Mannheim. Herr Hötting, wie haben Sie Ihren Samstag verbracht?
Christian Hötting: Ich bin zu Hause gewesen und habe sehr viele Telefonate geführt und Mails geschrieben.
Sie ahnen wahrscheinlich, worauf wir hinauswollen. Tausende Menschen haben – wie vor fast genau einem Jahr – auf dem Alten Meßplatz demonstriert. Diesmal ging es aber nicht um die AfD und deren „Remigration“-Pläne, sondern darum, dass CDU und FDP im Bundestag bei einem Antrag und einem Gesetz eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf genommen haben. Hat Sie überrascht, dass das überall in Deutschland derartige Massenproteste gegen die CDU ausgelöst hat?
Hötting: Dass es eine Demonstration geben wird, war mir klar. Dass es eine gegen die rechtsextreme AfD geben wird, war für mich auch klar. Daran sind wir vor noch gar nicht allzu langer Zeit ja auch selbst beteiligt worden. Dass es Demonstrationen jetzt auch gegen uns gibt, hat mich in dem Ausmaß schon überrascht. Mich haben aber auch ganz andere Dinge überrascht.
Welche?
Hötting: Zum Beispiel, dass ich plötzlich Gespräche führen muss, ob unsere Wahlkampfstände noch sicher sind. Am Freitag musste ich der Polizei unsere Stände durchgeben, weil Mitglieder Angst haben, Wahlkampf zu machen. Ich bin von ihnen gefragt worden, ob Stände am Wochenende in der Neckarstadt, der Innenstadt, in Neckarau und in der Gartenstadt wirklich stattfinden und man dahin muss. Das müssen die Mitglieder selbst entscheiden. Ich werde niemanden in den Wahlkampf schicken, der sich dabei unwohl fühlt. Die Stände in der Neckarstadt und in der Innenstadt haben wir abgesagt, weil sie teilweise gleichzeitig mit der Demonstration stattgefunden haben und Mitglieder gesagt haben, dass wir ihnen das nicht zumuten können.
Hat es konkrete Bedrohungen gegeben?
Hötting: Es hat im ganzen Land Angriffe auf CDU-Geschäftsstellen gegeben. In Mannheim wurde die von Melis Sekmen beschmiert. Unsere Plakate werden in größerem Ausmaß zerstört als in anderen Wahlkämpfen. Wir haben Mails bekommen, die man als Bedrohung auffassen kann. Eine bezieht sich auf den Besuch von Friedrich Merz am Donnerstag in Feudenheim. Darin wird angekündigt, dass Barrikaden brennen werden, und Mannheim wird zur Endstation und zum Kriegsgebiet erklärt. Da hört der Spaß auf. Das sind Dinge, bei denen wir aufpassen müssen, dass da nichts verrutscht.
Dass das über ein hinnehmbares Maß hinausgeht, darüber sind wir uns in dieser Runde einig. Überrascht Sie aber, wie massiv die CDU auf einmal in der gesellschaftlichen Kritik steht? Die Partei bezeichnet sich als letzte verbliebene Volkspartei.
Hötting: Es überrascht mich, weil ich nicht glaube, dass die CDU das verdient hat. Wir haben immer gegen die AfD gesprochen, haben immer gegen die AfD gestimmt. Es gibt keinen Gesetzesentwurf oder auf kommunaler Ebene in Mannheim kein Vorgehen der AfD, dem die CDU zugestimmt hat. Wir sind letzte Woche einen neuen Weg gegangen. Uns zu unterstellen, wir verlassen damit den demokratischen Pfad, halte ich für absolut überzogen und in der Sache falsch.
Es hat mich nicht gefreut. Es wäre besser gewesen, wenn wir den Antrag mit der politischen Mitte durchgebracht hätten. “
Sie selbst haben letzte Woche Friedrich Merz und dessen Kurs verteidigt. Merz sagt, er würde alles wieder so machen. Würden Sie das auch alles wieder so machen?
Hötting: Das weiß ich nicht, ob ich das wie Merz machen würde. Dafür bin ich vielleicht ein zu großer Angsthase (lacht). Ich kann, in dem Wissen, was das ausgelöst hat, nicht sagen, ob ich das in der Form auch so so gemacht hätte. In der Sache selbst, hat Friedrich Merz Recht. Der Gesetzesentwurf existiert seit September und wurde in Ausschüssen behandelt. Die AfD hat gesagt: Super, jetzt machen wir ein bisschen Druck und stellen den Antrag als AfD-Antrag. Das hat uns in ein Dilemma gebracht: Dem AfD-Antrag können wir auf keinen Fall zustimmen, auch wenn das eins zu eins unsere Forderungen waren. Wir können unsere Forderungen aber auch schlecht ablehnen, nur weil sie auf dem falschen Briefbogen stehen. Deshalb haben wir den Antrag selbst gestellt und Gespräche mit SPD und Grünen gesucht. Das hat leider nicht funktioniert. Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie ernst die eine wie die andere Seite die Gespräche genommen hat.
