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20.000 Menschen und drei Probleme bei Mannheimer Kundgebung gegen rechts

Bei der Kundgebung gegen rechts sorgen emotionale Reden für Gänsehaut-Momente. Tausende versammeln sich auf dem Alten Meßplatz in Mannheim und zeigen Haltung. Doch Ärger gibt es gleich wegen drei Problemen

Von 
Sebastian Koch und Florian Karlein
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Mit kreativen Plakaten – und Mülleimern – protestierten die Menschen in Mannheim gegen rechts und die AfD. © Michael Ruffler

Mannheim. Die Antwort der 20 000 ist ihm zu leise. Gerhard Fontagnier, Mitinitiator der Kundgebung auf dem Alten Meßplatz, fragt erneut: „Seid ihr bereit, die rechte Welle zu brechen?“ Und dann schallt dem Grünen-Stadtrat ein „Ja“ entgegen, das für die, die in der Menge stehen, ohrenbetäubend ist. „Mannheim ist so eine bunte Stadt. Ich liebe euch“, ruft er der Menge am Samstag zurück.

Mit seiner Ansprache eröffnet Fontagnier das etwas mehr als zweistündige Programm auf der Bühne. Er ist längst nicht der Einzige, der emotionale Worte („Ich bin froh, dass wir endlich alle aufgewacht sind, und Schluss machen mit rechten Umtrieben“) findet. Direkt nach ihm zieht die Mitinitiatorin und Vorsitzende des Mannheimer Migrationsbeirats, Zahra Alibabanezhad Salem, die Menge in ihren Bann. Man habe viel zu lange versucht, Rechte und Faschisten zu beruhigen, anstatt sich gegen ihre Ideologie zur Wehr zu setzen. „Ich freue mich, dass ihr gekommen seid, um zu zeigen, dass wir mehr sind.“

Doch Alibabanezhad Salem findet auch deutliche, mahnende Worte. Die Freude über die große Zahl von Menschen auf dem Alten Meßplatz vertreibe nicht ihren Ärger über den Grund der Kundgebung. „Dass Rechtsextreme eine Gefahr für die Demokratie sind, ist nicht neu“, konstatiert sie. Alibabanezhad Salem erinnert an die sogenannten Baseballschläger-Jahre in den 1990ern mit vielen rechtsradikalen Übergriffen auf Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund, an die NSU, an Hanau und an Halle in der jüngeren Vergangenheit. Seit 1990 habe sich zwar vieles zum Positiven verändert. „Aber wir Menschen mit Migrationsbiografie mussten vieles erdulden“, ruft sie mit sichtlich Wut im Bauch. Und das auch von Parteien, die sich selbst in der Mitte verordneten, sagt Alibabanezhad Salem.

„Unsagbares ist sagbar geworden“

Unterdessen berichtet Jeasuthan Nageswaran von einem Gespräch mit seiner Tochter. Wenn alle Menschen mit Migrationshintergrund das Land verlassen sollten, soll sie ihm gesagt haben: „Dann wäre aus meiner Klasse ja niemand mehr da. Und Mannheim wäre ziemlich leer.“ Nageswaran, der das Antidiskriminierungsbüro leitet, zeigt sich von der Solidarität auf dem Alten Meßplatz und in den vergangenen Wochen überwältigt. Er betont aber: „Rassismus gehört nicht exklusiv den Rechtsextremen oder Rechtsradikalen.“ Die AfD sei nur ein Symptom des Problems. „Solange etablierte Parteien in rechtsextreme Erzählungen einsteigen“, warnt er, „werden wir die Gefahren für unser plurales Miteinander nicht bekämpfen können.“ Der Rechtsruck habe schon vor dem Erstarken der AfD begonnen, etwa durch die Morde des NSU. „Unsagbares ist längst sagbar geworden. Die Bedrohung für rassismuserfahrene Menschen ist real, war es immer.“ Alle müssten ihr Verhalten hinterfragen.

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Einige der Teilnehmer, laut Veranstaltern gar 25 000, haben den Alten Meßplatz zu diesem Zeitpunkt aber schon verlassen. Die Tonanlage schafft es nicht, den gesamten Platz zu beschallen. Bereits in der Mitte ist es schwer, den Worten auf der Bühne zu folgen, im hinteren Teil nicht mehr möglich. Das sorgt für Unmut, der auch in Mails an diese und in Gesprächen mit dieser Redaktion thematisiert wird, und bei vielen dafür, dass sie die Kundgebung verlassen.

