Literatur

Meron Mendel spricht bei Festival Lesen.Hören über Israel

"Über Israel reden" heißt das Buch von Meron Mendel, über das er in der Alten Feuerwache in Mannheim mit der Journalistin Livia Gerster diskutierte - ein weiterer Höhepunkt des Festivals Lesen.Hören

Von 
Hans-Günther Fischer
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Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, im Gespräch mit Livia Gerster. © Markus Prosswitz

Dringlich war das Thema immer schon. Nun hat es nochmals deutlich an Brisanz gewonnen: „Über Israel reden“ hatte Meron Mendel fast genau vor einem Jahr veröffentlicht. Der Angriff der Hamas war wie der Krieg in Gaza damals noch nicht abzusehen. Doch die Reaktionsmuster auf diese Vorkommnisse hatte Mendel, der der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt vorsteht, in besagtem Buch bereits beschrieben. Und sie waren, nicht zuletzt in Deutschland, wieder einmal wenig angemessen.

Livia Gerster, Journalistin bei der „FAZ“ und Bühnenpartnerin von Mendel bei einer Gesprächsveranstaltung des Lesen.Hören-Festivals in Mannheim in der gut besuchten, aber nicht ausverkauften Alten Feuerwache, sagt das zu Erwartende: Die Deutschen seien mit der Sache „nicht gut umgegangen“. Was besonders „den zerrissenen Kulturbetrieb“ betreffe, findet Mendel.

Scheitern vorgegeben

Aber, ohne wehleidig zu werden: Kann man es in Deutschland überhaupt je „richtig“ machen, wenn das Thema Israel und Palästina auf der Tagesordnung steht? Ein - hoffentlich recht ehrenwertes - Scheitern scheint hier vorgegeben. Der Geschichte, und das heißt natürlich hauptsächlich: den Nazi-Jahren, kann man nicht entrinnen.

Livia Gerster stellt in Mannheim auch zu diesem Teilaspekt ihre genauen Fragen. Meron Mendel kann nur antworten: „Wir alle schauen durch die Brille der Geschichte auf die Gegenwart.“ Wir können diese Brille nicht mehr ablegen, mag sie bisweilen auch die Sicht verzerren.

Hierzulande gibt es wohl bloß eine adäquate Möglichkeit und Sprechweise, den aktuellen Krieg im Nahen Osten zu bewerten. Man muss beides scharf verurteilen: den fürchterlichen Terrorangriff der Hamas - und Israels für die Zivilbevölkerung fatalen Krieg in Gaza (ungeachtet seines Rechts auf Selbstverteidigung). Eine gewisse rituelle Formelhaftigkeit hat diese Redepraxis mittlerweile freilich auch schon wieder angenommen. Aber das sind die Problemchen von Debatten-Teilnehmern in Deutschland.

Meron Mendel ist da doch ein bisschen näher dran, auch wenn er jetzt seit mehr als 20 Jahren überwiegend in Deutschland lebt. Seinen Bruder hat man in die israelische Armee beordert, und er selbst habe auf einer Reise im vergangenen November überall „ein Land im Schockzustand“ erlebt, wie er berichtet. Mendel ist in einem Kibbuz aufgewachsen und ein eher „linker“ Israeli, er war Friedensaktivist. Die ganze Perversion des Angriffs der Hamas beweist sich bereits darin, dass er ausgerechnet Kibbuzim zum Ziel erkor.

Diese Hamas scharf zu verurteilen, müsste doch möglich sein, sollte man glauben. „Was ist schlimm daran?“, fragt Meron Mendel. Dennoch unterbleibt es in nicht wenigen Milieus. Etwa in weiten Teilen der Studentenschaft: weil dort vier Fünftel auf der Seite Palästinas ständen, wie der Autor schätzt. „100 Prozent Gefühl“, aber fast überhaupt kein Wissen habe er dort angetroffen. Bildung laufe heutzutage über Instagram und TikTok, Influencer hätten mittlerweile eine Meinungsmacht, wie sie das lineare Fernsehen schon längst verloren habe. Influencer seien dabei gar nicht immer böswillig. Aber oft ahnungslos. Man müsse sie nur weiterbilden, fordert Mendel. Um die Aufgabe beneiden muss man freilich niemanden.

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Doch Meron Mendel macht es sich eben nicht leicht und ist bereit, jede Behauptung einem aufwendigen Faktencheck zu unterziehen. Etwa was den Vorwurf der „Apartheid“ angeht, der im Hinblick auf den Umgang Israels mit der arabischen Bevölkerung erhoben wird. „Apartheid“ habe er, im Gegensatz zu vielen, die das Wort benutzten, in Südafrika auch selbst studiert. Und Mendel kommt zu dem Ergebnis, dass es sie im Kernstaat Israel zwar nicht gebe, in den besetzten Territorien aber ansatzweise schon. Dort existierten mancherorts Verbotszonen für Araber, und auch die ökonomischen Ressourcen seien äußerst ungleich aufgeteilt, etwa im Hinblick auf die Wassernutzungsrechte.

Deshalb sei die Unterstellung von „Apartheid“ keineswegs schon „Antisemitismus“, mit dem letztgenannten Wort werde oft allzu fahrlässig verfahren. Und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Großmeister des schrägen bis absurden, wenn nicht gar perfiden Holocaust-Vergleichs, ist Meron Mendel ohnehin suspekt: „Er würde alles machen, um im Amt zu bleiben.“ Weil ihm sonst Gerichtsverfahren drohten.

Kämpfer gegen Hysterie

Doch zurück nach Deutschland, nehmen wir den neuesten Skandal bei den Berliner Filmfestspielen: Bei der Preisverleihungsgala wurde Israel von einem Regisseur des „Genozids“ bezichtigt. Was wäre die adäquate Reaktion darauf gewesen, möchte Livia Gerster wissen, welche Konsequenzen müsse man jetzt daraus ziehen? Eher keine, findet Meron Mendel: „Hätte Claudia Roth die Bühne stürmen sollen?“ Derlei Vorkommnisse müsse man verkraften, denn sie seien nun mal „eine Abbildung der Wirklichkeit“. Mendel, ein Kämpfer gegen Hysterie und geistige Verengung und Verkapselung, sitzt dort, wo heutzutage jeder Intellektuelle mehr denn je platziert sein sollte: zwischen allen Stühlen.

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