Trotzdem ist es gekommen, wie es gekommen ist: Die AfD hat zur Mehrheit verholfen, was zuvor absehbar und nicht überraschend war. Was haben Sie gedacht, als die Nachricht kam, dass die Unions-Fraktion tatsächlich den Antrag mithilfe der AfD durchgebracht hat?
Hötting: Es hat mich nicht gefreut. Es wäre besser gewesen, wenn wir den Antrag mit der politischen Mitte durchgebracht hätten. Für mich ist aber nach wie vor der Satz richtig: „Inhalte werden nicht dadurch falsch, weil sie die Falschen auch gut finden.“ Wir dürfen uns von dieser Partei nicht abhängig machen und es ihr damit zu einfach machen.
Machen Sie es sich damit aber nicht auch etwas leicht?
Hötting: Wir haben viele Strategien zur Eindämmung der AfD ausprobiert. 2021 lag sie bei etwas über zehn Prozent – jetzt bei 20 Prozent. Irgendwas scheint nicht funktioniert zu haben. Friedrich Merz hat deshalb jetzt den Ansatz gewählt, zu schauen, was die Menschen wirklich bewegt. Neben Wohnraum und Energiepreise ist da das Thema Migration. Um die in geordnete Bahnen zu lenken, haben wir diesen Antrag gestellt. Die Leute wollen sehen, dass sich etwas tut, dass sich ,die da oben‘ kümmern und versuchen, etwas zu verändern. Das muss nicht jedem gefallen und es muss auch nicht jeder inhaltlich damit übereinstimmen. Aber es geht doch auch ums Signal.
Ist das Signal richtig, einen Antrag zu stellen, dem die AfD zustimmen und als Erfolg verbuchen kann?
Hötting: Wir haben beileibe nichts mit der AfD zusammen machen wollen. Da gilt nach wie vor das, was ich immer schon gesagt habe: Wir haben mit der AfD nichts gemein. Uns trennen inhaltlich und moralisch Welten. Aber wir können einen Antrag nicht zurückziehen, nur weil die AfD ihn gut findet.
Christian Hötting
Seit Ende Oktober 2021 ist Justizfachwirt Christian Hötting Vorsitzender der Mannheimer CDU. Zuvor war er Pressesprecher der Partei und Chef des Ortsverbandes Nordost.
2014 war Hötting von Nordrhein-Westfalen nach Mannheim gekommen. Dort saß er 15 Jahre im Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Schermbeck .
In dem 14 000-Einwohner-Ort war Hötting auch zehn Jahre CDU-Vorsitzender .
Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 wurde Hötting auch in den Mannheimer Gemeinderat gewählt . imo/lok
Wie finden die CDU-Mitglieder in Mannheim diesen Ansatz? Stehen die geschlossen hinter Merz?
Hötting: Natürlich gibt es Stimmen, die fragen, ob das jetzt hat sein müssen. Das sind aber wenige. Ich will nicht verschweigen, dass letzte Woche ein Mitglied deshalb aus der Partei ausgetreten ist, gleichzeitig haben wir aber fünf neue Mitglieder. Natürlich sagt da niemand explizit, er ist eingetreten, weil er Merz plötzlich so gut findet. Aber fünf Eintritte in so wenigen Tagen ist auch für uns etwas Ungewöhnliches. Die CDU Mannheim steht also hinter Friedrich Merz und hält seinen Weg für richtig.
Wenn es mit der neuen Strategie nun aber noch mehr CDU-Anträge gibt, die auch bei der AfD auf breite Zustimmung stoßen, machen Sie sich dann Gedanken über mögliche Konsequenzen? Zum Beispiel die, dass die Union die AfD und deren Inhalte dadurch auch normalisiert?
Hötting: Wenn man nach Ostdeutschland schaut, sind unsere Strategien bisher gescheitert. Die AfD ist dort für viele Leute schon normal. Wir müssen aus der politischen Mitte heraus wieder anfangen, intensiver und mehr miteinander zu agieren. Ich gehe davon aus, dass vieles von dem, was jetzt passiert, auch dem Wahlkampf geschuldet ist. Und wenn es so sein sollte – ich benutze ausdrücklich diese Zeitform –, dass die CDU an der nächsten Regierung wie auch immer beteiligt sein wird, wird sie hoffentlich eine Mehrheit mit anderen Parteien haben. Ausdrücklich betont: Nicht mit der AfD. Dann wird die Union auch nicht mehr in die Verlegenheit kommen, dass solche Situationen nochmal entstehen. In diesem schmalen Raum der Mitte müssen sich alle, und ich wiederhole: alle Parteien der politischen Mitte zusammenreißen und den Wahlkampf vielleicht auch mal hintenanstellen. Vor der Abstimmung über den Antrag hat es am Mittwoch mehrere Abstimmungen zum Thema Energie gegeben, bei denen es eine Mehrheit aus CDU, CSU, Grüne, SPD und teilweise auch FDP gegeben hat. Da ging es doch auch. Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße.
