Nahost

Mannheimer Jüdin Cathy Field: „Meine Vernichtung zu fordern, ist keine Meinungsfreiheit“

Viele Jüdinnen und Juden trauen sich nicht mehr auf Mannheims Straßen, berichtet Cathy Field. Sie selbst zeigt sich kämpferisch – obwohl der Judenhass auf Pro-Palästina-Demos gefährliche Dimensionen erreicht

Von 
Kilian Harmening
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Weil das Versammlungsrecht ihr oft keine andere spontane Möglichkeit einräumt, äußert Cathy Field ihren Gegenprotest in Mannheim allein. © Kilian Harmening

Mannheim. Immer wieder muss Cathy Field den Kopf schütteln, als sie den Parolen zuhört, die pro-palästinensische Gruppen auf dem Mannheimer Marktplatz skandieren. Minute um Minute huscht erneut und erneut ein Schmunzeln über ihre Lippen.

Ein Schmunzeln über angebliche Fakten, die die Anführer der pro-palästinensischen Kundgebung über den Platz schreien – der Platz, auf dem am 31. Mai sechs Menschen bei einem Messerangriff schwer verletzt wurden, der dem Islamkritiker Michael Stürzenberger galt. Einer der sechs Menschen, Polizist Rouven Laur, starb.

Field kritisiert viele Falschaussagen bei Pro Palestine-Demo in Mannheim

Viereinhalb Monate später – am Samstag, den 12. Oktober – steht Cathy Field am Rand des Marktplatzes und beobachtet eine der Palästina-Demos, wie sie in Mannheim inzwischen fast jeden Samstag stattfindet. Zum Auftakt der 200-Mann-Kundgebung hält der Anführer von Free Palestine Mannheim eine Rede, in der er – wie vielen, die nahe des Marktplatzes wohnen, erzwungenermaßen längst bekannt – erneut den israelischen Staat scharf attackiert.

Einschüchtern lassen von Beschimpfungen will sich Cathy Field nicht – aber ernste Äußerungen lassen sie nicht kalt. © Kilian Harmening

Field, die israelische Wurzeln hat, kann einige seiner Behauptungen leicht als Falschaussagen identifizieren. Andere Aussagen hält sie für absurde Verdrehungen der Wahrheit. So absurd, dass sie darüber schmunzeln muss. Doch blickt man tiefer, weiß man, dass der Jüdin eigentlich nicht zum Schmunzeln zumute sein dürfte. Es ist mehr als nur plumper antisemitischer Hass, den sie besonders seit dem 7. Oktober 2023 in ihrer Geburtsstadt Mannheim erfahren muss.

Beschimpfungen gegen Mannheimer Jüdin: „Ich werde auf Ihrem Grab tanzen!“

Field berichtet von Provokationen, von Beschimpfungen, von körperlichen Angriffen auf Mitglieder der Mannheimer jüdischen Gemeinde. „Da geht einem schon die Muffe“, sagt sie. Im Klartext: Die 54-Jährige offenbart, dass sie teils große Angst hat, auch wenn sie das Wort „Angst“ nicht selbst in den Mund nimmt. Angst in Momenten, in denen Pro-Palästina-Demonstranten ihr gegenüber schonungslos offen ihren Judenhass kundtun, sie bespucken oder mit Flaschen bewerfen.

Es fallen Beschimpfungen von Gesicht zu Gesicht – das ist, was Field dem „MM“ im Gespräch vor Ort berichtet. „Sie sollten mal wieder duschen“, bekam sie schon zu hören. „Sie sollten mal wieder nach Polen.“

Mannheimerin Cathy Field wird in sozialen Netzwerken bedroht

Immer wieder trifft Field in Mannheim Menschen, die die massenhaften Juden-Deportationen nach Auschwitz unter dem NS-Regime auch heute noch verherrlichen. Oder Menschen, die ihr persönlich den Tod wünschen: „Sie Kindermörderin! Ich werde auf Ihrem Grab tanzen.“

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In sozialen Medien werden Bilder von ihr und anderen Mannheimer Juden mit nach unten gerichteten roten Dreiecken versehen, sagt sie – ein Symbol der palästinensischen Terrororganisation Hamas: „Zum Abschuss freigegeben.“ In Telegram-Kanälen gelte sie als „Zionistin“. Teils werde sie – und andere – auch auf offener Straße damit konfrontiert.

