Interview

Mannheims Ex-OB Gerhard Widder erzählt von seiner Zeit an der Stadtspitze

Der langjährige Oberbürgermeister Gerhard Widder wird 85 Jahre alt. Ein Besuch bei ihm offenbart Einblicke in sein Lebenswerk und die Stadtgeschichte.

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Konstantin Groß
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Maikundgebung 1995: Gerhard Widder mit Ehefrau Karin (rechts gegenüber) und Karl Feuerstein (rechts von ihr). © Gudrun Keese

Mannheim. Ein Reihenhaus im Stadtteil Vogelstang. Zum letzten Mal war ich hier 1986: Für eine Reportage über die damalige First Lady Mannheims, Karin Widder. Jetzt, fast 40 Jahre später, wieder. Diesmal empfängt mich ihr Mann im Vorfeld seines 85. Geburtstages, den er an diesem Donnerstag begehen kann. Zum Gespräch zuhause bei sich. Eine Besonderheit.

Denn Gerhard Widder hat sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, auf Grund der Gesundheit seiner Frau. Er selbst zeigt sich intellektuell in Topform. Noch immer formuliert er seine Sätze druckreif. Sie geben Einblicke in ein eindrucksvolles Lebenswerk und spannende Wegmarken der Stadtgeschichte.

Herr Widder, wie geht es Ihnen als bald 85-Jährigem?

Gerhard Widder: Dem Alter entsprechend. Ich versuche, mich fit zu halten. Dabei helfen mir unter anderem Crosstrainer und Laufband, in Bewegung zu bleiben.

Man trifft Sie nicht mehr bei gesellschaftlichen Anlässen. Was sind die Gründe?

Widder: Meine derzeitige familiäre Situation, die meine Anwesenheit verlangt, ist dafür ursächlich.

Rhetorisch wie eh und je in Topform. Gerhard Widder im Wohnzimmer seines Hauses auf der Vogelstang. © Konstantin Groß

Fehlt Ihnen das gesellschaftliche Leben nicht?

Widder : Nun, die Dinge sind nun mal so wie sie sind. Ich habe einschließlich meiner Zeit als Stadtrat rund 30 Jahre intensiv am öffentlichen Leben unserer Stadt teilgenommen. Ich fühle mich jedoch auch in meiner jetzigen Situation sehr wohl.

Als OB hatten Sie in Ihrem persönlichen Umfeld einen großen Apparat. Haben Sie das nach Eintritt in den Ruhestand vermisst?

Widder : Nein, überhaupt nicht. Alle die Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld haben daran mitgewirkt, die uns täglich gestellten Aufgaben zu bewältigen. Die Aufgaben sind für mich im Ruhstand entfallen.

War Ihr Eintritt in die SPD 1957 durch Ihre Familie vorgezeichnet?

Widder: Nicht im parteipolitischen Sinne. Aber ich stamme ja aus einem Arbeitnehmerhaushalt, der der Sozialdemokratischen Partei sehr nahestand. Mein Vater war von Beruf Präzisionsrundschleifer bei den Hommelwerken.

Wie erfolgte Ihr eigener Weg zur Arbeiterbewegung?

Widder: Über die Vorfeldorganisationen der SPD, also die Arbeiterwohlfahrt, die Naturfreunde und vor allem die Falken. Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat einmal gesagt: „Ohne die Falken gäbe es den Politiker Sigmar Gabriel nicht.“ Das Gleiche gilt auch für mich.

Zur Person: Gerhard Widder

Geboren am 26. Juni 1940 in Mannheim, aufgewachsen in der Neckarstadt.

Ausbildung/Beruf: Lehre als Starkstromelektriker bei BBC, Studium an der Ingenieurschule MA, Assistent an der Fachhochschule Ulm, 1968-83 Lehrer an der Werner-von-Siemens-Schule MA, zuletzt als Oberstudienrat.

Politik: 1954 „Falken“, 1957 SPD, 1974 Vorsitzender Ortsverein Vogelstang; 1972 Bezirksbeirat, 1975 Stadtrat, 1980 Fraktionsvorsitzender, 1983 Oberbürgermeister, 1991 und 1999 bestätigt, 2007 Ende der Amtszeit und Ehrenbürger.

Überregionale Funktionen : 1989-95 Präsident des Städtetages BW, 1996-2007 des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) mit 250.000 Beschäftigten sowie des Verbandes Kommunaler Arbeitgeber Baden-Württemberg

Privat: Verheiratet seit 1963 mit Karin, drei Söhne. -tin

Wie muss man sich die Tätigkeit der Falken vorstellen?

Widder: In Mannheim gab es für die Falken in fast allen Teilen der Stadt Gruppen, die sich regelmäßig getroffen haben. Singen, Spiele, miteinander über interessante Themen diskutieren und etliches mehr stand dabei auf dem Programm. In der Ferienzeit bot die Falkenorganisation zu günstigen Kosten Ferienzeltlager im In- und Ausland an. Für viele von uns war das die Chance, andere Orte und Länder kennenzulernen.