Hat sich Friedrich Merz letzte Woche aber nicht in die Situation gebracht, dass er für SPD und Grüne als Kanzler noch weniger vorstellbar ist als er es in den Lagern ohnehin in Teilen schon war?
Hötting: Man wird nach dem 23. Februar sehen, wie viel von den Empörungen noch übrig ist. Wenn die Umfragen so bleiben und zu Ergebnissen werden, wird keine Regierung ohne uns möglich sein. Friedrich Merz ist unser Kandidat, wird das auch bleiben und Kanzler werden. Wenn sich eine Mehrheit jenseits von ihm findet, ist das so und es wird ein anderer Kanzler. Natürlich ist es nicht einfacher geworden. Deshalb kann ich nur jedem raten, sich verbal ein wenig zurückzunehmen. Damit meine ich ausdrücklich Hardliner bei uns, aber auch auf der anderen Seite. Man muss immer sprechfähig bleiben. Bei all den Wunden, die man sich im Wahlkampf gegenseitig zufügt, muss man immer daran denken: Man sieht sich zweimal im Leben und muss unter Demokraten auch nach dem Wahlkampf gut miteinander auskommen.
Wir haben Sie in der Vergangenheit als klaren Verfechter der Brandmauer erlebt, der sich von der AfD abgegrenzt hat. In der letzten Woche haben Sie gesagt, dass die Brandmauer immer noch fest steht – obwohl Sie, wie Sie eben gesagt haben, nicht ganz glücklich waren mit dem Zustandekommen des Abstimmungsergebnisses. Wie definieren Sie die Brandmauer zur AfD, wenn Sie behaupten, dass die noch steht?
Hötting: Ich arbeite mit der AfD keine Anträge aus. Ich stelle mit der AfD keine gemeinsamen Anträge. Ich gehe mit der AfD in keine Koalition. Das sind die wesentlichsten Punkte der Brandmauer. Es wird mit der CDU keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Daran halten wir uns und deshalb steht die Brandmauer. Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen wäre es rein rechnerisch – und ich betone: rein rechnerisch, nicht inhaltlich – einfach gewesen, mit der AfD zu koalieren. Das haben wir nicht gemacht, weil es inhaltlich nicht passt und wir das mit Rechtsextremen nicht machen.
Jetzt war es rechnerisch auch einfach, mit Stimmen der AfD den Antrag durchzubringen und die Union wollte auch ein Gesetz durchbringen. Da haben Sie es gemacht. Das widerspricht sich doch.
Hötting: Nein. Allein mit der AfD hätte es nicht funktioniert. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch BSW und FDP mitgestimmt haben. Aber ja: Mit der AfD Mehrheiten zu organisieren, ist nach wie vor nichts, was wir wollen. Aber wir werden unsere Anträge auch nicht danach ausrichten, wer sie gut oder schlecht findet. Im besten Falle müssen sie aus der demokratischen Mitte kommen. Und das wäre auch in diesem Fall möglich gewesen, wenn kein Wahlkampf gewesen wäre.
Ich bin derjenige, der auch gerne noch fünf Steine für die Brandmauer spendet. Ich will mit der AfD nichts zu tun haben.
Um es nochmal deutlich zu machen: Sie sagen, die Brandmauer steht?
Hötting: Ja. Ich bin derjenige, der auch gerne noch fünf Steine für die Brandmauer spendet. Ich will mit der AfD nichts zu tun haben. Im Gemeinderat sage ich denen „Guten Tag“ und „Guten Weg“. Das war es. Daran halte ich fest. Sollte sich die CDU irgendwann entscheiden, mit der AfD zu koalieren, wenn die immer noch auf demselben völkisch-national-rechtsextremen Kurs ist wie jetzt, wäre ich an einem Punkt, an dem ich darüber nachdenken muss, ob die Justierung meiner Partei für mich noch tragbar wäre.
Friedrich Merz kommt am Donnerstag nach Mannheim. Es sind Gegenproteste angekündigt. Sind Sie froh, dass Merz jetzt nach Mannheim kommt, oder hätten Sie sich den Besuch lieber eine Woche früher oder später vorgestellt?
Hötting: Der Termin steht ja seit Dezember fest – da war die ganze Thematik noch nicht absehbar. Friedrich Merz ist bei der einen Hälfte beliebt, bei der anderen nicht. Da hätte es so oder so Gegendemonstrationen gegeben, wenn auch nicht so groß wie sie jetzt zu erwarten sind. Es hätte nie einen richtigen oder falschen Zeitpunkt gegeben.
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