Stadtgeschichte

Nur drei Jahre im Amt: Mannheims OB Wilhelm Varnholt würde 100 Jahre alt

Es waren kurze, prägende Jahre: Woran Mannheims OB Wilhelm Varnholt in Afrika starb und was er in seiner kurzen Amtszeit bewegt hat.

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
Heute würde er 100 Jahre alt. Wilhelm Varnholt, Oberbürgermeister von 1980 bis zu seinem plötzlichen Tod 1983. © .

Mannheim. Der Schock, den diese Nachricht aus Afrika in Mannheim auslöst, er ist heute noch mit Händen zu greifen, wenn man sich alte Unterlagen aus jener Zeit anschaut. Denn alles ist im Marchivum erhalten, darunter die vier Kondolenzbücher, der Totenschein, der Reiseverlauf der Safari und die Schilder, die beim Flug von Mombasa/Kenia nach Frankfurt den Sarg gekennzeichnet haben. Denn dort, in Kenia, während eines Safari- und Erholungsurlaubs mit einem Freund, ist Mannheims Oberbürgermeister Wilhelm Varnholt am 5. April 1983 an einem Herzinfarkt nach nur drei Jahren im Amt gestorben. Am Dienstag würde er 100 Jahre alt.

Nichts deutet vor der Reise darauf hin, dass Varnholt krank sein könnte. Seine Frau Anita ist zu Hause geblieben. Varnholt unternimmt nur mit dem Freund eine achttägige Tour durch das kenianische Bergland. Zurück im Hotel, wird ihm übel, er klagt über Herzschmerzen, dann passiert es.

Am 24. März 1983 hatte er noch den ersten Spatenstich für das Planetarium gesetzt, kurz vor dem Urlaub den modernisierten Operationstrakt der Orthopädischen Klinik auf dem Lindenhof in Betrieb genommen, seine langjährige Sekretärin Käthe Renner und den Leiter des Kämmereiamtes, Alfred Oehler, in den Ruhestand verabschiedet. Oehlers Feier liegt ihm besonders am Herzen, denn der war einst sein Nachfolger geworden.

Sozialdemokraten haben das Sagen im Gemeinderat

Varnholt ist ein Verwaltungs- und Zahlenmensch. Am 3. Juni 1925 in Gütersloh in Westfalen geboren, tritt er nach der Realschule eine Verwaltungslehre an. Abschließen kann er sie erst nach dem Kriegsdienst. In den Wiederaufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg macht er nebenberuflich ein Studium, geht dann ins Kämmereiamt seiner Heimatstadt, wechselt 1956 nach Gladbeck als Leiter der dortigen Kämmerei und 1964 in gleicher Funktion nach Mannheim - in der Hoffnung, dass man da mehr Geld hat als im Ruhrgebiet. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt. Nach vier Jahren wird Varnholt von der Schwesterstadt Ludwigshafen abgeworben, steigt dort 1968 zum Finanzbürgermeister auf und sorgt - trotz Erwerb der Fläche des alten Hauptbahnhofs durch die Stadt - für ausgeglichene Etats.

In Mannheims ist es die Epoche, in der die SPD weitgehend das Sagen in der Kommunalpolitik hat. Werner Nagel ist erst Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, ab 1972 Bundestagsabgeordneter. Ihm folgt im Gemeinderat Walter Pahl, an der Spitze des Kreisverbandes erst Herbert Lucy, dann Karl Feuerstein – beides mächtige Betriebsräte beim Benz auf dem Waldhof. Seit der Kommunalwahl 1971 hat die SPD 24 von 48 Stimmen im Gemeinderat und mit der Stimme des Oberbürgermeisters die Mehrheit.

1973 holt die SPD Varnholt wieder auf die rechte Rheinseite. Er wird Dezernent für Wohnungsbau, zusätzlich Kämmerer sowie Erster Bürgermeister von Mannheim an der Seite von Oberbürgermeister Ludwig Ratzel (SPD). Es sind spannende, ereignisreiche Jahre, denn im Vorfeld der Bundesgartenschau 1975 passiert sehr viel - Rosengarten-Erweiterung, neue Fußgängerzonen, neue Wohngebiete wie das Herzogenried und die Neckarufer-Bebauung. Eine enorme Entwicklung der Stadt, für deren finanzielle Abwicklung Varnholt hinter den Kulissen sorgt.

