Nach Migration-Abstimmung

Tausende schimpfen in Mannheim auf Merz, die CDU und die AfD

Bei der Kundgebung „Wir sind die Brandmauer!“ am Samstagmittag in Mannheim ist der Alte Meßplatz brechend voll – es hagelt deutliche Worte, Pfiffe und Buhrufe

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Florian Karlein
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Tausende nahmen am Samstagmittag an der Kundgebung "Wir sind die Brandmauer!" auf dem Alten Meßplatz in Mannheim teil. © Florian Karlein

Mannheim. Später durfte sie noch auf die Bühne, die Frau mit der Angela-Merkel-Maske. Schon einige Zeit, bevor die Kundgebung „Wir sind die Brandmauer!“ am Samstagmittag auf Mannheims Altem Meßplatz beginnt, steht sie vor der Bühne. Immer wieder posiert sie mit ihrer gebastelten Maske für Fotowünsche, präsentiert dabei einen Karton, auf den sie geschrieben hat: „Ich bin nicht sauer, ich bin enttäuscht“.

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Nina Höll
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Die Moralpredigt, die vielen Eltern aus Gesprächen mit ihren Kindern bekannt vorkommt, gilt Friedrich Merz und der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Dem Kanzlerkandidaten und seiner Partei hatte ja auch die echte „Mutti Merkel“ nach dem gemeinsamen Votum ihrer CDU mit der AfD über einen Antrag zur Migrationspolitik am Mittwoch die Leviten gelesen. Am Samstag liest Sarah Zastrau die Erklärung der Ex-Kanzlerin im Wortlaut vor. Das Verhalten der CDU bezeichnet die Nationaltheater-Schauspielerin in einer kleinen Anmerkung ihrerseits als „Schande“ und beendet ihren Auftritt mit den Worten: „Bitte, Merkel, rette uns!“ Und auch sonst ist der Alte Meßplatz voll mit Botschaften an Friedrich Merz: „Lügenkanzler“ steht auf einem Plakat, „Nach Februar kein Merz“ auf einem anderen.

Mannheims evangelischer Schuldekan erntet Jubelsturm für deutliche Ansage

Von der Bühne weht der CDU ein eisiger Wind ins Gesicht – so wie vor etwas mehr als einem Jahr der AfD und ihren „Remigration“-Plänen, die damals öffentlich wurden. „Wer Anstand hat, macht keine gemeinsame Sache mit Rechtsextremen. Wer Anstand hat, hält Abstand. Und zwar den größtmöglichen im Bundestag und überall.“ Diese Sätze stammen von Andreas Weisbrod. Er sagt sie gegen Ende seiner Ansprache, die von vielen an diesem Tag in Mannheim als die beeindruckendste wahrgenommen wird – und erntet einen kleinen Jubelsturm dafür. Der Pfarrer und Schuldekan der Evangelischen Kirche Mannheim schickt auch sonst deutlich Worte in Richtung CDU und AfD: „Zusammen mit unseren jüdischen und muslimischen Geschwistern glauben wir an einen Gott, der allen die gleiche Würde geschenkt hat. Deswegen leisten wir Widerstand, wenn jemand die Demokratie attackiert“, sagt er immer lauter ins Mikrofon. „Würde ist kein Konjunktiv, sondern ein Imperativ!“ Weisbrod schreit schon fast, als er sagt: „Es darf im Bundestag keine Situation geben, in der man im selben Topf mit der AfD landet!“

Eine Demonstrantin war bei der Kundgebung "Wir sind die Brandmauer!" auf dem Alten Meßplatz in Mannheim als Angela Merkel verkleidet. © Michael Ruffler

Wie viele Menschen Weisbrod und den anderen Rednerinnen und Rednern zuhören, ist nicht ganz klar. Gerhard Fontagnier, Grünen-Stadtrat und einer der Veranstalter der Demonstration, spricht von 12.000 bis 15.000 Menschen, während die Polizei die Teilnehmerzahl am Samstagnachmittag mit 4.000 angibt. Aber der Alte Meßplatz ist proppenvoll, die Auslastung erinnert eher an den 27. Januar 2024, als zwischen 15.000 und 20.000 Menschen gegen rechts protestierten.

In Mannheims CDU seien einige „anderer Meinung“ als Friedrich Merz

„Wow, das ist unfassbar“, sagt Mitorganisator und SPD-Mitglied Marko Andelic bei der Begrüßung. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hätten er und Fontagnier beschlossen, mit anderen die Kundgebung auf die Beine zu stellen. Dass sie in so kurzer Zeit so viele Menschen mobilisieren würden, hätten sie nicht erwartet, sagt Fontagnier gegen 14.30 Uhr. Da war die Kundgebung gerade erst zuendegegangen. „Wir dachten, wenn es gut läuft, kommen 5.000.“ Immerhin fand die Demo zeitgleich zum Heimspiel des SV Waldhof gegen den SC Verl (2:2) statt.

„Wenn ein Kanzlerkandidat der CDU den Rechten die Hand reicht, ist das Geschichtsvergessenheit und geht gar nicht. Deswegen sind wir die Brandmauer“, erklärt Andelic auf der Bühne, wieso die Kundgebung stattfindet. Auch für Fontagnier sei klar gewesen, jetzt etwas tun zu müssen, sagt er. Der Grünen-Stadtrat will nicht alle CDU-Mitglieder über einen Kamm scheren. Es gebe auch in Mannheim einige, die anderer Meinung sind als Kanzlerkandidat und Parteichef Merz. Trotzdem ist ihm ein Satz wichtig: „Wir werden die Brandmauer auch im Mannheimer Gemeinderat hochhalten.“ Dann schallen die ersten „Nazis raus“-Rufe über den Platz.

