Interview

„Herr der Pfänder“ im Leihamt Mannheim geht in den Ruhestand

Jürgen Rackwitz verabschiedet sich nach 45 Dienstjahren. Mit seiner 24-jährigen Ära als Leiter des Mannheimer Leihamts sind einige Neuerungen verbunden.

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Waltraud Kirsch-Mayer
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Nach 45 Jahren im Dienst wird Jürgen Rackwitz als Leiter des Mannheimer Leihamts in den Ruhestand verabschiedet. © Axel Heiter

Mannheim. Hinter ihm liegen 45 Dienstjahre – jetzt geht Jürgen Rackwitz in den Ruhestand. Als „Herr der Pfänder“ wurde er im Dezember 2001 nach Aufploppen der sogenannten Leihamtsaffäre berufen. Mit seiner Ära sind so manche Neuerungen wie das Variopfand verknüpft – außerdem die unlängst abgeschlossene Sanierung der Sandsteinfassade samt Glaspyramide des historischen D4-Eckgebäudes.

Herr Rackwitz, um was ging es eigentlich bei der Leihamtsaffäre, die kommunalpolitisch ziemlich Staub aufgewirbelt hat?

Jürgen Rackwitz: Eigentlich ist der Begriff irreführend. Die Affäre hatte ja nichts mit dem Leihamt zu tun, sondern mit einer Reise des Leihamtsausschusses nach Wien. Und die sollte sich als Lustreise erweisen.

Bei dieser Lustreise war neben dem damaligen Leihamt-Geschäftsführer, der gehen musste, auch die Sozialbürgermeisterin dabei. Gegen Mechthild Fürst-Diery wurden allerdings Untreue-Ermittlungen eingestellt. Stimmt es, dass das Wiener Auktionshaus Dorotheum geschlossen hatte, als es angeblich von der Mannheimer Delegation besucht wurde?

Rackwitz: Ja, das stellte sich heraus. Und manch anderes auch. Mit meiner Berufung sollte ein Neuanfang gesetzt werden.

Was haben Sie verändert?

Rackwitz: Zunächst habe ich die Schalterhalle umbauen lassen und die Öffnungszeiten durchgehend an fünf Werktagen von 9 bis 17 Uhr verlängert. Seinerzeit gab es noch viele Hilfskräfte. Inzwischen ist selbstverständlich, dass Fachpersonal – ob Goldschmiedemeister, Diamantgutachter oder Uhrmachermeister – am Schalter sitzt.

„Zur Steuerung des Wuchers und zum Besten der bedürftigen Volksklasse“ – mit diesem Anliegen wurde das Leihamt anno 1809 im Alten Kaufhaus N1 gegründet. Was ist geblieben, was hat sich gewandelt?

Rackwitz: Die Stadt Mannheim wurde als Träger der Anstalt bestimmt – was bis heute zutrifft. Seit in Augsburg das dort bereits 1603 gegründete kommunale Leihamt geschlossen wurde, ist unsere Einrichtung Deutschlands einzige öffentlich-rechtliche Pfandanstalt.

Das Städtische Leihamt Mannheim ist die einzige öffentlich-rechtliche Pfandanstalt in Deutschland. © Axel Heiter

Und wie wird der soziale Auftrag umgesetzt?

Rackwitz: Menschen, die sich in finanzieller Notlage befinden, bekommen einen Pfandkredit gewährt – damit sie sich nicht verschulden oder Werte verkaufen müssen. Zu uns kommen neben Privatleuten auch mittelständische Unternehmer, die einen Engpass überbrücken müssen.

Wie viel Geld wird sofort bar an der Kasse ausbezahlt?

Rackwitz: Also bei Ankauf oder Verkauf von Gold bis 2.000 Euro, der Rest wird überwiesen. Bei Pfandkrediten liegt die Bar-Obergrenze bei 20.000 Euro. Viele Menschen brauchen und wollen aber deutlich geringere Darlehen, oftmals lediglich 50 oder 100 Euro. Und manchmal wird ein dünnes Goldkettchen als letzter persönlicher Wertbesitz mit 10 oder auch nur 5 Euro beliehen.

Wie viele der Pfänder werden später nicht ausgelöst?

Rackwitz: Ich will es umgekehrt beantworten: Seit Jahren werden fast alle, nämlich 97 Prozent der Pfänder ausgelöst.

So etwas wie Schufa oder Bonitätsprüfungen gibt es beim Leihamt nicht.

Rackwitz: Richtig, allein das Pfand und dessen Wert zählt.

Und wie funktioniert ein Pfandkredit?

Rackwitz: Ein Pfandvertrag hat eine Laufzeit von vier Monaten plus einem Monat Schonfrist. Die Gebühren variieren von monatlich bis zu drei Prozent bei Darlehen unter 50 Euro bis ein Prozent bei über 5.000 Euro. Abgerechnet wird auf den Tag genau.