Kindermörder – das ist, was die pro-palästinensischen Demonstranten auf Mannheims Straßen dem israelischen Staat vorwerfen. Israel jedoch zu beschuldigen, gezielt Kinder zu ermorden, ist höchst problematisch, sagen Nahost-Experten. Teil der Wahrheit ist, dass die Hamas am 7. Oktober 2023 israelische Säuglinge und Kleinkinder gezielt ermordete und entführte.

Dass dieselben Aktivisten, die „Kindermörder Israel!“ skandieren, nichts zu den Kindermorden der Hamas sagen, verrate, dass den pro-palästinensischen Demos keine rationale, sondern eine ideologische Motivation zugrundeliege – nämlich der meist von Antisemitismus getriebene Versuch, die Existenz Israels mit allen Mitteln zu delegitimieren.

Cathy Fields Urgroßeltern wurden in Auschwitz ermordet

„Sie verbreiten Hass auf den Staat Israel“, weiß Cathy Field. Deren Position sei schlicht – und schlicht verwerflich: Israel hätte kein Existenzrecht. „Sie fordern die Vertreibung aller Israelis aus dem Land zurück in die Länder ihrer Vorfahren“, sagt Field. „Das ist kein Ansatz für eine Friedenslösung“. Beide Völker müssten in Frieden und Respekt zusammenleben, wünscht sich die Mannheimer Jüdin, schließlich funktioniere das auch in Europa zwischen den früheren Erzfeinden Deutschland und Frankreich.

Zur Pro-Palästina-Kundgebung ist die Polizei mit vielen Mannschaftswagen im Einsatz. Teil der Ausrüstung: Sicherheitsweste, Helm und Schlagstock. © Kilian Harmening

Viel Kontakt hat sie zu ihren Angehörigen in Israel: „Jedes Mal, wenn sie im Bunker sitzen, kriege ich eine Nachricht.“ Es waren Fields Großeltern, die aus dem Nahen Osten nach Deutschland kamen – bis zu Zeiten des Holocausts ihr Großvater aus Hannover, ihre Großmutter aus Danzig weggeschickt wurde. Die beiden wanderten aus ins frühere Palästina, britisches Mandat, und waren damit die einzigen Angehörigen von Cathy Field, die den Holocaust überlebten. Ihre Urgroßeltern etwa starben in Auschwitz.

Jüdin Cathy Field protestiert während Pro Palästina-Demo in Mannheim

Die palästinensische Forderung, dass die Existenz des Staates Israel enden muss, kommt für die 54-jährige Mannheimerin mit einem Angriff auf ihre Religion gleich – Israel, der quasi einzige jüdische Staat auf der Welt. „Ich habe Bekannte, die ihre Koffer packen wollen, um von Deutschland nach Israel auszuwandern, weil sie sich hier nicht mehr sicher fühlen“, äußert Field.

Sie begleitet den Demonstrationszug mit einem beidseitig bedruckten DIN-A4-Schild. „Meine Vernichtung zu fordern ist keine Meinungsfreiheit“, prangert sie in den Farben der Israel-Flagge an – weiße Schrift auf blauem Hintergrund – und: „Mein Existenzrecht steht nicht zur Debatte.“

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Field ist alleine unterwegs, weil schon zwei Personen rechtlich als Versammlung gelten. „Sehr gute, aber manchmal sehr behindernde Gesetze“, nennt sie das. In Mannheim ist sie auch CDU-Bezirksbeirätin, hat viele Jahre in London gelebt, dort Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Nahost studiert. Oft kann sie keinen Gegenprotest mehr anmelden (beziehungsweise würde sie keine Genehmigung mehr erhalten), weil Free Palestine selbst erst kurz vor Ablauf der 48-Stunden-Frist seine Demonstration ankündigt. Einzelne andere Mitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) bestreiten ebenfalls einen Ein-Mann-Gegenprotest, räumlich voneinander entfernt.

Versöhnungsfest Jom Kippur ist Tag der Umkehr

Dabei ist es diesmal ein ganz besonderer Samstag, an dem die 54-Jährige dem Demonstrationszug auf den Mannheimer Planken nebenherläuft. Vergangenes Wochenende feierten weltweit Jüdinnen und Juden ihren höchsten Feiertag: Das Versöhnungsfest Jom Kippur. Auch Cathy Field.