Mehr zum Thema

Zweiter Weltkrieg Kriegsende

Wie die letzten Tage vor Kriegsende 1945 abliefen

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren
Zeitreise

Vom Altrheinarm zum Park: 100 Jahre Ebertpark in Ludwigshafen

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Stadtgeschichte

So wurde aus einem barocken Kaufhaus das Mannheimer Rathaus

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Als Ratzel 1980 aus Altersgründen nicht für eine zweite Amtszeit kandidiert, nominieren die Sozialdemokraten Wilhelm Varnholt als ihren Kandidaten. Im ersten Wahlgang kommt Varnholt auf 49,3 Prozent, CDU-Fraktionsvorsitzender Roland Hartung auf 47,7 Prozent - ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Im zweiten Wahlgang kann Varnholt den heftigen OB-Wahlkampf aber klar für sich entscheiden und seinen Vorsprung auf 51,9 Prozent ausbauen, während Hartung nur minimal zulegt. Die Amtskette des Oberbürgermeisters erhält Varnholt indes erst am 21. November 1980 - wegen einer (letztlich erfolglosen) Wahlanfechtung eines Bewerbers mit 169 (!) Stimmen.

Aber Varnholt arbeitet schon vorher, gilt als fleißig und bürgernah, wenngleich unter Kurpfälzern als etwas distanzierter Westfale. Doch er schont sich nicht, nimmt unzählige Repräsentationstermine wahr und liest spät nachts Akten. Als er die Stadt übernimmt, steckt sie finanziell in einer schwierigen Phase und die Mannheimer Wirtschaft nicht nur in einer Konjunkturdelle, sondern im beginnenden starken Strukturwandel. Große Sprünge, wie in der Ära Ratzel die Bundesgartenschau, sind nicht mehr möglich, auch wenn in seiner Amtszeit die Erweiterungsbauten für die Kunsthalle sowie das Leistungszentrum für Eissport im Herzogenried begonnen und der für das Reiß-Museum in D 5 geplant werden. Und doch verfolgt Varnholt eine Vision: die Erweiterung der Stadt nach Osten. Hier sieht er die große Chance, und er nutzt sie.

Auslöser ist der Zuschlag des Landes für den Bau des Landesmuseums für Technik und Arbeit (LTA) am Friedensplatz - also dort, wo seinerzeit noch der Maimarkt stattfindet. Dass dessen anfangs so umstrittene Verlegung aufs Mühlfeld sich als so großer Erfolg erweist, erlebt Varnholt nicht mehr, auch die Fertigstellung von Planetarium und die Grundsteinlegung für das LTA finden erst nach seinem Tod statt. Doch er hat diese Entwicklung angestoßen.

Hubschrauberabsturz mit 46 Toten als schwerste Stunde der Amtszeit

Als Stadtoberhaupt muss Varnholt aber auch eine der schwersten Stunden der Stadtgeschichte durchstehen – den 11. September 1982, als anlässlich der Internationalen Luftschiffertage mitten in dem fröhlichen Fest ein Hubschrauber mit Fallschirmspringern aus Mannheim sowie den Partnerstädten Toulon und Swansea an Bord abstürzt und 46 Menschen sterben.

Am Trauergottesdienst für Varnholt am 13. April 1983 nehmen in und vor der Jesuitenkirche etwa 3.000 Menschen teil. Als der Sarg ins Grab gesenkt wird, läuten alle Kirchenglocken und drei Maschinen vom Badisch-Pfälzischen Flugsportverein mit Trauerflor am Leitwerk überfliegen den Hauptfriedhof. Da zeigt sich, dass der Westfahle Varnholt trotz seiner kurzen Amtszeit als Oberbürgermeister den Mannheimern ans Herz gewachsen war. Mit gutem Grund wird die Autobahneinfahrt entlang des LTA-Bauplatzes dann Wilhelm-Varnholt-Allee genannt, heute die offizielle Adresse des Planetariums.

Um Varnholts Nachfolge entbrennt ein kurzer, heftiger Streit in der SPD. Manfred David (SPD), seit 1967 Bürgermeister für Kultur, Schule und Sport sowie seit 1981 Erster Bürgermeister, führt ohnehin nach Varnholts Tod die Amtsgeschäfte und sieht sich schon im OB-Zimmer. Aber die SPD entscheidet sich anders und schickt den noch kaum bekannten Stadtrat Gerhard Widder, Berufsschullehrer und erst seit 1980 an der Spitze der SPD-Fraktion im Gemeinderat, ins Rennen. Er gewinnt und bleibt OB bis 2007.

Redaktion Chefreporter

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke