Mannheim. In Scott Faigens Wohnzimmer stehen gleich mehrere Klaviere. In der hinteren Ecke sieht man eines, genauso wie einen Flügel vor einem Eckfenster, von dem aus man auf den Ring schauen kann. An jenem Fenster wollte Faigen im Sommer mit einer israelisch-palästinensischen Fahne ein Zeichen für die Aussöhnung von Israel und Palästina setzen. Das wurde ihm untersagt.
Faigen wurde 1955 als Jude in den Vereinigten Staaten geboren. Er lebt seit Jahrzehnten in Mannheim, wo der Pianist als Musikdozent arbeitet. Vor allem aber ist der Mann mit den grauen, gelockten Haaren und dem US-amerikanischen Akzent Pazifist. Der Wunsch nach Aussöhnung und Frieden im Nahen Osten begleitet ihn sein ganzes Leben.
So habe er sich, wie er erzählt, als junger Mann in den 1980er-Jahren für soziale Projekte im Gazastreifen und im Westjordanland engagiert. „Das palästinensische Volk liegt mir am Herzen“, sagt Faigen heute, etwa 40 Jahre nach diesen Projekten und ein paar Wochen vor dem Jahrestag des 7. Oktober. „Der Tag war eine Katastrophe – nicht nur für Juden, auch für Deutsche und die Welt insgesamt“, sagt er.
Faigen engagiert sich in der Jüdischen Gemeinde, nimmt nach dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas an Demonstrationen in Mannheim teil, die die Freilassung der Geiseln fordern. Die aber werden nicht freigelassen, während sich gleichzeitig die militärische Situation in Gaza dramatisch zuspitzt. „Ich bin nicht glücklich darüber, wie die letzten Monate gelaufen sind. Auch in der Jüdischen Gemeinde ist niemand glücklich“, sagt der überzeugte Pazifist, der überlegt, wie er in Mannheim für Frieden einstehen könne. Die Jüdische Gemeinde macht inzwischen weniger Demonstrationen und die von Free Palestine missfallen ihm. „Die sind voller Hass“, sagt Faigen.
Aus zwei Fahnen wird eine gemeinsame Flagge
Der Musiker besorgt eine israelische und eine palästinensische Flagge, teilt beide und hängt sie als eine gemeinsame Fahne ins Eckfenster, vor dem sein schwarzer Flügel steht. Fotos von der israelisch-palästinensischen Fahne teilt er außerdem auf Sozialen Medien. Hier bekommt er nach eigener Aussage viele positive Rückmeldungen. „Fast alle haben die Idee toll gefunden“, sagt Faigen. Die, die weniger begeistert waren, seien besorgt gewesen. Er müsse die Fahne schnell wieder abhängen, weil das in der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage zu gefährlich sei, erzählt Faigen.
Fehlen in Mannheim sichtbare Zeichen für Frieden?
Die palästinensisch-israelische Fahne hängt vier Tage, als Faigen einen Brief seines Vermieters erhält. In diesem wird Faigen erklärt, die Fahne in dem Fenster, das sich über dem sich im Haus ebenfalls ansässigen Restaurant befindet, stelle „eine nach außen sichtbare politische Äußerung“ dar, zitiert Faigen aus dem Schreiben. Dem gibt er recht. Die Äußerung stünde für „Frieden und Zusammenleben“ sagt Faigen. Im Schreiben heißt es weiter, die politische Äußerung sei „insbesondere wegen der Gastronomie im Haus nicht hinnehmbar. Ich fordere Sie deshalb auf, beide Flaggen umgehend zu entfernen“.
Faigen fügt sich und hängt die Fahne im Fenster ab. Obwohl er insgesamt zufrieden ist – über Soziale Medien, sagt er, habe er seine Botschaft mehrere Tage lang in die Welt verbreitet und vom Ring aus sei sie ebenfalls zu sehen gewesen – frustriert ihn das Schreiben dennoch. „Dass so ein Symbol der Einigkeit und Frieden für irgendjemanden anstößig und – wie Sie schreiben – ,nicht hinnehmbar’ sein könnte, finde ich unbegreiflich“, formuliert er in einem Antwortschreiben.
Mit der Fahne habe Faigen für Frieden werben wollen – und vereinen. „Wir erleben in Deutschland beim Thema Nahost, dass sich die Gesellschaft immer mehr spaltet.“ Das aber dürfe nicht die Botschaft sein, die in die Welt, in den Nahen Osten geht. „Wir haben doch alle ein Ziel: Frieden.“
Trotz teils schwieriger Gespräche im Vorfeld hat es in Mannheim nach dem 7. Oktober zumindest interreligiöse Friedensgebete gegeben. Faigen kritisiert, dass aber wirklich sichtbare Zeichen von Verwaltung und der Zivilgesellschaft für Frieden im Stadtbild fehlen würden. „Bin ich der Einzige, dem Frieden wirklich wichtig ist?“, sagt der Musiker.
Der Vermieter wollte sich in einem kurzen Telefonat mit dieser Redaktion inhaltlich nicht äußern.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach einem Jahr Nahost-Krieg ist die Situation auch in Mannheim angespannt