Mannheim. Es ist Freitagabend, es ist kalt, es regnet. Yaroslava Yurchenko sitzt in der Küche, vor sich hat sie eine Tasse Tee, ihr gegenüber sitzen Tanja und Norbert Holzmeister. Yaroslava sieht müde aus, und sie ist es auch. „You need a manager“, sagt Norbert Holzmeister und lacht. Du brauchst einen Manager, sagt er. Yaroslava lacht jetzt auch. Die Woche war anstrengend. Yaroslava, die ausgebildete Sängerin ist, hat für das Benefizkonzert in der Matthäuskirche in Neckarau für Geflüchtete in Mannheim geprobt. Sie war zu Besuch in der Popakademie, nun will man mit ihr dort ukrainische Lieder aufnehmen. Außerdem hat das Bach-Gymnasium ihr einen Raum zur Verfügung gestellt, wo sie ukrainische Kinder in Musik unterrichten wird.
Yaroslava besitzt ein eigenes Musikstudio in Kiew und ist Lehrerin an einer Privatschule. Auch jetzt im Krieg. Die ukrainischen Schulen haben ihre Lehrkräfte angehalten, weiter online zu unterrichten. Man will nicht, dass der Kontakt zur Heimat abbricht. Sieben von Yaroslavas Schülern sind noch in Kiew, sie sagt, sie habe immer Angst, dass etwas passiert. Manchmal muss der Unterricht wegen Bombenalarms unterbrochen werden. 14 Kinder haben sich mit ihren Familien in anderen Teilen der Ukraine in Sicherheit gebracht, neun im Ausland. Seit Anfang März lebt Yaroslava Yurchenko mit ihren zwei Töchtern bei Familie Holzmeister in Neckarau.
Sie erzählt auf Englisch, nur manchmal fehlen ihr die Worte, dann übersetzt sie mit einer App auf dem Handy vom Ukrainischen ins Deutsche. Drei Freunde von ihr sind auch bereits in Mannheim und von den Holzmeisters an andere Familien vermittelt werden. Über ukrainische und deutsche Whatsapp-Gruppen läuft die Verständigung, auch Ukrainer, die schon länger hier wohnen, beteiligen sich. „Ich bin schon in der Straßenbahn angesprochen worden, als ich auf ukrainisch telefoniert habe: ,Ich bin auch aus der Ukraine, kann ich Ihnen helfen?‘“, erzählt Yaroslava.
Kampf gegen Wortungetüme
Doch die 34-Jährige braucht eigentlich kaum noch Hilfe. „Ich kann wieder normal meiner Arbeit nachgehen“, sagt Tanja Holzmeister, die Yaroslava in den ersten Wochen oft begleitet hat. Doch inzwischen kennen die Yurchenkos ihre Wege, Star (6) den zur Grundschule auf dem Almenhof, Alisa (12) zum Bach-Gymnasium, wo sie mit Laura Holzmeister in die siebte Klasse geht. Yaroslava hat einen Schlüssel zur Wohnung, hat eigene Termine.
Als die Holzmeisters sich Anfang März entschlossen haben, Geflüchtete bei sich aufzunehmen, war klar, dass, wer immer kommen würde, so lange bleiben kann, wie er will. Es gab keine Bedingungen, keine Exit-Strategie. Norbert Holzmeister hatte damals gesagt: „Wir haben keine Exit-Strategie. Die würde ja auch nur dann eine Rolle spielen, wenn wir den Punkt erreichen und sagen: Jetzt ist es zu viel für uns.“
Noch ist es ihnen nicht zu viel. Es hat sich, wie man so sagt, eingespielt, das Leben zu siebt auf 136 Quadratmetern. Laura und Nico, der 15-jährige Sohn der Holzmeisters, der sein eigenes Zimmer den Gästen überlassen hat, teilen sich weiter ein Zimmer. Star weiß, wo sie was in der Vorratskammer in der Küche findet. Yaroslava kann das Wortungetüm „Kühlschrank“ endlich aussprechen. Alisas Einträge in ihrem Schulheft wachsen. „Sie war immer eine sehr gute Schülerin“, sagt Yaroslava. Nun muss die Zwölfjährige erst einmal das lateinische Alphabet lernen. In der Ukraine wird kyrillisch geschrieben. Sie muss also nicht nur lernen, was Tomate auf Deutsch heißt, sondern auch, wie man es schreibt. Kopfsalat, Lieferwagen, Feuerwehrfahrzeug - viele lange Worte. Ein paar Mädchen aus der Klasse haben die Vokabellisten mit selbstgemalten Bildern eingerahmt. Die meiste Zeit verbringt Alisa im normalen Unterricht, an acht Stunden in der Woche erhält sie deutschen Intensivunterricht.
Impfung - ein schwieriges Thema
Es gibt, so drückt es Norbert Holzmeister aus, Themen, über die man vielleicht nicht so gerne spricht. Aber sprechen muss. Die Corona-Impfung zum Beispiel. „Da gab es, das wissen wir aus unserer Whatsapp-Gruppe, einige Ukrainer, die sich nicht unbedingt impfen lassen wollten.“ Auch das Geld war so ein Thema. Holzmeisters haben Yaroslava erklärt, was das Leben in Deutschland kostet, Lebensmittel, Wasser, Strom. Es ist ein Vielfaches von dem, was das Leben in der Ukraine kostet. Aber Yaroslava hatte von sich aus angeboten, sobald sie die ersten Sozialleistungen erhält, davon etwas an die Holzmeisters abzugeben. Das haben sie angenommen. „Ansonsten sage ich ihr, spare das restliche Geld für den Aufbau später“, sagt Norbert Holzmeister. Der Antrag der Yurchenkos auf einen Aufenthaltstitel läuft.
Im Musikstudio von Yaroslava in Kiew sind jetzt Soldaten. „Sie haben mich gefragt, ob sie dort Quartier beziehen können“, sagt sie. Ihr Ex-Mann ist auch Soldat. Er sagt, sie solle weiter in Deutschland bleiben. „Hier ist es nicht sicher.“ Er und andere in der ukrainischen Armee fürchteten, dass der russische Präsident Wladimir Putin am 9. Mai - der Tag, an dem Russland jedes Jahr groß den Sieg über Nazi-Deutschland feiert - zu einem schweren militärischen Schlag ausholen könnte.
Wenn Yaroslava über die Ukraine spricht, kommen ihr die Tränen. Sie zeigt Fotos von dem Raketenangriff auf den Bahnhof der ostukrainischen Stadt Kramatorsk. Es sind grausige Bilder, so grausig, dass sie unwirklich erscheinen. „Die Menschen wollten die Stadt verlassen, sie haben auf den Zug gewartet“, sagt Yaroslava. Was sie über die Russen denkt, wenn sie diese Bilder sieht? „Es gibt in allen Nationen gute und schlechte Menschen.“ Sie selbst sei Halbrussin, ihre Großeltern, die inzwischen verstorben seien, hätten auf der Krim gelebt. Die beiden Kinder fragen mittlerweile nicht mehr jeden Tag, wann sie wieder nach Hause können. Sie wissen, dass es länger dauern wird.
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