Mannheim. Vier Kerzen, ein bisschen Tannengrün und dazu der Duft von Weihnachten: Der Adventskranz gehört für viele Menschen zur Vorweihnachtszeit dazu. Wenn an diesem Sonntag, dem ersten im Advent, die erste Kerze angezündet wird, beginnt nicht nur das neue Kirchenjahr, sondern soll das vor allem auch die besinnliche Zeit einläuten und Vorfreude entfachen.
Das jedenfalls waren Intentionen des Theologen Johann Hinrich Wichern, als er den Kranz erfunden hat, erklärt Hiram Kümper (Bild), Inhaber des Lehrstuhls für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit an der Universität Mannheim. Im Gegensatz zu vielen anderen Traditionen lasse sich Wicherns Erfindung ziemlich exakt ins Jahr 1839 datieren. „Auf dem ursprünglichen Weihnachts- oder Lichterkranz waren Kerzen für jeden Tag im Advent“, sagt Kümper.
Der evangelische Theologe Wichern hatte 1833 das Rauhe Haus gegründet, um Kinder, meist Waisen, von Hamburgs Straßen zu holen und auf das Berufsleben vorzubereiten. „Letztlich war es eine soziale Anstalt, in der Jugendliche gearbeitet haben – aber mit den besten Absichten, wie man sie im 19. Jahrhundert oft erlebt hat und die rückblickend heute oft etwas eigenartig wirken“, sagt Kümper. Um Vorfreude zu wecken und den Kindern zu zeigen, wie viele Tage es noch bis zum Fest sind, bastelt Wichern 1839 den Weihnachtskranz, auf dem je nach Dauer der Adventszeit zwischen 22 und 28 Kerzen stecken. „Der Kranz ist so etwas wie ein Countdown“, sagt Kümper. Erst später werden häufig nur noch vier Kerzen auf den Adventskranz gesteckt, die an den vier Sonntagen angezündet werden.
Licht ist nicht nur an Weihnachten ein festliches Symbol
Den großen Countdown gibt es heute dagegen vor allem in anderem Zusammenhang. „Im Grunde ist der Adventskalender eine Form von Wicherns Weihnachtskranz“, sagt Kümper. So haben sich aus dessen Kranz zwei Traditionen entwickelt: Die eine – der Kalender – betont mit kleinen (oder immer größer ausfallenden) Geschenken eher das Kindliche, die andere – der Adventskranz – betont an den vier Sonntagen vor allem das Christliche. In der katholischen Kirche etabliert sich der vom überzeugten Protestanten Wichern erfundene Kranz laut Kümper teilweise erst im 20. Jahrhundert.
Ob auf Wicherns Weihnachtskranz oder auf dem Adventskranz wie wir ihn heute vor allem kennen: Das Licht ist das zentrale Element der Vorbereitung auf das Fest. Darin sieht Kümper Parallelen zu anderen religiösen Festen, wie dem in skandinavischen Ländern verbreiteten Luciafest oder dem jüdischen Lichterfest Chanukka. „Die Verbindung von Licht und Feier ist genauso weit verbreitet wie das Binden von Kränzen zu besonderen Feiern.“
Auch für mehrere Besucherinnen und Besucher des Weihnachtsmarkts am Wasserturm gehört der Adventskranz zur besinnlichen Zeit mit dazu. So erzählt der achtjährige Mike stolz, dass er jeden Sonntag die Kerzen anzünden darf – natürlich aber nur, wenn Mama und Papa mit dabei sind, schränkt Vater Tobias mahnend ein. Studentin Sina Peters erklärt zwar, in diesem Jahr keinen Adventskranz in ihrer Wohnung zu haben, den im schwäbischen Elternhaus aber immer gerne anzuschauen. „Kerzen sind einfach beruhigend und besinnlich.“
Auch Kümper zündet zu Hause Kerzen an, erzählt er. Für ihn, den Historiker, ist der Adventskranz eines der „interessantesten“ Beispiele dafür, wie Religion verbürgerlicht wird. So ist der Kranz zwar von Beginn an ein christliches Symbol, das gleichzeitig aber weder biblisch noch in einer langen kirchlichen Tradition begründet ist. „Der Adventskranz oder natürlich auch der Weihnachtsbaum sind keine religiösen Figuren im eigentlichen Sinne “, sagt Kümper. „Trotzdem haben sich diese säkularen Bräuche ein zutiefst religiöses Fest angeeignet und überlagern das in der Regel sogar.“
Für den Historiker ergibt sich daraus die Frage, was an Weihnachten überhaupt gefeiert wird, erklärt er. „Warum gibt es in fast jeder Behörde und in fast jedem Unternehmen in den nächsten Wochen wie selbstverständlich explizit sogenannte Weihnachtsfeiern, obwohl die meisten, die da feiern werden, das wahrscheinlich nicht mit einem christlichen Glauben verbinden?“ Kümper sieht darin ein Indiz, dass Weihnachten nicht allein ein kirchliches Fest, sondern immer mehr eines für die breite Gesellschaft ist.
Historiker Kümper: Adventskranz ist heute noch zeitgemäß
Der Adventskranz bringt Menschen aber auch ganz praktisch zusammen, sagt Kümper. So wie Mike mit seinen Eltern um die brennenden Kerzen zusammenkommt, kann der Adventskranz auch auf andere Familien beruhigend und besinnlich wirken. „Man kann die Kerzen nicht einfach unbeaufsichtigt brennen lassen, sondern muss dabei sein. Dadurch ergibt sich die Gelegenheit, sich wenigstens mal eine halbe Stunde gemeinsam zu besinnen und der Kerze beim Brennen zuzusehen.“
Gerade weil der Adventskranz außerdem kein ur-christliches Symbol ist, sondern nur an kirchliche Traditionen „andockt“, wie Kümper sagt, sei der Brauch auch heute noch zeitgemäß. „Der Adventskranz sagt erstmal nichts anderes aus, als dass man sich auf das Fest freut. Und freuen darf sich schließlich jeder – egal, wie gläubig man ist.“
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