Solidarität

Mannheimer Initiative „KeinerBleibtAllein“: Wege aus einem einsamen Weihnachten

Die Mannheimer Initiative „KeinerBleibtAllein“ will zu Weihnachten und Silvester Alleinstehende vernetzen. Jetzt sucht sie Menschen, die allein sind, und Gastgeber, die einen Platz anbieten können

Von 
Lea Seethaler
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Die Mannheimer Initiative „KeinerBleibtAllein“ vernetzt Alleinstehende für Weihnachten und Silvester. © iStock

Mannheim. Sie haben einen Platz frei an Weihnachten für jemanden, der allein ist? Oder Sie sind allein und suchen Gesellschaft für die Feiertage? Ein Projekt eines Mannheimers könnte für Sie interessant sein. Aus der eigenen Einsamkeitserfahrung heraus gründete Christian Fein 2016 die Initiative KeinerBleibtAllein.

Der Mannheimer Christian Fein hat die Initiative "KeinerBleibtAllein" gegründet. Vernetzt hat er so bereits tausende Menschen. © Christian Fein

„Es war damals Heiligabend. Die Stimmung war einfach bedrückend. Ich wusste, es sind jetzt noch ein paar Stunden bis 21 Uhr. Ich wusste, dass das jetzt eine schwere Zeit wird. Und dann habe ich angefangen, mich abzulenken und die Tweets geschrieben“, so Fein. Über Tweets, verschlagwortete Kurznachrichten auf Twitter, macht Fein damals seinem Gefühl Luft. Er verschlagwortet mit dem Satz #KeinerTwittertAllein. Schon damals mit dem Ziel, Einsame zu vernetzen.

Große Facebook-Gruppe zum Vernetzen gegründet

Daraus wurde das Projekt KeinerBleibtAllein. Denn der Schrei ins Netz hallte so laut, dass er eine Debatte anstieß. Die Evangelische Kirche stieg mit ein, später auch der Konzern Facebook. Eine große Gruppe zum Vernetzen wurde dort gegründet und Usern vorgeschlagen.

Im Jahr 2017 versuchte Fein, Menschen zu verbinden, indem sie ihm eine Nachricht an seinen Twitteraccount schrieben und er sie „matchte“. 2700 Menschen machten mit, ein Erfolg. Zwei Jahre später zählte Fein über 63.000 Teilnehmer, 80.000 Chats. Die kamen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. 3500 Leute insgesamt fanden Gesellschaft über Weihnachten und Silvester, erzählt er.

Fein ist bereits am Vorbereiten für das diesjährige Weihnachten und Silvester. Er und sein Team matchen die Nachrichten, die über Facebook, Instagram und TikTok ankommen, händisch. Denn sie wählen sorgfältig aus. Und das braucht Zeit.

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Zudem hat die manuelle Auswahl einen weiteren Grund: „Je mehr es auf Weihnachten zugeht, desto mehr Menschen haben wir, die unter der eigenen psychischen Situation leiden“, sagt Fein. „Die vielleicht gar nicht vermittlungsfähig wären. Manche befinden sich auch in akuten Notsituationen. Da müssen wir dann intervenieren, etwa Rettungskräfte schicken. . .“, sagt Fein. Auf Nachfrage bestätigt er, dass er damit Suizidalität meint. „Seit Projektstart hatten wir 42 Versuche, fünf waren erfolgreich, das wissen wir.“ Im Team gibt es eine Supervision, um solche Situationen zu besprechen.

So funktioniert das Matching bei KeinerBleibtAllein

Wie also funktioniert das Matching? „Man schreibt uns zum Beispiel: Ich bin weiblich, 30 und suche eine weibliche Person zum Mitfeiern, zudem habe ich Bedarf an einer barrierefreien Lokalität“, erklärt Fein. Nach dem Matching wird der Kontakt hergestellt, dann kann man feststellen, „was für ein Mensch dahinter steckt“. Es bleibe den Teilnehmenden selbst überlassen, ob er oder sie sich treffen wollen, „ein bisschen wie beim Onlinedating“, erklärt Fein. „Weil wir natürlich nicht Persos verlangen oder Leute prüfen können.“ Fein betont, dass man sich, falls Unsicherheiten bestehen, auch erst einmal beschnuppern oder in der Öffentlichkeit treffen könne.