War für Sie klar, dass Sie Nachfolger von OB Wilhelm Varnholt werden würden?

Widder: Die Frage ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Entscheidend wäre gewesen, ob Wilhelm Varnholt nach der ersten Amtszeit von acht Jahren, also 1988, noch einmal kandidiert hätte. Für den Fall, dass er dies tun würde, wozu ich ihm auch geraten hätte, wäre die nächste Neubesetzung 1996 angestanden. Wie ich 1996 entschieden hätte, darüber habe ich mir zu Lebzeiten von Wilhelm Varnholt keine Gedanken gemacht.

Und wie sah das nach seinem plötzlichen Tod 1983 aus?

Widder: Die Situation hatte sich dann tragischerweise urplötzlich verändert. Ich traute mir das Amt des Oberbürgermeisters zu. Aus der engen Zusammenarbeit mit Wilhelm Varnholt hatte ich den dazu notwendigen Einblick. Die Entscheidung der SPD, mich bei dieser Bewerbung zu unterstützen, hat dies dann möglich gemacht.

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Was haben Sie empfunden, als Ihnen die Amtskette erstmals umgehängt wurde? Was macht das mit einem?

Widder : Es entspräche nicht der Wahrheit, wenn ich sagen würde, dass einen dies nicht berührt. Oberbürgermeister der Stadt zu sein, mit der man seit Geburt verbunden ist, lassen Stolz und Demut gleichzeitig aufkommen. Nun begann nicht nur ein neuer Beruf. Es galt, der Erwartung der Menschen gerecht zu werden.

Ihr Sozialdezernent war sehr lange Wolfgang Pföhler, zugleich Kreisvorsitzender der CDU, der größten politischen Konkurrenz Ihrer SPD. Hat das nicht zu Problemen geführt?

Widder : Nein, in der Arbeit an der Spitze der Verwaltung hat sich diese unterschiedliche parteipolitische Orientierung der Akteure nicht niedergeschlagen.

War Herr Pföhler Ihnen gegenüber loyal?

Widder : Ja.

Eine wichtige Personalentscheidung war Ihr Vorschlag, Ihr Gegner bei der OB-Wahl, CDU-Fraktionschef Roland Hartung, solle Chef der MVV werden. Was war Ihr Beweggrund dafür?

Widder : Ich kannte Herrn Hartung aus der Zusammenarbeit in vielen Gremien. Ich wusste um seine große Erfahrung in der Kommunalpolitik und der Kommunalwirtschaft. Ich konnte mir für die Verantwortung in und für die MVV keinen Besseren vorstellen. Deshalb habe ich so gehandelt und dies auch gegenüber meiner eigenen Partei vertreten.

Zuweilen wurden Sie ja vom linken Flügel Ihrer Partei und den Jusos heftig kritisiert. Haben Sie jemals daran gedacht, die SPD zu verlassen?

Widder : Nein.

Was war das Sozialdemokratische in Ihrer Amtsführung?

Widder: Diese Frage stellte ich mir nie. Ziel meiner Amtsführung war, den Menschen in Mannheim möglichst gute Lebensbedingungen zu schaffen, vor allem einen sicheren Arbeitsplatz und eine bezahlbare Wohnung. Wenn man dies als etwas Sozialdemokratisches in meiner Amtsführung bezeichnen möchte, würde ich mich nicht dagegen wehren.

Architektur ist im wahrsten Sinne des Wortes Ansichtssache. Mir gefällt das Stadthaus.

Ein zentrales Thema war der Erhalt der Anbindung Mannheims ans Fernzugnetz, sprich der Kampf gegen den Bypass. Wie blicken Sie heute darauf?

Widder : Der „Kampf gegen den Bahnchef Mehdorn“ war ein mehr als nur spannendes Kapitel in der Stadtentwicklung. Herr Mehdorn, der in Formulierungen nicht immer zurückhaltend war, hatte sich ja zu der Aussage verstiegen, die Bahn könnte nicht an „jeder Milchkanne“ anhalten. Die Hilfe des Landes, uns gegen diese Entwicklung zu wehren, war nicht gerade umwerfend. Herr Mehdorn und ich wurden nicht gerade „beste Freunde“.

Die erste große Kontroverse Ihrer Amtszeit war das Thema N 1. Im Wahlkampf hatten Sie sich für einen Wiederaufbau des Alten Kaufhauses ausgesprochen, später vertraten Sie den Neubau. Wie kam es zu dieser Kehrtwende?

Widder : Es war die Erkenntnis, dass ein Wiederaufbau des Alten Kaufhauses nicht finanzierbar wäre und auch ein zukunftsfähiges Nutzungskonzept dafür fehlte.