Streng religiös im engeren Sinn ist sie nicht. Sie gehört nicht zu denjenigen, die jeden Freitag und Samstag in die Synagoge gehen, erläutert sie das. Zu sehr hat sie auch ein Problem mit den religiösen Praktiken im Judentum, die nach wie vor sehr Männer-spezifisch seien.

„Für mich ist es nur noch eine Wahrung der Traditionen“, beschreibt Field daher, wie stark der Glaube eine Rolle in ihrem Alltag einnimmt – ein Glaube, den sie nichtsdestotrotz ernst nimmt. Für den Zeitraum von Jom Kippur fastete sie: Kein Essen von Freitagabend bis Samstagabend. Aber sie trank, und das nur aufgrund einer Erkältung – eine „offizielle“ Ausnahme nach den Regeln der Tora: Schutz von Kranken, genau wie von Kindern.

Zu den Bräuchen am jüdischen Feiertag Jom Kippur gehört weiße Kleidung. Die Mannheimerin Cathy Field trägt ihre Davidstern-Kette weiter in der Öffentlichkeit – auch wenn sie seit dem eskalierten Nahost-Konflikt mehr antisemitische Hetze erlebt. © Kilian Harmening

Jom Kippur zählt für Cathy Field zu den jüdischen Festen mit der größten Symbolkraft, während sie andere Feste teilweise nicht feiert. Am 3. Oktober beging Mannheims jüdische Gemeinde – nach dem Mondkalender – ihr diesjähriges Neujahrsfest: Rosch Haschana. Das Versöhnungsfest Jom Kippur, ein Tag der Umkehr, folgt eine Woche später und ist eng damit verbunden.

Zu Rosch Haschana treffen sich die Mannheimer Jüdinnen und Juden am Neckar, ein Ritual mit „sehr starker Symbolik“, wie Field sagt. Sie entleeren ihre Taschen symbolisch, werfen Brotkrumen in den Fluss. Der Fluss treibt die Sünden, das Wasser hat eine reinigende Wirkung. Das Ziel: Das neue Jahr so sündenfrei und unbelastet wie möglich starten.

„Rosch Haschana und Jom Kippur gehören für mich zusammen, obwohl sie eigentlich eine Woche auseinander sind“, erzählt Field. Jom Kippur wird groß begangen, aber ruhig und mit wenig Ritualen. Am Freitagabend nahm auch sie am Gottesdienst der jüdischen Gemeinde teil – ganz in weiß gekleidet, mit weißen Schuhen. Im Zentrum steht: Sich den Sünden bewusst werden, um Verzeihung bitten. Der Rabbiner, das jüdische Pendant zum Pfarrer, kann nicht von den Sünden befreien, nur Gott selbst. Das ist ein Unterschied zum Christentum. Wie bei christlichen Hochzeiten aber steht die Farbe weiß für Reinheit: Unbeflecktheit, Unschuld, frei von Sünden.

Sogar Bomben-Spürhunde wurden vor der Synagoge schon eingesetzt – keine Funde. Seit dem Hamas-Überfall gilt: Mehr Polizeischutz als bisher (besonders bei Festen), weniger vor der Synagoge aufhalten, mehr drinnen.

„Was ist das, weswegen ich beschuldigt werde?“

Schon immer hat der Glaube im Leben von Cathy Field eine Rolle eingenommen, wuchs sie in Mannheim doch sehr religiös auf. Anders war das bei Fields Tochter, die 20 Jahre alt ist und derzeit in Frankfurt Jura studiert.

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Sie interessiert sich erst seit den Ereignissen in Folge des 7. Oktober 2023 mehr für ihren Glauben – etwas, das Field bei vielen jungen Jüdinnen und Juden beobachtet hat: „Jetzt wird sie mehr beschimpft. Sie will rauskriegen: Was ist das, weswegen ich beschuldigt werde?“ Ihre Tochter schloss sich einer jüdischen Gemeinde in Frankfurt an. Das Ziel: Mehr über die Wurzeln das Nahost-Konflikts herausfinden, jetzt, wo nach dem Hamas-Überfall der Judenhass auch auf deutschen Straßen zunimmt.

Gibt es in Mannheim zu wenige Auflagen für antisemitische Demos?

