Mannheim. Viel wird in diesen Tagen, Wochen und Monaten über Werte diskutiert, die unsere Demokratie ausmachen. Zu diesen haben sich nicht zuletzt im Januar etwa 20 000 Menschen bei der Kundgebung „Nie wieder ist Jetzt!“ auf dem Alten Meßplatz bekannt und dabei gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Ausgrenzung demonstriert.
Um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen, benötigt es aber nicht immer gleich 20 000 Menschen. In der Aula der Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried (IGMH) gelingt das auch mehr als 430 Jugendlichen, die an diesem Vormittag über antimuslimischen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit diskutieren.
Beauftragter gegen Antisemitismus Michael Blume diskutiert in Mannheim mit Schülern
Neben Cem Vamin, Leiter des Projekts „Junge Muslime engagiert für Demokratie“ am Mannheimer Institut für Integration und interreligiöse Arbeit, ist der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, an die IGMH gekommen. Auch Jugendliche des Johanna-Geissmar-Gymnasiums nehmen teil.
Wir alle müssen uns für eine friedliche und freiheitliche Gesellschaft einsetzen, in der Diskriminierung, Ausgrenzung, Rassismus und insbesondere Antisemitismus keinen Platz haben.
„Wir alle müssen uns für eine friedliche und freiheitliche Gesellschaft einsetzen, in der Diskriminierung, Ausgrenzung, Rassismus und insbesondere Antisemitismus keinen Platz haben“, erklärt IGMH-Rektor Rainer Mickelat. „Als Schulgemeinschaft bilden wir einen Teil dieser Gesellschaft.“
Nicht nur wegen des Kriegs in Nahost ist die Relevanz der Diskussion nicht hoch genug einzuschätzen. Durch ihre Form - die Gesamtschule vereint Gymnasium, Realschule und Werkrealschule - bedient die IGMH viele Kultur- und Bildungsschichten, was auch Konfliktpotenzial birgt. An der Schule hatte es vergangenes Jahr etwa - bereits vor dem 7. Oktober - Hakenkreuzschmierereien gegeben. Jugendliche würden antisemitische Symbole und Äußerungen aufgreifen, „ohne sich immer bewusst zu sein, was diese bedeuten und welche tiefgreifende Angriffe sie für Menschen darstellen“, sagt Mickelat nun.
Schüler diskutieren ruhig und sachlich über Antisemitismus
Nachdem zunächst Vamin über verschiedene Strömungen des Islam oder teilweise jahrhundertelang gepflegte antimuslimische Stereotypen referiert, spricht Blume über seine Arbeit, über Radikalisierung in Sozialen Medien oder über die Grundlage für Rassismus.
Immer wenn jemand sagt, wir sind die Guten und die anderen die Bösen, wird es unglaublich problematisch.
„Immer wenn jemand sagt, wir sind die Guten und die anderen die Bösen, wird es unglaublich problematisch“, sagt Blume, der den Jugendlichen attestiert, dass jede und jeder ein „einzigartig wertvolles Potenzial“ habe. Er appelliert: „Wenn Sie einmal damit anfangen, eine Gruppe abzuwerten - ob rassistisch, antimuslimisch, antisemitisch, sexistisch oder auf welche Weise auch immer -, hört das nicht mehr auf. Dann landen Sie in einer Welt, in der immer die anderen Schuld sind und in der Sie immer mehr verbittern.“
Den Vorträgen schließt sich eine mehr als einstündige Fragerunde der Jugendlichen an. Bemerkenswert, dass die über die gesamte Dauer der Diskussion diszipliniert zuhören und teilnehmen. Die Debatte verläuft in ruhigem Ton. Dabei sind die Themen vielfältig - mal persönlich, mal politisch.
Schüler in Mannheim besonders interessiert an Blumes Meinung
Ein großes Interesse gilt etwa den Lebensumständen von Blume. Der Christ, der sich für ein sicheres Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland einsetzt, ist mit einer muslimischen Frau verheiratet und Vater dreier Kinder. Die dürften selbst entscheiden, welche Religion sie annehmen, erklärt er.
„Wie sehen Sie die Lage im Nahen Osten?“, fragt ein Jugendlicher. Auf beiden Seiten würden die meisten Menschen in Frieden leben wollen, ist Blume überzeugt. „Aber sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite gibt es Radikale, die immer wieder gegeneinander hetzen.“ Gerade die von der palästinensischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober überfallenen Kibbuze seien „friedensbewegt“ gewesen, in denen viele Menschen auch aus Gaza gearbeitet hätten.
Gleichzeitig erklärt Blume, dass er von der israelischen Regierung unter Netanjahu „nicht begeistert“ sei. „Ich hoffe, dass wir eines Tages Frieden erleben werden, wenn sich auf beiden Seiten die Friedenskräfte durchsetzen.“ Dafür müsste sich aber auch in Deutschland vieles verändern, etwa, indem man von Gas und Öl aus Ländern wegkomme, die Terrororganisationen mitfinanzierten. Blume übrigens spricht sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. „Ich bin dafür, dass Israel als Staat bestehen bleibt, aber auch dafür, dass die Palästinenserinnen und Palästinenser einen Staat bekommen.“
Blume rät den Jugendlichen, am Thema dranzubleiben
Studienrätin Pia Becker betont, dass ihr an der Schule noch kein Jugendlicher begegnet sei, der die Taten der Hamas gutgeheißen oder sich mit der Gruppe gar solidarisiert hätte. „Aber es gibt Jugendliche, die mit Menschen in Gaza leiden, die angegriffen werden, obwohl sie nicht aktiv Beteiligte des Konflikts sind.“ Wie könne man als Schule Solidarität zu diesen Menschen bekunden, ohne dadurch die Sensibilität für Antisemitismus oder die Verantwortung Deutschlands für Juden zu vernachlässigen, will sie wissen.
Eine Gretchenfrage, die sich derzeit wohl viele Menschen weit über die Grenzen der IGMH hinaus stellen. Vahim warnt davor, den Konflikt zu einem der Religionen zu machen. „Es ist vor allem erstmal ein historisch-politischer Konflikt.“ Über diese Unterschiede müsse man aufklären und die Begriffe eindeutig definieren.
Blume rät zu weiteren Veranstaltungen, in denen Jugendliche, Lehrer und Experten aller Seiten miteinander ins Gespräch kommen. „Es ist wichtig, dass wir gemeinsam sagen: Antisemitismus ist nicht okay. Und es ist wichtig, dass wir gemeinsam verhindern, Muslime unter Generalverdacht zu stellen oder zu sagen, man kann nur für die eine oder die andere Seite sein und die Seite ist mehr wert als die andere.“
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