Gefällt Ihnen das Stadthaus?

Widder : Architektur ist im wahrsten Sinne des Wortes Ansichtssache. Mir gefällt das Stadthaus.

Die größte Krise Ihrer Amtszeit war der Sparkassenskandal. Wie sehen Sie heute Ihre Rolle?

Widder : Das ist ein Thema, das ich natürlich nie mehr los werde. Ich trage dafür die politische Verantwortung. Allerdings sehe ich kein persönliches Fehlverhalten, und ein solches hat mir von ernstzunehmender Seite auch niemand unterstellt. Gegenüber konzertierter krimineller Energie ist man als Kontrollorgan eben hilflos.

Bei der Wahl 1999 erhielten Sie eine nur knappe Mehrheit gegen Sven Joachim Otto von der CDU. Empfanden Sie dieses Ergebnis, knapp 51 Prozent, nicht als ungerecht nach 16 Dienstjahren gegen einen 29Jährigen?

Widder : Man muss sehen, unter welchen Rahmenbedingungen diese Wahl stattfand, Stichwort Sparkasse. Zudem war Herr Dr. Otto kein schlechter Wahlkämpfer. Doch am Ende galt: Ich hatte erneut eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewinnen können, und ich blieb im Amt.

Sie haben viele große Bundespolitiker aus der Nähe kennengelernt. Helmut Kohl etwa war kurz vor Ihnen in sein Amt als Kanzler gekommen. Können Sie ein Erlebnis mit ihm nennen?

Widder : Ihn traf ich zuweilen bei meinen Flügen von Mannheim nach Berlin. Einmal gab er mir, als er mich sah, ein Tempotaschentuch mit den Worten: Sie fangen ja bestimmt gleich wieder an zu weinen wegen der Finanznot der Kommunen. Sein Schmunzeln ließ die „Ernsthaftigkit“ gut einordnen. Ich habe für ihn große Hochachtung.

Hat es Sie nie gereizt, selbst in die „große“ Politik zu gehen?

Widder : Nein. In der Landespolitik wäre ich, etwa als Abgeordneter, ja nur einer von vielen gewesen und damit mit weit weniger Gestaltungsmöglichkeiten als ein Oberbürgermeister.

Gibt es eine zentrale Erkenntnis aus Ihrem politischen Leben?

Widder : Wem in der Politik die Chance gegeben und die Verantwortung übertragen wird, zum Beispiel an der Entwicklung einer oder gar seiner Gemeinde mitwirken zu dürfen, sollte wissen, dass dabei nicht das Ich, sondern das Wir gefragt ist. Wenn das Werk gelingen soll, gilt es, in Gemeinschaft mit Anderen, auch und gerade mit deren Ideen und Anregungen, Entwicklungen zu befördern. Jeder, der in der Verantwortung steht, braucht solche Mitstreiter. Menschen, die Solidarität als Auftrag zur Mitwirkung bei Bewältigung von Problemen verstehen. Solidarität, die Bereitschaft, bei einer Handlung nicht zuerst zu fragen was es mir bringt. Papst Franziskus, hat uns dies sehr deutlich erklärt. Solidarität, so habe ich ihn verstanden, darf nicht als großzügige Bereitschaft zu Hilfe verstanden werden. Solidarität, ist ein wichtiger Teil dessen, was Menschsein ausmacht.

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Sie sprachen eben von Mitstreitern. Gibt es jemanden, den Sie da beispielhaft nennen würden?

Widder: Ich hatte das Glück, in meinem „politischen Leben“ mit vielen solcher Menschen zusammenarbeiten zu können. Einer dieser Menschen war Karl Feuerstein, der in der Chronik meines Lebens einen besonderen Platz einnimmt. Uns vereinte eine tiefe Freundschaft über viele Jahrzehnte. Karl Feuerstein war engagierter Kämpfer für die Belange der Belegschaft von Mercedes Benz als langjähriger Betriebsratsvorsitzender sowohl in Mannheim als auch für die gesamte Belegschaft des Unternehmens.

Können Sie sich an Ihre letzte Amtshandlung als Oberbürgermeister, also 2007, erinnern?

Widder : Ja, sehr gut. Meine allerletzte Amtshandlung an meinem letzten Arbeitstag war um 21 Uhr die Unterschrift unter das Schreiben an die Firma Diringer + Scheidel, in der ich die Entscheidung der Stadt Mannheim bezüglich des Bauvorhabens Projekt Q 6 /Q 7 mitteilte.

Q 6/Q 7 war Teil der Attraktivierung der Innenstadt, was ja ein zentrales Anliegen Ihrer Amtszeit war. Gefällt Ihnen die Stadt?

Widder : Ja, unsere Stadt ist schön. Sie lädt ein, die großartige Substanz ihrer Geschichte näher kennenzulernen.

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