Zum Ende spricht auch Moderatorin Julia Alicka die Tonprobleme an. Man habe nicht damit gerechnet, dass die Kundgebung so groß werde. „Deshalb ist das eine Entschuldigung und Erklärung für die Soundprobleme.“ Im Vorfeld waren die Organisatoren zwar durchaus von jenen mindestens 20 000 Menschen ausgegangen. „Eine Anlage für 25 000 Menschen hätten wir uns - selbst wenn wir diese Zahl vorausgesehen hätten - nicht leisten können“, teilen die Veranstalter am Sonntag aber mit.

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Christian Specht spricht zu einem Zeitpunkt, als der Alte Meßplatz noch gefüllt ist und viele noch kommen. Der Oberbürgermeister erinnert an das Ende der Weimarer Republik, der ebenfalls der Rückhalt aus der Mitte der Gesellschaft gefehlt habe. Die Nationalsozialisten hätten das System genutzt, um es zu zerstören. Der CDU-Politiker bezeichnet „Vertreibungsfantasien“ als „Schande“. Ohne Zuwanderung sei Mannheim nicht denkbar. „Mannheim ist eine internationale, vielfältige und pluralistische Stadt.“ Die Kundgebung sei ein „starker Ausdruck“ dieser freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. „Um Mannheimer zu werden, bedarf es keiner bestimmten Herkunft, Religion oder Hautfarbe“, stellt er klar.

Ein weiteres Plakat, das bei der Demo hochgehalten wurde. © Michael Ruffler

Während der Rede versammeln sich mit Christian Hötting (CDU), Isabel Cademartori (SPD), Birgit Reinemund (FDP), Tamara Beckh (Grüne) und Isabell Fuhrmann (Linke) Vertreter oder Vertreterinnen von Parteien hinter Specht. „Nur zwei Parteien fehlen - merken Sie sich die“, fordert Fontagnier auf.

ML fühlt sich ausgegrenzt

Neben der AfD ist das die Mannheimer Liste. Es sei eine „Lüge, dass wir nicht teilgenommen hätten“, wird ML-Vorsitzende Christiane Fuchs am Sonntag in einer Pressemitteilung zitiert. Mehrere Vorstandsmitglieder seien vor Ort gewesen. Die ML werde, so heißt es weiter, „politisch alles dafür tun, die AfD nicht noch stärker werden zu lassen“. Dagegen kritisiert die Mannheimer Liste ihrerseits, von Fontagnier „bewusst ausgegrenzt“ worden zu sein. Der wiederum weist den Vorwurf als „unverschämt“ zurück.

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Um 16 Uhr betritt die umstrittene Gruppe Free Palestine mit großen Palästina-Fahnen den Platz - trotz Proteste vieler Umstehender. Bereits am Vorabend hatte die Gruppe im Netz ihr Kommen mit Fahnen angekündigt und dabei die Veranstalter als rassistisch beschimpft, sollten sie das unterbinden. Am Holocaust-Gedenktag kommt es zu Israel-feindlichen Parolen. „So durfte ich, als Kippa-tragender Jude, mit meiner Familie nicht gegen Rechtsextremismus demonstrieren, ohne Angst um unsere Sicherheit zu haben“, berichtet Amnon Seelig, Kantor der Jüdischen Gemeinde, auch von vielen Juden, die „die Demo sofort verließen, als ihnen klar wurde, dass gegen die AfD zu versammeln in Mannheim nur unter der Flagge der Hamas möglich ist“. Seelig spricht von einer „absoluten Schande“.

Als „unerträglich“ bezeichnen es die Veranstalter, dass sich Free Palestine trotz Aufforderung nicht an das Flaggenverbot gehalten habe - und „anhaltend störte“. Den Veranstaltern sei erklärt worden, „dass diese Fahnen nicht verboten sind und wir im öffentlichen Raum kein Hausrecht haben und somit keinen Platzverweis, den die Polizei hätte durchsetzen müssen, aussprechen konnten“, heißt es am Sonntag. Zwar sei man entschieden gegen Antisemitismus. Aber: „Eine Eskalation unter so vielen Menschen wollten wir auf jeden Fall vermeiden.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Redaktion Leiter des Redaktionsteams Mannheim

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