Über KeinerBleibtAllein, Hilfsangebote, den KrisenKompass und Ehrenämter in Mannheim

  • Die Teilnahme bei KeinerBleibtAllein ist kostenlos. Vernetzt wird zu Weihnachten und Silvester. Alle Infos: www.keinerbleibtallein.net
  • Teilnehmen kann man über die sozialen Medien. Einfach eine Nachricht schicken, ob man Gesellschaft bietet oder braucht. Genaue Anleitung: www.cutt.ly/IwOcPJMs
  • Die Plattform ist, so Fein, auch für alle, „die gerne neue Menschen kennenlernen wollen, aber nicht so richtig wissen, wie“. Für alle, die „endlich Verbundenheit zu anderen spüren wollen, für alle, die sehen, dass andere einsam sind, aber nicht wissen, wie sie helfen sollen“.
  • In Mannheim gibt es zahlreiche Ehrenämter, in denen man sich engagieren und zeitgleich neue Leute kennenlernen kann. Das kann ein erster Schritt gegen Einsamkeit sein. Offene Ehrenamtsstellen finden sich unter www.mannheim.de/de/freiwilligenboerse?page=3
  • Der KrisenKompass ist eine App, die eine Art Notfallkoffer für Krisensituationen darstellt. Mit Tagebuchfunktion und persönlichen Archiven, um positive Gedanken oder etwa Fotos, Erinnerungen oder Lieder zu speichern, kann ein persönliches Rüstzeug für schlechte Momente gepackt werden (Download unter www.telefonseelsorge.de/krisenkompass).
  • Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Sie Suizid-Gedanken plagen, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlose Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800 / 33 44 533 zu erreichen. see

 

KeinerBleibtAllein ist auch Infoplattform. Sie will „Impulse geben, selbsttätig aus der Einsamkeit zu kommen“, sagt Fein. Im Netz klärt er mit bunten Kacheln und selbst gedrehten Videos auf. Per Social Media halten er und sein Team Interessierte auf dem Laufenden. Er sagt: „Wir sind nur ein Teil eines Einsamkeitsangebots, das da draußen existiert. Unser Fokus liegt auf den jungen Erwachsenen.“ Denn Fein merkte, dass der Diskurs und politische Aktivitäten beim Thema Einsamkeit oft fehlten, sobald es um Jüngere gehe: „Es kann nicht sein, dass ich weiß: ja, jemand ist einsam, hat Depressionen, aber es kümmert mich nicht. Aber wenn er verrentet ist, kümmert es mich plötzlich.“

Fein: „Umgang miteinander ist schwerer geworden“

Zudem sagt Fein, Freunde und Kontakte zu finden, sei nicht mehr so einfach wie früher: „Der Umgang miteinander ist schwerer geworden als vor ein paar Jahren.“ Es sei allgemein ein „thematisches Minenfeld“ entstanden. Das erschwere den Zugang zu neuen Kontakten. „Sehen Sie, wenn wir jetzt reden würden, und ich würde sagen, dass es für diese Jahreszeit viel zu warm ist, hätten Sie vielleicht einen Anlass, gar nicht mit mir klarzukommen. Weil ich übers Wetter geredet habe und vielleicht einer von diesen Klimaktivisten bin. . .“ Er findet: „Jegliche Unschärfe von meiner Seite kann negativ bewertet werden.“ Und dann ende der Kontakt, bevor er beginnt.

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Fein findet: „Einsamkeit wird mittlerweile so negativ dargestellt, dass sie als Krankheit gesehen wird. Das hat auch zur Folge, dass die, die einsam sind, nicht darüber reden. Dabei ist es gerade wichtig, darüber zu sprechen.“ Außerdem endet Einsamkeit nicht schnell: „Wenn ich nur einmal bei KeinerBleibtAllein mitmache, ist es eben auch nicht so, dass ich sofort nicht mehr einsam bin.“

Einsamkeit ist ein „individuelles Großprojekt“

Aber es sei ein Anfang, „dass ich aus dem Status rauskomme, vielleicht die Möglichkeit habe, jemanden zu finden, der ein qualitativ hochwertiger Kontakt ist“. Fein resümiert: „Einsamkeit ist ein individuelles Großprojekt. Es ist im schlimmsten Fall ein bisschen wie beim Dating. Man muss 20 Personen probieren, bis man jemanden findet, der passt. Das ist bei Freundschaften auch so.“ Faktoren wie schlechte Vorerfahrung, wenn jemand mal zurückgewiesen wurde, erschwerten diesen Kontakt.

Christian Fein war natürlich selbst schon Gastgeber über die Feiertage: Eine Austauschstudentin ohne Kontakte in der Stadt feierte mit. Es sei ein tolles Fest gewesen. Fein, der bei DHL arbeitet, investiert seinen gesamten Jahresurlaub in das Projekt. Ehrenamtlich. Es ist für alle Teilnehmer kostenlos. Er selbst ist mittlerweile nicht mehr einsam, „sonst könnte ich so ein Riesenprojekt gar nicht wuppen“, sagt er.

Matching unter www.instagram.com/keinerbleibtallein oder www.facebook.com/KeinerTwittertAllein

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Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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