Wer Anstand hat, macht keine gemeinsame Sache mit Rechtsextremen. Wer Anstand hat, hält Abstand. Und zwar den größtmöglichen im Bundestag und überall.“
Andreas Weisbrod Pfarrer und Schuldekan der Evangelischen Kirche in Mannheim

Das Medieninteresse an der Mannheimer Brandmauer-Kundgebung ist groß. Vor Beginn der Veranstaltung steht Gerhard Fontagnier einem Team von RTL/NTV Rede und Antwort, hinterher dem SWR, die Deutsche Presseagentur (dpa) begleitet die vollen rund 80 Minuten. Was diese Woche im Bundestag passiert ist, habe die Menschen aufgewühlt, erklärt der Grüne. Was am Samstagmittag in Mannheim zu sehen ist, sei „eindrucksvoll“.

Merz ist am Donnerstag in Mannheim – Buhrufe für Melis Sekmen

Von der Bühne aus ruft er die Menschen dazu auf, am kommenden Donnerstag, 6. Februar, vor die Feudenheimer Kulturhalle zu kommen, um gegen Friedrich Merz zu protestieren. Der CDU-Chef kommt an diesem Tag nach Mannheim, um Bundestagskandidatin Melis Sekmen zu unterstützen. Buhrufe und Pfiffe hallen jedes Mal über den Alten Meßplatz, wenn der Name der Bundestagsabgeordneten fällt, die 2021 für die Grünen ins Parlament gewählt worden war, vergangenes Jahr aber zur CDU gewechselt ist. Zur Teilnahme – nicht zum Halten einer Rede – habe er auch die CDU und die FDP eingeladen, sagt Fontagnier.

Dafür sprechen andere. Viel beachtet die Ausführungen von Isabel Cademartori. Mannheims SPD-Bundestagsabgeordnete schildert, wie sie die „schwerste Woche meiner noch jungen Parlamentskarriere“ erlebt hat. Sie spricht von einer aufwühlenden Debatte, die nicht zu den Sternstunden des Bundestags gehöre. Die SPD habe vier Stunden lang mit CDU und FDP verhandelt, um einen Weg aufzuzeigen, nicht mit der AfD abstimmen zu müssen. Es sei perfide, wenn die Union jetzt behauptet, dass SPD und Grüne schuld seien, dass sie mit der AfD hätte abstimmen müssen. „Schäm dich, Friedrich Merz, schäm dich!“, ruft Cademartori ins Mikrofon. „Ich habe kein Vertrauen mehr in diesen Mann.“ Die Union habe es einmal getan – sie werde wieder gemeinsam Sache mit der AfD machen. Die Menge quittiert das mit „Merz muss weg“-Rufen.

Auf dem Alten Meßplatz waren sehr viele Plakate mit Botschaften gegen Nazis, die AfD und Friedrich Merz zu sehen. © Michael Ruffler

Erschüttert über das Handeln von CDU, CSU und FDP sei er, sagt Mannheims DGB-Vorsitzender Ralf Heller, fassungslos zeigt sich Nina Wellenreuther. „Wie geschichtsvergessen kann man sein? Wie fahrlässig kann man sein?“, fragt die Bundestagskandidatin und Fraktionschefin im Mannheimer Gemeinderat der Grünen. Und Dennis Ulas von der Mannheimer Linkspartei bezweifelt, „dass es überhaupt jemals eine Brandmauer zwischen CDU und AfD gegeben hat“. Ihn besorgt, dass sich die Stimmen in der CDU mehreren, die sich für Kooperationen mit der AfD aussprechen – gerade im Osten der Republik.

Mannheimer Künstler Toscano übermittelt Bierdeckel-Botschaft

Der Mannheimer Künstler Luigi Toscano, der am Donnerstag angekündigt hat, sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben, übermittelt eine kurze Botschaft mit Anspielung auf Friedrich Merz‘ Steuererklärungspläne von 2003: „Meine Werte einer Demokratie stehen nicht auf einem Bierdeckel, ich trage sie im Herzen.“ Viel Lob für seine Rede erhält auch Oliver Wintzek. Der katholische Pfarrer und Theologie-Professor spricht von „brandgefährlichen Zeiten“ und nennt völkisches Gedankengut „Gedankenmüll“. „Demokratie bedeutet nicht nur, Mehrheiten zu organisieren, sondern auch Verantwortung zu tragen“, ergänzt Ertan Kurt von der Alevitischen Gemeinde. Und Susanne Hun vom Queeren Zentrum Mannheim, sagt „an Friedrich Merz, der nicht nur das C in CDU verkauft hat, sondern auch das D: Drehen Sie um!“

Bevor die Versammlung gegen 14:25 Uhr offiziell endet, skandieren die Tausenden auf dem Alten Meßplatz noch zwei Rufe: „Alle zusammen gegen den Faschismus“ und „Ganz Mannheim hasst die AfD“.

Redaktion Leiter des Redaktionsteams Mannheim

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