. Die Tatsache, dass Anhänger der rechten Szene Blumen niedergelegt haben, sieht er als pure Ironie an.

Vor 100 Tagen wurde der 29 Jahre alte Polizist Rouven Laur auf dem Marktplatz niedergestochen. © Tanja Capuana

Donjeta hat von der schrecklichen Tat aus den Sozialen Medien erfahren. Die 20-Jährige lebt in Karlsruhe, ist aber immer mal wieder in Mannheim. Wenn sie am Tatort vorbeikommt, ist die Tat für die junge Frau wieder real. Sie fühlt sich hier auch inzwischen nicht mehr so sicher: „Früher hätte ich nicht gedacht, dass ich das sagen würde.“ Dass die Polizei mehr Präsenz zeigt, findet sie wiederum gut.

Özkan zückt sein Handy: Der 50-jährige Mannheimer ist live auf Tiktok. Dort zeigt er seinen Followern regelmäßig die Gedenkstätte für Rouven Laur. Er schüttelt den Kopf, als könnte er es immer noch nicht glauben. „Irgendein Asylbewerber sticht einfach einen 29-jährigen Polizisten ab“, sagt er, und Wut schwingt in seiner Stimme mit. „Das ist einfach frech.“ Özkan wohnt gleich um die Ecke, er kommt regelmäßig hierher. Er sei einer der ersten gewesen, die an der Stätte etwas abgelegt haben. „Meine Follower fragen oft danach“, erzählt er.

Lob für die Polizei: "Die hat richtig gehandelt"

Eine junge Frau läuft mit ernster Miene zum Brunnen. Die 34-jährige Anouk stammt ursprünglich aus Mannheim, lebt aber inzwischen in Freiburg. Begleitet wird sie von drei Freundinnen. „Ich bin zum ersten Mal an der Gedenkstätte“, sagt Anouk. Sie empfinde sehr viel Traurigkeit. Erfahren hat sie von der Tat durch die Nachrichten. Die vier Frauen laufen schließlich weiter.

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Erkan zeigt seinen Eltern, die in Frankfurt wohnen, die Gedenkstätte. Der junge Mann war während der Tat an seinem Arbeitsplatz: Der Viernheimer arbeitet in einem der türkischen Restaurants auf dem Marktplatz. Er und seine Kollegen haben mitbekommen, dass etwas passiert war, aber erfuhren erst zehn Minuten später über Videos, die viral gingen, was tatsächlich geschehen war. Durch die Tat habe sich manches verändert. Früher seien auch viele Gäste von weiter entfernten Städten hergekommen, inzwischen bleiben einige Besucher, die nicht aus der Region stammen, weg. Angst, dass ihm etwas zustoßen könnte, hat er nicht. „So etwas kann überall in der Welt passieren“, sagt Erkan.

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Saif aus Lampertheim hat Besuch: Er möchte seinem Bekannten gern die Gedenkstätte von Laur zeigen. Er wundert sich, dass die Tat in Mannheim passiert ist. „Die Stadt ist ja eigentlich extrem multikulturell geprägt“, sagt der 32-Jährige, der die Tat verurteilt. Orhan aus Bad Dürkheim hat früher in Mannheim um die Ecke gewohnt. Damals sei so eine Tat nicht vorstellbar gewesen, sagt der Familienvater. Er ist vorsichtiger geworden. „Bei drei Kindern schaut man etwas genauer hin.“

Horst und Cordula sind noch immer bestürzt über das grausame Schicksal, das Rouven Laur widerfahren ist. © Tanja Capuana

Horst und Cordula sind noch immer bestürzt über das grausame Schicksal, das Rouven Laur widerfahren ist. „Ich kann nicht verstehen, wie jemand einen anderen Menschen mit dem Messer abstechen kann - im öffentlichen Raum“, sagt der Mannheimer kopfschüttelnd. „Da müssen Leute sterben, die helfen wollen. Junge Leute.“ Nach der Tat sei es auf dem Marktplatz sehr ruhig gewesen. Cordula hat bereits Rosen niedergelegt. Das Ehepaar ist überrascht, dass die Tat sich in Mannheim ereignet hat, wo viele verschiedene Kulturen und Religionen friedlich zusammenleben. „Das hat immer gut funktioniert“, sagt Cordula. Sie bedauert, dass der tödliche Angriff die Bewohner spalte, und manche Leute das zur Hetze nutzten. Angst, auf den Marktplatz zu gehen, hat sie nicht. Festgestellt hat die Mannheimerin, die regelmäßig auf dem Wochenmarkt einkauft, dass manche Läden die Zelte abgebrochen hätten. Das Paar ist zudem davon überzeugt, dass die Polizei richtig gehandelt habe. „Sie hat sehr schnell reagiert.“

Freie Autorin Kulturredaktion, Lokalredaktion, Wochenende. Schwerpunkte: Bunte Themen, Reisereportagen, Interviews, Musik (von elektronischer Tanzmusik bis Pop), Comedy und Musicals

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