Und was passiert, wenn jemand die beliehene Uhr oder den Goldschmuck nicht auszulösen vermag?

Rackwitz: Ein Pfandvertrag kann verlängert werden. Es müssen Zinsen und Gebühren für die abgelaufene Zeit geleistet werden.

Was ist mit jenen wenigen Pfändern, die liegen bleiben?

Rackwitz: Die werden öffentlich durch einen bestellten und vereidigten Auktionator versteigert. Ein eventueller Mehrerlös kommt dem Kunden zugute, den wir bis zu drei Jahren nach der Versteigerung auszahlen.

Bitte ein Beispiel.

Rackwitz: Eine Frau bringt uns einen Goldring, weil sie hundert Euro benötigt. Später kann sie den Schmuck nicht auslösen, sodass dieser zur Auktion kommt. Dabei werden 150 Euro erlöst. Nach Abzug des Darlehens, von Gebühren, Zinsen und Verwertungskosten bleiben 25 Euro. Dieser Überschuss wird der Kundin überwiesen. Wenn sie noch andere Pfandkredite bei uns laufen hat, kann der Betrag mit diesen Gebühren verrechnet werden. Ganz neu bieten wir Kundenkonten.

Zur Person

  • Jürgen Rackwitz geht zum 1. September in Pension, räumt aber Ende Juli seinen Schreibtisch. Der gebürtige Mannheimer (2. Januar 1960) und Vater von drei erwachsenen Kindern lebt mit seiner Ehefrau in Edingen-Neckarhausen.
  • Nach dem Abitur hat er eine 45 Jahre währende Beamtenlaufbahn absolviert, einschließlich Fachhochschulstudium für Öffentliche Verwaltung. Zu seinen Stationen gehört bei der Stadt Mannheim das Rechnungsprüfungsamt. 1991 Wechsel ins Dekanat der Medizin-Fakultät Mannheim (Universität Heidelberg) als Geschäftsführer. Am 6. Dezember 2001 Berufung auf den Leihamt-Chefsessel.
  • Mit seiner 24-jährigen Ära in dem geschichtsträchtigen D 4-Prachtbau sind verknüpft: Digitalsierung der Pfandannahme bis zur Einlösung, auch das Variopfand, außerdem Einführung des An- und Verkaufs von Gold, eines Online-Shops sowie von Online-Versteigerungen.
  • Ohne städtische Zuschüsse erfolgte in den vergangenen zwei Jahren die Sanierung der Außenfassade und Glaspyramide. Gesamtkosten: 1,2 Millionen Euro.
  • Seine Nachfolge steht fest : Anton Meinzer hat sich bereits als kaufmännischer Leiter und Prokurist im Leihamt bewährt. Obendrein gehört der Goldschmiedemeister zu den Experten für Edelmetalle.

„Der große Schrank von Mannheim“ hieß das Leihamt früher im Volksmund, weil auch Körpertextilien und Bettlinnen beliehen wurden – sodass der Etat für Mittel gegen Motten bis in die 1960er beträchtlich war.

Rackwitz: Das war einmal. Wir nehmen heutzutage weder Herrenanzüge noch Damenpelze und auch keine im Wert unbeständigen Gegenstände wie Teppiche. Auch nicht Laptops, Navigationssysteme oder E-Bikes, die älter als ein Jahr sind. Waffen jeglicher Art sind ohnehin ausgeschlossen.

Und was sind die bevorzugten Klassiker beim Beleihen?

Rackwitz: Schmuck beziehungsweise Barren und Münzen aus Edelmetall, insbesondere Gold und Silber. Außerdem hochwertige Uhren wie Rolex oder Breitling gegen Vorlage der Rechnung und Zertifikat. Neuerdings auch Taschen und Accessoires von Designermarken wie Chanel, Hermès, Louis Vuitton, Gucci, MCM oder Prada, auch hier mit Originalrechnung.

Wird versucht, dem Leihamt Hehlerware unterzujubeln?

Rackwitz: Eher selten. Es hat sich herumgesprochen, dass wir bei vielen Wertgegenständen Eigentumsnachweise verlangen. Und dass seriöse Pfandhäuser gut untereinander vernetzt sind. Wir scheuen uns auch nicht, die Polizei einzuschalten.

Machen Fälschungen, Plagiate und Co. zu schaffen?

Rackwitz: Die schon eher. Aber unser Schätzer-Team besitzt Fachkompetenz, Erfahrung und Menschenkenntnis.

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Und was ist mit dem berühmt-berüchtigten „Autobahngold“, wie jene so falsche wie wertlose Ringe, Ketten und Armbänder heißen, die Betrüger vorzugsweise an Autobahnraststätten und Parkplätzen mittels rührseliger Geschichten andrehen?

