„Jetzt müssen wir gut aufpassen, damit wir im Alter nicht einsam sind“, sagt eine Frau mit grauen Haaren, die auf einen Vortrag im Marchivum wartet. „Manchmal wünsch’ ich mir’s ein bisschen“, antwortet eine andere grauhaarige Dame und lacht schallend.
Über den Autor - und Podiumsdiskussion mit Mannheimern
- Nach Stationen in Freiburg, Harvard und Heidelberg ist Manfred Spitzer ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ulm. Er studierte Medizin, Psychologie und Philosophie, bildete sich zum Psychiater weiter und habilitierte im Fach Psychiatrie.
- Einsamkeit komme meistens nicht allein: „Im Kontext unserer Beratungen etwa zu Sucht, Schwangerschaftsabbruch“, komme das Thema auf, so Timo Harald Lozano, Geschäftsführer der Diakoniestiftung. Auch Klienten, die die Diakonie wegen „vordergründiger Notlagen“ aufsuchten, seien schlicht einsam. Man versuche hier als Wohlfahrtsverband zu helfen, wo es gehe, obwohl man mit dem Personal an Grenzen gelange. Doch auch Vorträge wie dieser oder auch analoge (Mehrgenerationen)Treffpunkte schafften neue Chancen.
- Kathrin Heinrich von der Stadt Mannheim stimmt zu, betont auch, es sei wichtig, Strukturen zu bieten, wo man zusammenkäme. Angebote für Senioren wie Jugendliche, für verschiedenste Menschen: Hier sei Quartiersentwicklung- und management wichtig, mit niederschwelligen, auch ehrenamtlichen und nachbarschaftlichen Angeboten – Vernetzung der Träger stehe im Fokus.
- Altenseelsorger Gerhard Sprakties sagt, seine Kontakte hätten „Ich bin einsam“ nie ausgesprochen. Eher subtil hätten sie gesagt, wie schön es wäre, nicht nur funktionale Kontakte durch etwa Pflegende zu haben: “Die interessieren sich ja gar nicht richtig für mich“. Er ist für zweckfreies Interesses am anderen, einfach „mal dessen Lebensgeschichte“ lauschen.
- Jessika Tirandazi, Leiterin der Mannheimer Diakoniestation sagt: Ihre Mitarbeitenden tun alles, sich Zeit nehmen und da zu sein - zudem sei durch Projekte der Nachbarschaftshilfe der Bürgerschaft schon „freundschaftliche“ Verbindungen mit vormals Einsamen entstanden.
Den Vortrag hält Hirnforscher und Psychiater Manfred Spitzer. Das Thema: Einsamkeit. „Wie viele Freunde haben Sie eigentlich“, fragt Spitzer eingangs. „Aber was sind Freunde?“ bohrt er direkt weiter. Und hat die passende Definition parat: „Beste Freunde“, seien Leute, bei denen man nachts um drei klingeln könnte. Und dann sagen könnte: „Hey, mir geht’s nicht gut, kann ich bei dir auf der Couch schlafen.“ Zwei bis drei dieser hätte man, mit Glück vier, weiß der Autor, der sich in seinen Publikationen mit dem Thema Einsamkeit befasst – den Vortrag, zu dem die Diakoniestiftung eingeladen hatte, aber mit dem Gegenteil davon beginnt.
„Frauen haben meist mehr soziale Kontakte, im Schnitt eine beste Freundin mehr“, spezifiziert er. Zudem gäbe es noch die „guten Freunde“, 10 bis 15, die zum Geburtstag kämen. Zudem Bekannte, denen man Weihnachtskarten schriebe: „Das können, wenn sie alle rechnen, die Sie damit erreichen, schon 100 bis 150 sein“, verdeutlicht er unser Sozialverhalten. „Wir Menschen sind einfach hypersozial“, schlussfolgert Spitzer. Verglichen mit Schimpansen oder anderen Tieren umgäben wir uns mit viel mehr Kontakten. Doch nur oberflächlich: Es fällt der Begriff des „Distant Socialising“, welches wir in unserem Zeitalter betrieben: „Wir sind auf Facebook und Co. stetig vernetzt, obwohl wir uns in Wirklichkeit fern sind und nicht nahestehen.“
Er referiere als Forscher über Einsamkeit, „weil uns dieses Problem in Zukunft nicht loslassen wird.“ Die „Mega-Trends“ in der westlichen Welt seien: Medialisierung, Singularisierung und Urbanisierung. Und die verstärkten das Problem. Wer auf sozialen Medien in scheinbarer Geselligkeit viel Zeit verbringe, werde unzufriedener, macht er mit Studien im Gepäck deutlich. Sogar depressiv, teils suizidal, erläutert der Arzt. „Es ist nicht so, dass ich erst depressiv bin und dann zu Facebook gehe, ich gehe zu Facebook und werde depressiv“, sagt Spitzer, der sich im medialen Diskurs einen nicht unumstrittenen Namen als harter Kritiker der – insbesondere frühen – (sozialen) Digital-Medien-Nutzung gemacht hat.
