Heidrun Deborah Kämper, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mannheim
Mannheim. Die Jüdische Gemeinde Mannheim (JGM), so berichtet die Vorsitzende Heidrun Deborah Kämper, sei seit dem Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 durch das „zunehmend israelfeindliche Klima“ einem „erheblichen Anstieg von Judenfeindlichkeit“ ausgesetzt. Das führt sie auch auf die vielen Demos in der Innenstadt zurück. „Judenfeindliche Beleidigungen, Hass und Hetze, der wir auf der Straße und im Internet ausgesetzt sind, sind die Folgen“, sagt sie.
Resultierend daraus habe das Sicherheitsbedürfnis innerhalb der Gemeinde zugenommen. „Angst und Sorge sind in der JGM gestiegen mit der Folge, dass immer wieder Mitglieder der Gemeinde nicht zum Gottesdienst kommen und Eltern ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht schicken“, sagt Kämper.
Wieso im "MM" keine Palästinenser aus Mannheim zu Wort kommen
Die Berichterstattung der Lokalredaktion des „Mannheimer Morgen“ ist zu einseitig, weil weder Free Palestine Mannheim, Zaytouna Rhein-Neckar oder einzelne Palästinenser zu Wort kommen? Sehr gern hätte diese Redaktion auch mit ihnen darüber gesprochen, wie sich die Stimmung bei den Demonstrationen auf Mannheims Straßen seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 entwickelt hat. Jedoch fand sich kein Palästinenser, der bereit ist, mit dem „MM“ zu sprechen, und die Kontaktaufnahme mit den beiden Gruppierungen gestaltet sich von Anfang an schwierig. Ein Rückblick in eigener Sache.
Zwar hatte diese Redaktion kurz nach dem 7. Oktober im vergangenen Jahr über soziale Medien einen Kontakt zu Free Palestine herstellen können. Allerdings machten die Verantwortlichen schnell deutlich, nicht mit dem „MM“ sprechen zu wollen. Nach einer irreführenden Überschrift eines Onlineberichts über eine Demonstration, bei der ein unbeteiligter Passant einen Hitlergruß zeigte, der nicht zu der Demonstrationsgruppe gehörte, bestehe kein Vertrauensverhältnis, lautete die Begründung. Auch Wortlaut-Interviews mit der üblichen Freigabe von Antworten lehnte Free Palestine ab.
Mitte März stand diese Redaktion dann erstmals länger, über mehrere Wochen, im Austausch mit Free Palestine Mannheim - per E-Mail, nicht per Telefon. Ein mögliches Interview mit den Verantwortlichen der Gruppierung stand im Raum, konnte aber nicht realisiert werden, weil Free Palestine schließlich davon Abstand nahm. Stattdessen schickte diese Redaktion einen umfangreichen Fragenkatalog an Free Palestine mit der Bitte um Antworten. Diese Fragen wurden allerdings bis heute nie beantwortet.
Im Mai erhielt die Lokalredaktion auf Nachfrage ei ne Stellungnahme zu Kritik aus dem Einzelhandel und der Gastronomie, dass die vielen Demonstrationen in der Innenstadt, insbesondere die von Free Palestine, schlecht fürs Geschäft seien. Sie wurde im „MM“-Bericht berücksichtigt. Die Redaktion hatte die Hoffnung, den Gesprächsfaden zu Free Palestine wieder aufnehmen zu können. Zuletzt blieb eine aktuelle Gesprächsanfrage anlässlich des Jahrestags des 7. Oktober jedoch wieder gänzlich unbeantwortet.
Trotz aller Schwierigkeiten bisher: Die Redaktion ist weiter gesprächsbereit und zu einem Interview mit Free Palestine Mannheim und Zaytouna Rhein-Neckar bereit.
Die Gemeinde sei dennoch um so viel Normalität wie möglich bemüht. Zudem sei sie zusammengerückt. „Gleichzeitig ist auch die Solidarität unserer Freunde und Freundinnen gestiegen. Das Interesse an der Gemeinde und an Geschichte und Gegenwart des Mannheimer Judentums ist groß. Wir hatten noch nie so viele Führungen wie in den letzten Monaten“, so Kämper.
Khalil Khalil, Arbeitskreis Islamischer Gemeinden Mannheim
„Wir können den Konflikt hier nicht lösen, aber was wir tun können, ist in Mannheim weiterhin an unserem friedlichen Zusammenleben arbeiten“, sagt Khalil Khalil, Vertreter vom Arbeitskreis Islamischer Gemeinden Mannheim (AKIG). Der 7. Oktober 2023 sei dahingehend für Mannheim besonders herausfordernd gewesen. Khalil baut weiter auf die „guten und vertrauensvollen“ Beziehungen zu den anderen Religionsgemeinschaften. Er spricht etwa das Forum der Religionen an. Die Aufgabe aller Beteiligten müsse es sein, mittels Dialog und Kooperation den Frieden in der Stadt zu stärken. „Wir dürfen keine Konflikte gegeneinander führen, sondern müssen gemeinsam unsere Beziehungen weiterentwickeln“, so Khalil.
Der Vorstand des Mannheimer Migrationsbeirates
„Wir sind in Mannheim in der glücklichen Lage, dass es eine lange Tradition der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften gibt“, heißt es vom Migrationsbeirat um Vorsitzende Zahra Alibabanezhad Salem. Der Beirat verweist dabei auf die Wichtigkeit der Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt und das damit verbundene Ziel für ein respektvolles Miteinander.