Rackwitz: Die Masche funktioniert erstaunlicherweise seit Jahren. Oft merken Betrogene erst, dass sie beispielsweise auf polierten Messingschmuck mit hauchdünnem Goldüberzug hereingefallen sind, wenn sie das vermeintliche Schnäppchen bei uns verkaufen wollen.

Von Goldsuchern feilgebotene Nuggets wurden im Wilden Westen per Biss getestet. Und heute?

Rackwitz: Zur präzisen Bestimmung des Goldfeingehaltes werden Säureprüfkasten, Dichtewaage und Röntgenfluoreszenz eingesetzt. Beim Prüfen darf übrigens zugeschaut werden.

„Sicher verwahren. Beleihen bei Bedarf.“ So wird das Variopfand beworben. Inzwischen ein Renner. Was hat es damit auf sich?

Rackwitz: Statt Gold, ob Schmuck oder Barren, oder Brillanten oder auch hochwertige Uhren in den Safe beziehungsweise ins Schließfach zu legen, bewahren wir solche Wertsachen sicher wie versichert auf und beleihen Werte zwischen 10.000 und 200.000 Euro unbürokratisch. Beleihung ist auch aus der Ferne per Mail oder Telefon möglich. Entsprechende Überweisungen erfolgen innerhalb weniger Minuten.

Die Sanierung der Glaspyramide fiel in die Amtszeit von Jürgen Rackwitz. © Axel Heiter

Und was kostet ein Variopfand?

Rackwitz: Die Einlagerung 0,25 Prozent des Wertes. Die Beleihungsgebühr inklusive Zinsen entspricht mit jährlich 18 Prozent des Darlehens dem Dispokredit bei der Bank.

Gutes Stichwort. Das Leihamt wird gern als „Bank des kleinen Mannes“ bezeichnet. In der Tat residiert die Pfandanstalt im einstigen Stadtpalazzo-Domizil der Süddeutschen Bank. Seit Jahresbeginn zieht die wunderbar sanierte Sandsteinfassade wieder Blicke auf sich. Obendrein strahlt im Eingangsbereich der Kronleuchter unter der erneuerten Glaspyramide. Ein finanzieller Kraftakt?

Rackwitz: Unser Eckgebäude im Quadrat D 4 ist ein lebendiges Stück Mannheimer Geschichte. Ich bin stolz darauf, dass sämtliche Aufwendungen für die umfangreiche Restaurierung ohne Zuschüsse von Stadt oder Land aus Rücklagen und mittels eines aufgenommenen Kredits gestemmt werden konnten. Und wir sind schon wieder dabei, Rücklagen aufzubauen.

Gibt es einen Unterschied zu privatwirtschaftlichen Pfandhäusern?

Rackwitz: Bei uns geht es natürlich auch um Wirtschaftlichkeit – aber nicht um das Erzielen von Gewinnen als Hauptzweck. Jahresüberschüsse werden satzungsgemäß zu 50 Prozent dem Sozialetat der Stadt Mannheim zugeführt. Die andere Hälfte bleibt bei uns.

Gab es in Ihrer Zeit auch rote Zahlen?

Rackwitz: Von der Corona-Pandemie abgesehen hat das Leihamt von 2001 bis heute nur Gewinne erzielt. Nicht unerwähnt soll bleiben: Das wichtigste Kapital sind engagierte Beschäftigte.

Wie ist es aus Ihrer langjährigen Erfahrung mit der Seriosität privater Pfandhäuser beziehungsweise Goldankäufer bestellt?

Rackwitz: Bei uns war unlängst eine Frau, die Schmuck verkaufen wollte. Für den Goldwert hat sie dafür ganz in der Nähe etwas über 200 Euro geboten bekommen. Unsere Schätzerin hat einen Goldanteil von rund 3.000 Euro errechnet, also ein Vielfaches.

Ein Juwel wie das Leihamt könnte Begehrlichkeiten wecken. Was erhoffen Sie sich für Deutschlands letztes öffentlich-rechtliches Pfandhaus?

Rackwitz: Seit vielen Jahren steht das Mannheimer Leihamt bei solventen privaten Mitbewerbern auf der Einkaufsliste. Es könnte sein, dass die mit meiner Pensionierung eine Chance wittern. Ich hoffe, das Leihamt bleibt auch die nächsten 200 Jahre „städtisch“.

Was macht der Pensionär Rackwitz?

Rackwitz: Meine Frau hat ein Reisebüro, da werde ich im Hintergrund mitarbeiten. Meine kleine Hündin Lotti will bewegt werden. Außerdem wartet der Schrebergarten mit Obstbäumen, selbstgezogenen Tomaten und Melonen auf mich.

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