Update - Neues von den Holzmeisters und den Yurchenkos: Yaroslava hat ihre Mutter nach Mannheim geholt und ist mit ihrer Familie in eine eigene Wohnung gezogen

Flucht aus der Ukraine nach Mannheim: Die Wege trennen sich

Von 
Stefanie Ball
Lesedauer: 
Sind froh, dass sie nun zusammen in Mannheim sind: Yaroslava (Mitte) mit der siebenjährigen Star, ihre Mutter Galina Chetvertak (links) und ihre Schwester Jane. © Stefanie Ball

Mannheim. Nach 55 Tagen endet das Zusammenleben der Familien Holzmeister und Yurchenko.  Yaroslava und ihre zwei Töchter, Alisa (12) und Star (7), haben eine Wohnung gefunden. Oder vielmehr: Tanja und Norbert Holzmeister haben eine Wohnung gefunden. 20 Familien aus Neckarau und Umgebung, die sich für Geflüchtete aus der Ukraine engagieren, haben sich in einer Whatsapp-Gruppe vernetzt. Als die Holzmeisters die Suche nach einer Wohnung posten, melden sich Sima und Christian Faggin. Ihre Wohnung in Neckarau ist bald frei, der Mieter zieht aus.

"Wo ist der Luftschutzkeller?"

Am ersten Mai ist der Umzug, die Möbel organisieren Holzmeisters und Faggins, die Bilder im Kinderzimmer hat der Mannheimer Maler Walter Mülleder der Familie geschenkt, nachdem er über sie in der Zeitung gelesen hatte. Jetzt sitzt Yaroslava also auf dem Balkon, zusammen mit ihrer Mutter. Auch die ist inzwischen in Deutschland. Über Ostern ist Yaroslava mit ihrer Schwester Jane in die Ukraine gereist, um die Mutter zu überzeugen, mit ihnen zu kommen.

Eigentlich wohnt Galina Chetvertak in Kiew. Aber bereits kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Ende Februar war sie in den Westen des Landes nach Lviv geflohen, zusammen mit ihren Töchtern. Als sich Yaroslava und Jane kurz darauf auf den Weg nach Deutschland machen, bleibt die Mutter in Lviv zurück. „Sie hatte gehofft, dass sie bald wieder nach Kiew gehen kann“, sagt Yaroslava.

Mehr zum Thema

Geflüchtete

So leben eine deutsche und eine ukrainische Familie in Mannheim zusammen

Veröffentlicht
Von
Stefanie Ball
Mehr erfahren
Ukraine

Mannheimer Familie gibt Geflüchteten aus der Ukraine ein Zuhause

Veröffentlicht
Von
Stefanie Ball
Mehr erfahren
Streaming-Show

Kein Kettchen - Mannheimerin Aysun muss bei "Princess Charming" Koffer packen

Veröffentlicht
Von
Tanja Capuana
Mehr erfahren

Doch der Krieg ist nicht so schnell vorbei, und auch Lviv ist nicht wirklich sicher. Yaroslava erzählt, sie sei gerade auf der Straße unterwegs gewesen, als sie einen hellen Schein am Himmel sieht, ein explodierendes Geschoss. Sie ruft den Menschen zu: „Wo ist der Luftschutzkeller?“. Doch die sagen, sie solle einfach abwarten. „Die Leute haben sich an den Krieg gewöhnt“, sagt Yaroslava.

Keine schnelle Rückkehr

Auch wenn sie ihre Schülerinnen und Schüler online unterrichte – Yaroslava ist Lehrerin an einer Privatschule und wie die meisten ukrainischen Lehrkräfte weiter in Kontakt mit den Klassen – und plötzlich ein Bombenalarm ertöne, blieben einige Kinder einfach vor den Bildschirmen sitzen.

Da weiß Yaroslava, dass sie so schnell nicht zurück kann in die Heimat. „Mein Herz und meine Seele wollen zurück, aber ich will nicht, dass meine Kinder so leben.“ Und auch die wollen das nicht. Am Anfang, im März, als sie gerade in Deutschland angekommen waren, fragen die zwei Mädchen noch jeden Tag, wann es zurückgeht. Jetzt fragt keines mehr, sie wollen erst zurück, wenn der Krieg vorbei ist.