„Im Vergleich zu anderen Städten hat sich im vergangenen Jahr wieder deutlich gezeigt, dass der Zusammenhalt, den dieses Engagement fördert, unsere Stadt widerstandsfähiger gemacht hat.“ Es sei unerlässlich, dass Mannheim den Weg des interkulturellen und interreligiösen Austauschs weiter verfolgen müsse. „Denn nur durch Zusammenhalt können wir als eine vielfältige Stadtgesellschaft die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich meistern.“
Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht
„Der terroristische Anschlag der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 und die anschließende Reaktion des Staates Israel haben weltweit zu heftigen Spannungen geführt, die auch in Mannheim deutlich zu spüren sind“, sagt Oberbürgermeister Christian Specht (CDU). Die vielen Kundgebungen und Gegendemos, die oft von außen in die Stadt getragen würden, „erzeugen eine aufgeladene Atmosphäre und schüren Unsicherheit“ in der Innenstadt. „Es ist schwer zu ertragen, dass immer wieder aus den Kundgebungen heraus insbesondere unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verunglimpft werden“, betont Specht.
Der Oberbürgermeister erinnert gleichzeitig an die Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt. „Eine lange Tradition der interkulturellen und interreligiösen Verständigung, in der wir Konflikte offen ansprechen und friedlich miteinander diskutieren können“, erklärt er. Trotz aller derzeitigen Spannungen sei in der Stadt dennoch klar zu erkennen: „Der Zusammenhalt in Mannheim ist stärker als die Versuche Einzelner, unsere Stadt zu spalten.“ Specht appelliert: „An diesem gesellschaftlich wichtigen Zusammenhalt müssen wir auch in Zukunft gemeinsam weiter arbeiten!“
Ulrike Schäfer, Präsidentin des Polizeipräsidiums Mannheim
Die Präsidentin des Polizeipräsidiums Mannheim, Ulrike Schäfer, beschäftigt vor allem die vielen Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt. Im Alltag der Polizei würden sie seit dem 7. Oktober 2023 eine „große Rolle“ einnehmen. Eine Vielzahl an palästinensischen und israelischen Symbolen sei seit dem Anschlag der Hamas auf Mannheims Straßen zu sehen.
„Die hochemotionalen Versammlungen fordern meinen Kolleginnen und Kollegen viel Sensibilität im Umgang mit den Versammlungsteilnehmenden, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern ab, die sich durch die vielen Versammlungen eingeschränkt fühlen“, sagt die Präsidentin des Polizeipräsidiums.
Frank Schäfer, Leiter des Staatlichen Schulamts Mannheim
Der Nahost-Konflikt sei seit dem 7. Oktober 2023 ein Thema, das viele Schülerinnen und Schüler „emotional sehr bewegt“, sagt Frank Schäfer, Leiter des Staatlichen Schulamts Mannheim. „An vielen Schulen bestand für die Kinder und Jugendlichen Gesprächsbedarf, um Fragen zu klären, aber auch, um Betroffenheit zu äußern.“
Nicht zu unterschätzen sei „die Wirkmacht der seither annähernd täglich gezeigten Bilder und Berichte – stellenweise manipulativ verbreitet durch Social-Media-Kanäle“, so Schäfer. Dies führe zu Unsicherheiten, Ängsten und Fragen bei den Schülern, die die Lehrkräfte vor Herausforderungen stellten. Schulleitungen und Lehrkräfte hätten „von sehr intensiven Gesprächen zwischen Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften im Unterricht und in den Pausen“ berichtet. „Die Auseinandersetzung mit dem Thema verweist darauf, wie wichtig es ist, jungen Menschen Raum für Emotionen zu geben, und dass in der Schule weder Hass noch Vorurteile akzeptiert werden, sondern Empathie, Respekt und Toleranz eine zentrale Bedeutung im gesamten Schulleben darstellen“, betont Schäfer.
Ralph Hartmann, Dekan der Evangelischen Kirche Mannheim
„Terror, Gewalt und Kriegshandlungen in Israel und Gaza haben nach meiner Wahrnehmung auch den Frieden in unserer Stadt gestört“, sagt der evangelische Dekan Ralph Hartmann. „Jüdinnen und Juden in Mannheim sehen sich Anfeindungen gegenüber, die sie nicht gekannt und auch bisher nicht für möglich gehalten haben“, macht er eine „feindselige Stimmung“ in der Stadt aus. Bezeichnend sei, dass ein interreligiöses Friedensgebet auf dem Paradeplatz am 13. November 2023 öffentlich sowie medial kaum Beachtung gefunden habe. „Es ist unter diesen Umständen nicht selbstverständlich, dass zumindest unter den Verantwortlichen der interreligiöse Dialog im und um das Forum der Religionen Mannheim nie abgebrochen ist“, sagt Hartmann. Ziel müsse es bleiben, das friedliche Miteinander zu bewahren und sich nicht vom Hass und der Gewalt im Nahen Osten anstecken zu lassen. Der Dekan kündigt für 2025 eine gemeinsame „Meile der Religionen“ an. „Das stimmt mich zuversichtlich. Die Ereignisse haben uns tief erschüttert. Aber ich bin überzeugt, dass unser gemeinsames Fundament und unser Friedenswille stärker sind als Hass und Gewalt.“
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