Selfie als Ich-Gesellschafts-Ikone
Hinsichtlich der Singularisierung beschreibt Spitzer: Unserer Gesellschaft fehle es an Empathie. Mit weitreichenden Folgen. Als drastisches Beispiel nennt Spitzer Gaffer, die Sterbende filmen. „Das Problem hat so zugenommen in den letzten Jahren.“ Dass nun an Gesetzen dagegen gearbeitet werden müsse, „ist diagnostisch für unsere Zeit.“
Spitzer sagt zudem: „Ich hatte als kleiner junge einen Fotoapparat. Nieee im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, mich selbst zu fotografieren“. Wir leiden an einer „Narzissmus-Epidemie“ findet der Professor: „Das Selfie ist das Motiv Nummer eins, es geht immer um „Ich, ich, ich“.“ Wir entfernten uns von der Gemeinschaft. Insbesondere in den Städten sei dieser Trend spürbar. Und immer mehr Menschen lebten in diesen, schlägt er den Bogen zur Urbanisierung. „Wenn sie auf dem Dorf beim Bäcker kurz mit jemandem reden, das kurze „,Na wie geht’s‘, das ist der soziale Schmierstoff, der uns am Leben hält“, betont er. Die Urbanisierung mache das zu nichte, man lebe aneinander vorbei.
Insbesondere Junge litten an den Einsamkeitssymptomen, besonders seit Corona. Wie sich Einsamkeit im Experiment nachfühlen lässt, beschreibt er in der Folge: Menschen wurden in den Computertomograph (CT) geschoben. Mithilfe eines PCs spielten die Probanden zu Dritt Ballspiele im CT. Dann spielten zwei Menschen einem dritten den Ball irgendwann nicht mehr zu. Und da war es, das Gefühl der Einsamkeit: Ein Hirnbereich wurde aktiv, der anteriore Gyrus cinguli. Interessant dabei: Der ist auch das „Schmerzstärkeanzeigeinstrument“ des Körpers. Das Fazit der Forschenden: Einsamkeit bereitet Schmerzen. Denn das Gehirnareal ist auch unser „Einsamkeitsgefühlmesser“, so Spitzer. Nicht umsonst sagen wir beim Abschied: „Dein Weggang schmerzt mich!“, so der Buchautor.
Warum aber tut Alleinsein weh? Schmerzen zeigten dem Körper, er muss was ändern, „damit er nicht kaputt geht“, sagt Spitzer. „Einsame Menschen verhalten sich oft sehr nett und freundlich zu anderen, sind sehr extrovertiert, suchen eben die Kontakte“. Menschen waren zu Urzeiten alleine schneller tot, konnten alleine kein Mammut erlegen.
„Alone in the crowd“
„Es gibt Menschen, die baden in der Menge und fühlen sich wie der einsamste Mensch“, beschreibt Spitzer, der diese therapiert. Er weist auch darauf hin, dass (subjektiv empfundene)Einsamkeit ein Symptom vieler psychiatrischer Erkrankungen, wie etwa Depression sei. Und wenn Menschen, keine Leute haben, „wo sie nachts klingeln könnten“ – und das für lange Zeit, dann setze sie das unter Stress. Denn das Netz, dass einen potenziell auffangen könnte fehle so. Die Folge: Dauerstress. Im Gegensatz zu kurzzeitigem Stress ist dieser – tödlich, auf lange Sicht. Denn die Stresshormone, deren Ausschüttung man oft nicht bemerkt und die sich über lange Einsamkeit einschlichen, lösten Diabetes, Bluthochdruck oder auch Unfruchtbarkeit. Ein Teufelskreis zwischen Krankheiten und Körperfunktionsstörungen manifestiere sich so. Das zeigten mehrere Studien, die Mortalität Einsamer ist drastisch erhöht, zeigt Spitzer. Auch, wenn sie es subjektiv fühlen, aber in Gesellschaft sind. Er plädiert für mehr richtige, tiefergehende Gemeinschaft. Einer seiner Ratschläge ist auch: „Lernen sie etwas! Und zwar möglichst früh. Geige, Sport, irgendetwas! So werden sie immer Anschluss finden!“ Ob in Verein oder Orchester – oder wo auch immer – sie werden Gesellschaft und Wertschätzung erfahren – und weitergeben, sagt er.