Auch Galina Chetvertak sagt, sie sei jetzt froh, hier zu sein. Vor ein paar Tagen seien sie in einem klassischen Konzert im Nationaltheater gewesen. Eine Musikerin des Orchesters, in dessen Einliegerwohnung Jane und ihre zwei Töchter untergekommen sind, hatte die Karten organisiert. „Ich habe mich wie im Paradies gefühlt“, erzählt die 64-Jährige. Ein bisschen Deutsch kann sie noch, sie hat es früher in der Schule gelernt. Nun lernt sie es wieder, in der Markuskirche. Ehrenamtliche des Freundeskreises Asyl Karlsruhe erteilen dort Deutschkurse.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Wie die weitere Zukunft aussieht? Zukunft? Das Wort gebe es für sie gerade nicht, sagt Yaroslava. „Ich plane bis morgen, weiter nicht.“ Morgen, da ist der Musikunterricht, den Yaroslava, die ausgebildete Sängerin ist, ukrainischen und deutschen Kindern gibt. Das Bach-Gymnasium stellt ihr dafür einen Raum zur Verfügung. Die Gruppe hatte auch schon mehrere Auftritte.

Ein bei Ukrainern beliebtes Lied sei derzeit „Good Morning, Ukraine“. Es ist ein patriotischer Song über die „schöne“ Ukraine: „Steh auf, liebes Land, ich bringe dir Kaffee mit Milch“. Das Lied gab es schon vor dem Krieg. „Alle Leute sagen, ,wenn ich wieder zu Hause bin, singe ich als Erstes dieses Lied‘.“ Auch Yaroslava wartet auf diesen Augenblick.

Und die Holzmeisters, Tanja und Norbert und ihre zwei Kinder Nico (15) und Laura (12)? Die freuen sich, ihre Wohnung wieder für sich zu haben. „Wir genießen die Ruhe, aber es fehlt auch etwas“, sagt Tanja Holzmeister. Zum Schluss haben sie zu acht auf 136 Quadratmetern gelebt. Auch für Yaroslavas Mutter wird noch eine Matratze in das Zimmer gelegt, das eigentlich Nico gehört. Der hatte es geräumt, als die Gäste aus der Ukraine, wie Holzmeisters sie nennen, im März kommen.

Ärger über schleppende Prozesse bei Stadtverwaltung

„Insgesamt war das schon eine stressige Zeit“, sagt Tanja Holzmeister. Trotzdem sei es für sie eine Herzenssache gewesen. „Wir würden es sofort wieder machen, es aber zeitlich begrenzen.“ Die Frage nach der Exit-Strategie hatten die Holzmeisters zu Beginn noch mit „Es gibt keine“ beantwortet. „Wir waren einfach euphorisch“, sagt Tanja Holzmeister. Rückblickend wäre es vielleicht besser gewesen, ein Maximum festzulegen, zwei Monate, drei Monate. „Dann hat man eine Perspektive.“ So aber war immer ungewiss, wie lange das Ganze geht, während gleichzeitig klar war: „Wir setzen die Familie nicht vor die Tür, die kann so lange bleiben, wie es nötig ist.“

Geärgert hat sich Tanja Holzmeister über die teils schleppenden Prozesse bei der Stadtverwaltung. Der Kragen platzt ihr, als ihr die Ausländerbehörde auf Nachfrage über den Verbleib der Anträge für die sogenannte Fiktionsbescheinigung, die Yaroslava unter anderem benötig, um sich einen Job zu suchen, ein Standardschreiben mailt, das mit den Worten beginnt „Wie Sie aus den Medien entnehmen können, herrscht in der Ukraine Krieg“. Ach was, schreibt Tanja Holzmeister zurück, das sei ihr nicht verborgen geblieben, schließlich gehörten sie zu den ersten Familien in Mannheim, die Geflüchtete aufgenommen hätten. Es habe Mitarbeitende bei der Stadt gegeben, die seien freundlich und hilfsbereit gewesen, betont Tanja Holzmeister, andere nur genervt.

Mehr Mut wünscht sie sich von Mannheimerinnen und Mannheimern, die über eine leer stehende Wohnung verfügen. „Es gibt so viel Bedarf, ich fände es schön, wenn sich die Leute einen Ruck geben würden“, sagt sie und fügt an: „Wer Fragen hat, kann sich gerne an mich wenden.“

Freie Autorin

Thema : Krieg in der Ukraine

  • Politik Vertrieben, verhaftet, verfolgt

    Der Widerstand in Russland war oft weiblich. Viele der mutigen Frauen sind im Gefängnis oder ins Ausland geflohen

    Mehr erfahren
  • Besuch in Czernowitz Peter Kurz in Mannheims Partnerstadt: „Krieg ist allgegenwärtig“

    Pressekonferenz im sicheren Keller: Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz hat die ukrainische Partnerstadt Czernowitz besucht. Mit seinem Amtskollegen hat er über den Krieg und den großen Wunsch der Ukraine gesprochen

    Mehr erfahren
  • Nuklearwaffen Atomares Wettrüsten: Arsenale des Schreckens

    Die Welt steuert auf einen nuklearen Rüstungswettlauf zu, nachdem Russlands Präsident Putin das "New-Start-Abkommen" mit den USA eingefroren hat. Wo ist die Gefahr eines Atomkrieges am größten?

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen