Mannheim. So ein wenig fühlt man sich doch an eigentlich längst vergessene Schulzeiten erinnert: Im hinteren Teil des Buchs stehen Vokabeln, verpackt in Beispielsätzen – im vorderen Teil Informationen zu Land, Kultur und Menschen. Doch die zehn Männer und Frauen im Zimmer in der Abendakademie kommen an diesem Abend nicht ihrer Schulpflicht nach, das Buch ist nur ein wenige Seiten umfassendes Manuskript und Valeriia Tronko ist auch keine Lehrerin – sie leitet stattdessen einen Ukrainisch-Kurs. Die Teilnahme daran ist kostenlos, die Stadt übernimmt die Förderung der Lehrstunden, die Männer und Frauen dabei helfen sollen, während ihrer Arbeit mit Geflüchteten ein paar Worte Ukrainisch sprechen zu können.
Sie habe nun beruflich mit Kindern aus der Ukraine zu tun, die kein Englisch sprechen, erklärt eine Teilnehmerin. „Ich will Menschen begrüßen können und bei Veranstaltungen mit Ukrainerinnen und Ukrainern nicht nur still dastehen müssen.“ Eine andere sagt: „Ich habe gemerkt, dass es mir unangenehm ist, wenn ich sprachlich überhaupt keine Grundlagen habe, um mich mit den Menschen zu unterhalten, mit denen ich nun häufiger zu tun habe.“
Valeriia Tronko ist seit etwa sechs Jahren in Deutschland. Ursprünglich kommt die Kursleiterin aus Krywyi Rih, erklärt sie. Die Stadt in der südlichen Ukraine ist nach Dnipro die größte im Oblast (vergleichbar mit Verwaltungsbezirken) Dnipropetrowsk. Laut Verwaltung erstreckt sich die 625 000 Einwohner zählende Metropole über insgesamt 126 Kilometer, was Krywyi Rih zu einer der längsten Städte Europas macht.
In der Sitzung lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst durchaus auch manch überraschenden Fakt über das Land, das sich seit inzwischen mehr als sechs Wochen gegen den Angriff Russlands wehrt. Zählt man nämlich die überwiegend in Asien liegenden Staaten Russland und Türkei nicht zu Europa, dann ist die Ukraine nicht nur der größte Staat auf dem Kontinent, erklärt Tronko. „Der geografische Mittelpunkt Europas liegt in der Ukraine.“ (Anm. d. Red.: Aktuelle Messungen gehen davon aus, dass der geographische Mittelpunkt Europas umstritten ist, aber definitiv nicht in der Ukraine liegt.)
„Ich will Menschen begrüßen können und nicht nur still dastehen müssen.“
Auch erfährt der Kurs, dass die Farben der Flagge den Frieden und Himmel auf Erden (blau) sowie die Weizenfelder und den Wohlstand (gelb) der Ukraine symbolisierten. Wer hat gewusst, dass „Arsenalna“ in Kiew mehr als 105 Meter unter der Erde liegt und damit die wohl tiefste U-Bahn-Station der Welt ist oder dass die Oleschky-Sande in der Südukraine die größte Wüste Europas und auch aus dem Weltraum zu sehen ist?
Fakten zur Ukraine
- In ihrem Manuskript zählt Kursleiterin Valeriia Tronko mehrere „interessante Fakten über die Ukraine“ auf.
- 2015 konnten 99,8 Prozent der erwachsenen Ukrainerinnen und Ukrainer lesen und schreiben, heißt es in dem den Kurs begleitenden Manuskript.
- In der Stadt Druschkiwka im Gebiet Donezk in der Ostukraine bilden auf einer Fläche von einem Hektar die Araucaria-Bäume einen Wald. Das Besondere daran: Die versteinerten Bäume sind etwa 250 Millionen Jahre alt.
- Weil die orthodoxe Kirche noch den julianischen Kirchenkalender nutzt, wird Ostern in der Ukraine in diesem Jahr erst am kommenden Wochenende, also eine Woche später als hierzulande, gefeiert, erklärt Maria Melnik von der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Rhein-Neckar.
- Das ukrainische Alphabet umfasst 33 Buchstaben.
Natürlich wird an diesem Abend auch gesprochen – ukrainisch, versteht sich. Tiefgründige philosophische Gespräche sind es zwar noch nicht, denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am ersten Abend hingeben – aber was noch nicht ist, kann ja noch werden … und so werden zunächst Grundlagen wie „Ja“ (gesprochen: „Tak“) und Nein („Ni“) sowie einfache Redewendungen geübt. „Hallo, wie heißen Sie?“ sollen sich die zehn Frauen und Männer zunächst gegenseitig fragen und darauf antworten „Ich heiße …“ – gesprochen: „Pryvit, yak vas zvaty?“ – „Mene zvaty …“. Das gelingt schon ganz gut, auch wenn sich zwei Teilnehmer zunächst und zur allgemeinen Erheiterung falsche Fragen zuwerfen, aber der Aufgabenstellung gemäß richtig mit „Mene zvaty“ antworten. Überhaupt ist die Stimmung angenehm entspannt, immer wieder wird gelacht, wenn sich Zunge, Lippen und Stimme bei der uns doch so vollkommen fremden Sprache verknoten – gelernt wird trotzdem etwas.
„Ein weiterer Ukrainisch-Kurs für Helferinnen und Helfer ist aktuell in Planung.“
33 Buchstaben umfasst das ukrainische Alphabet. Der Satzbau, erklärt Tronko, ist wesentlich flexibler als im Deutschen: Steht da das Verb an zweiter Stelle, ist das im Ukrainischen nicht immer der Fall. „Man kann mit den Wörtern viel mehr spielen als im Deutschen.“
Spricht man in der Westukraine tatsächlich Ukrainisch, ist im Osten des Landes im Übrigen auch Russisch zu hören. Außerdem, erklärt Tronko, gibt es einen Dialekt, der sich aus einer Mischung aus Ukrainisch und Russisch zusammensetzt. Allen voran aber die Schrift unterscheidet sich von der in Zentraleuropa – statt lateinischen benutzen Ukrainerinnen und Ukrainer kyrillische Buchstaben. Das stellt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Abschreiben der Begriffe an der Tafel durchaus vor kleinere Herausforderungen. Dementsprechend nützlich ist das Manuskript mit Lerninhalten, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen. Auch das bereits erwähnte ukrainische Alphabet mit Aussprache und Beispielen ist darin zu finden. „Do pobachennya“ formulieren die zehn Männer und Frauen am Ende der Stunde, was gesprochen so viel heißt wie „Auf Wiedersehen“.
In dieser Woche trifft sich die Klasse zum zweiten Mal. Viel mehr Anmeldungen als Plätze habe es gegeben, erklärt die Abendakademie. „Ein neuer Kurs ist aktuell in Planung.“ Genaue Termine gebe es noch nicht. Ein Kurs besteht aus vier Sitzungen. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
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