Und auf Mannheims Straßen? Ist die Ablehnung gegenüber Juden hier besonders stark, auch außerhalb der sehr regelmäßigen Pro-Palästina-Demos? Field will keine Vergleiche anstellen, aber sie weiß, dass Mannheim in der Pro-Palästina-Szene als ein Ort gilt, „wo wir alles dürfen“.

Das de Facto Versammlungsverbot am vergangenen 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Überfalls, war das erste Verbot. Zwar hatte die Stadtverwaltung die Versammlung von Free Palestine nicht verboten, aber die Auflage erteilt, die an einem anderen Tag abzuhalten. Mannheim nennt Field „einen Ort, wo es die wenigsten Auflagen gibt“. Und ergänzt das Wort „gefühlt“ – ein roter Faden, der sich durch das Gespräch zieht: Sie lässt durchblicken, dass es ihr wichtig ist, faktenbasiert zu argumentieren und keine Lügen zu verbreiten.

Pro-Palästinensische Demos ziehen seit dem 7. Oktober 2023 regelmäßig samstags durch die Mannheimer Innenstadt. © Kilian Harmening

Etwa 90 Prozent der Jüdischen Gemeinde, die in Mannheim 450 Mitglieder zählt, trauen sich nicht mehr auf den Marktplatz und nehmen dafür Umwege in Kauf, schätzt Field. Insbesondere die vielen älteren Gemeindemitglieder tragen ihre Kippah oder ihren Davidstern nur noch selten öffentlich. Auch in manchen anderen Gegenden Mannheims trauen sie sich nicht mehr auf die Straße. Dass Mannheims Politiker beteuern, „Seite an Seite mit ihren jüdischen Mitbürgern zu stehen“, gibt Field einerseits Zuversicht. Andererseits blickt sie durch, sich im Stich gelassen zu fühlen, weil den Beteuerungen nur wenig Aktionen folgen würden, nur wenig oder kurze Politik-Präsenz bei Veranstaltungen.

Sich einschüchtern zu lassen, kommt für Cathy Field nicht in Frage

Cathy Field zeigt sich kämpferisch, möchte sich nicht kleinkriegen lassen – und setzt mit ihrem Protest-Schild weiterhin auf Pro-Palästina-Demos ein Zeichen des Gegenprotests. Sich einschüchtern zu lassen, kommt für sie nicht infrage, aber auch sie trifft Vorkehrungen, schließt zu Hause alle Türen konsequent ab. Dass sich auch ein Stück Verzweiflung, ein Stück Ratlosigkeit hinter ihrer sehr fröhlichen Fassade versteckt, ist schwer von der Hand zu weisen.

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Die Emotionen, die in ihr brodeln, kommen mit der Vehemenz zum Vorschein, mit der sie ihr Protest-Schild hochhält und mutig ein Zeichen für ihre Rechte setzt – während die Polizei in einer Gratwanderung steckt zwischen dem Schutz der Frau und dem Abblocken ihres Gegenprotests.

Oft wird Field von der Polizei umzingelt, wenn sie mit ihrem Schild auf Demonstrationen Präsenz zeigt. Das Motiv der Polizisten? Wohl, sie zu schützen – aber auch, sie mit einer gewissen Vehemenz dazu zu bewegen, sich zurückzuziehen und deutlich stärker vom Protestmarsch zu entfernen. Solche Szenen – inklusive kurzer, schnell geschlichteter, Aggression einzelner Protestteilnehmer – spielten sich auch am vergangenen Samstag ab. Wie sieht das Fields Tochter?

Sie befürwortet den Protest ihrer Mutter und scheint das ebenso gelassen (wie es geht) zu nehmen wie ihre Mutter selbst. Die wiederum hat sich erzwungenermaßen damit abgefunden, immer wieder das Ziel hasserfüllter Äußerungen auf sozialen Netzwerken zu sein. „Ich habe für mich gewählt, immer wieder mit Menschen ins Gespräch zu kommen“, sagt die 54-Jährige, die kooperativ und respektvoll auf Versöhnung aus ist. Doch es wird wohl noch lange dauern, bis sich die Wogen glätten könnten. Bis dahin wird der „Strafanzeigen-Weltmeister“, wie Field einen Kollegen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nennt, noch lange nicht seine letzte Strafanzeige wegen Beleidigungen, Morddrohungen und Angriffe gestellt haben.

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