Mannheim. Herr Wambach, Mannheim will bis 2030 klimaneutral sein. Wie finden Sie das?
Achim Wambach: Die Transformation, die aufgrund des Klimawandels auf uns zukommt, ist enorm. Darum muss die Stadt aktiv werden, das ist vollkommen richtig. Ich glaube aber nicht, dass die Antwort auf diese Herausforderung lautet: Eine einzelne Kommune sollte so schnell wie möglich klimaneutral werden.
Warum nicht?
Wambach: Klimapolitik wird derzeit auf sehr vielen Ebenen betrieben. Das ist einerseits richtig, weil die Transformation alle betrifft. Andererseits führt das zu dem Problem, dass die Verantwortlichkeiten nicht klar getrennt sind und sich die Maßnahmen teilweise widersprechen.
Woran denken Sie dabei?
Wambach: Zum Beispiel an das Stromsystem. Es ist nicht die Aufgabe der Kommunen, die Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen. Das ist die Aufgabe der Versorger und des Marktes. Darum halte ich es nicht für sinnvoll, dass die Stadt ihr Geld etwa in den Ausbau von Solaranlagen steckt. Das bringt den Klimaschutz nicht voran.
ZEW-Chef
- Achim Wambach ist Professor für Volkswirtschaftslehre und seit 2016 Präsident des ZEW.
- Im Sommer erschien sein Buch „Klima muss sich lohnen“. Am Mittwoch, 12 Uhr, diskutiert er online mit Klaus Müller (Bundesnetzagentur) über die Energieversorgung in Krisenzeiten (www.zew.de).
Warum nicht?
Wambach: Weil die Stromerzeugung auch ohne diese Bemühungen transformiert wird. Die EU hat das bereits über den europäischen Emissionshandel geregelt. Der funktioniert und sorgt dafür, dass wir in diesem Bereich unsere Klimaziele erreichen werden – auch ohne gesonderte kommunale Initiativen.
Könnten Sie das erklären, bitte?
Wambach: Die Gesamtmenge des CO2, das bei der Stromerzeugung in Europa ausgestoßen werden darf, ist von der EU begrenzt worden. Und sie wird bis 2050 immer geringer, weil die EU dann klimaneutral sein will. Der erlaubte CO2-Ausstoß wird über Zertifikate geregelt, die Unternehmen kaufen müssen, wenn sie Treibhausgas emittieren wollen.
Man könnte das kommunale Steuergeld, das in den Solarstrom fließt, besser investieren
Was bedeutet das für Mannheim?
Wambach: Wenn heute hier mehr Solarstrom erzeugt wird, führt das nur dazu, dass CO2-Zertifikate frei werden und dann in anderen Ländern ein Kohlekraftwerk länger läuft. Dem Klima ist es aber egal, ob das CO2 in Mannheim oder anderswo freigesetzt wird: Es schadet so oder so. Darum könnte man das kommunale Steuergeld, das in den Solarausbau fließt, besser investieren: etwa in die energetische Sanierung von Schulen oder Kindergärten.
Heißt das, dass Sie vom Mannheimer Klimaschutzaktionsplan nicht besonders viel halten?
Wambach: Nein, ganz und gar nicht! Es gibt sehr viele Felder, wo die Stadt handeln und sich vorbereiten muss. Klimaanpassung ist da ein ganz wichtiges Stichwort: Wie gehen wir mit höheren Temperaturen um? Wie kriegen wir Wind in die Stadt? Gibt es genügend Flächen, die Sonnenstrahlen reflektieren? Viele Maßnahmen des Aktionsplans gehen in diese Richtung. Das ist absolut richtig. Denn es wird ja auf jeden Fall wärmer werden, die Frage ist nur: um wie viel Grad?
Was können Kommunen sonst noch zum Klimaschutz beitragen?
Wambach: Unsere großen Baustellen dabei sind die Bereiche Gebäude und Verkehr. Und in diesen Feldern kommen der Stadt sehr wichtige Aufgaben zu: Sie sollte die E-Mobilität fördern, indem sie den Ausbau von Ladesäulen vorantreibt – und dabei darauf achtet, dass Wettbewerb herrscht und nicht nur ein Anbieter dominiert. Sie muss den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen, so dass er zu einer echten Alternative für möglichst viele wird. Und sie sollte mehr Radwege bauen – das darf nicht so lange dauern wie der Schnellweg zwischen Mannheim und Heidelberg.
Einen reinen Marktausstieg der Kohle werden wir bis 2030 nicht sehen
Und bei den Gebäuden?
Wambach: Da ist es in erster Linie die Aufgabe der Hausbesitzer, etwa Wärmepumpen einzubauen; und die der Stadtwerke, etwa die Fernwärmeerzeugung umzustellen. Aber die Stadt kann das unterstützen, indem sie die Bürgerinnen und Bürger informiert, berät und über neue Möglichkeiten wie Geothermie aufklärt.
Wie lange, denken Sie, wird es in Mannheim noch das Steinkohlekraftwerk GKM geben?
Wambach: Vor dem Angriff auf die Ukraine sah alles danach aus, dass die Kohlekraftwerke bis 2030 aus dem Markt gedrängt werden: weil die hohen Zertifikatspreise ihren Betrieb zunehmend unwirtschaftlich machen. Nun ist das Gas aber so teuer geworden, dass dieser Prozess länger dauert. Einen reinen Marktausstieg der Kohle werden wir bis 2030 nicht sehen.
Schadet das dem Klimaschutz?
Wambach: Nein. Solange die Kohlekraftwerke dem Zertifikatehandel unterliegen, ist sichergestellt, dass Europa seine Klimaziele erreicht. Das heißt, um den Klimaschutz müssen wir uns deswegen keine Sorgen machen. Es muss vielmehr um die Frage gehen, wie wir den Ausstieg effizient gestalten. Und da der Block 9 des GKM sehr effizient ist, kann er einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
Verliert Mannheim durch die Transformation in Richtung Klimaneutralität Arbeitsplätze?
Wambach: Mannheim ist ein starker Industriestandort, darum wird die Transformation uns auch stark treffen. Ein Teil der Industrie kann sich umstellen, ein Teil wird aber vermutlich abwandern. Das werden wir bereits in den nächsten Jahren erleben: Durch die Energiekosten, die höher als früher bleiben werden, wandern Industrien mit geringer Wertschöpfung ab, etwa die Ammoniakproduktion. Das heißt, wir müssen gleichzeitig daran arbeiten, dass sich neue Unternehmen ansiedeln. Da ist dann wieder die Kommune gefragt, die die Voraussetzungen dafür schaffen und ein Ermöglicher sein muss.
Gefährdet das alles nicht unseren Wohlstand?
Wambach: Nein. Studien haben gezeigt, dass wir – wenn wir eine kluge Klimapolitik betreiben – bis 2030 mit Einbußen von drei Prozent beim Bruttosozialprodukt rechnen müssen. Dieses steigt bis dahin aber um etwa zehn Prozent. Unterm Strich bleiben also immer noch sieben Prozent übrig. Das sind alles nur Szenarienrechnungen, und es kann auch anders kommen. Aber nach Wohlstandsverlust sieht das nicht aus.
Glauben Sie, Mannheim schafft es, bis 2030 klimaneutral zu sein?
Wambach: Ich wäre froh, wenn wir bis 2030 die europäischen Klimaziele, die mit dem European Green Deal gerade nochmals verschärft wurden, erreichen.
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