Kultur

Die Vielfalt der Alawiten: Arabische Kultur in Mannheim

Der Defne-Kulturverein in Mannheim pflegt die Bräuche und Identität der arabischen Alawiten in der Diaspora. Dazu gehört es, die arabische Sprache, kulturelle Identität und den Gemeinschaftssinn zu stärken

Von 
Ilgin Seren Evisen
Lesedauer: 
Der Defne-Verein in Mannheim engagiert sich für eingewanderten arabischen Alawiten der Region. © Ilgin Seren Evisen

Mannheim. Mit dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen von 1961 fiel der Startschuss für die Einwanderung von Arbeitsmigranten aus der Türkei. Für Außenstehende eine homogene ethnische Gruppe, unterscheiden sich die Ethnien und Kulturen Anatoliens nicht nur sprachlich, sondern meist auch in ihrer Religionspraxis. Der Defne-Kulturverein in Mannheim engagiert sich insbesondere für die aus der Türkei eingewanderten arabischen Alawiten der Region.

„,Defne’ bedeutet Sieg“, erklärt Vereinsvorsitzender Ayhan Kuzu. Der 58-jährige Handwerker gehört zu den Gründungsmitgliedern des arabisch-alawitischen Defne-Vereins mit Sitz in Mannheim. Die südliche Provinz Hatay mit der Hauptstadt Antakya, vielen als antikes Antiochia bekannt, wird im türkischen Volksmund „Stadt der Zivilisationen“ genannt. Zwar besteht die Mehrheit der Bevölkerung aus sunnitischen Türken, doch die kosmopolitischste Provinz der Türkei beheimatet viele Ethnien und Religionen des Nahen Ostens: arabische Alawiten, arabische Christen, Armenier, Juden, Kurden und Assyrer. Die Straßen von Hatay, das vom Erdbeben im Februar 2023 schwer getroffen wurde, schmücken Kirchen, Synagogen, Moscheen und Gotteshäuser anderer Minderheiten.

Schrifttreue Muslime

Anders als ihre Namensverwandten, die meist säkularen Aleviten, orientieren sich die arabischen Alawiten bei ihrer Glaubenspraxis und ihren Ritualen am Koran und verstehen sich als schrifttreue Muslime. In der Türkei wird die Zahl der Alawiten auf mindestens eine Million geschätzt, da bei offiziellen Volkszählungen Minderheiten oft nicht erfasst werden, gestalten sich genaue Angaben schwierig.

Wie andere Alawiten auch wanderte Ayhan Kuzu 1988 nach Deutschland ein: „Meine Frau lebte schon in Viernheim, ich begann gleich nach meiner Ankunft eine Tätigkeit als Automechaniker.“ Für Kuzu, der aus dem sonnigen und kosmopoliten Hatay stammt, wirkte der deutsche Alltag zu Beginn befremdlich. „In Hatay lebten in meiner Straße Juden, Christen, Muslime und Angehörige anderer Glaubensgemeinschafen“, erinnert sich Kuzu an seine Kindheit in Hatay. „Die Türen zu den Häusern meiner Nachbarn waren selten abgeschlossen. Wenn wir Kinder mit nassen Schuhen von der Schule kamen, konnten wir zu unseren jüdischen oder christlichen Nachbarn. Wir bekamen trockene Socken, Essen und blieben dort, solange wir wollten.“

Mehr zum Thema

Familiengeschichte

Kofferkind Neval Celikel - zwischen Marmarameer und Ludwigshafen

Veröffentlicht
Von
Ilgin Seren Evisen
Mehr erfahren
Musik

Wunderkind Ali Insan aus Mannheim erobert türkische Bühnen

Veröffentlicht
Von
Ilgin Seren Evisen
Mehr erfahren
Wahl

Hohe AfD-Umfragewerte verunsichern Migranten in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Ilgin Seren Evisen
Mehr erfahren

Die Erfahrung, dass das Leben in modernen Städten von Industriestaaten so ganz anders ist als das herzliche und vertraute Miteinander von Hatay, schärft Kuzus Entschluss, 2010 den Verein Defne Mannheim zu gründen. „Lorbeer“ wie Defne zu Deutsch heißt, ist für die Menschen in Hatay nicht nur ein Symbol für Sieg, sondern auch eine bedeutende Einnahmequelle: Die Provinz Hatay ist in der Türkei bekannt für ihre Lorbeerseife und andere aus regionalen Lorbeeren hergestellten Produkte. „Einen besseren Namen konnten wir für unseren Verein, der die arabisch-alawitischen Bräuche und solidarische Gemeinschaft auch in Mannheim und der Region fortführen sollte, nicht vorstellen“, erklärt Kuzu.

Etwa 2000 Mitglieder

Seit 2010 ist der Vorstand des Vereins bemüht, den arabischen Alawiten der Region ihre Religion, Traditionen und ihre Sprache zu vermitteln. Nachhilfekurse, Koranlesungen auf Arabisch, deutsche und türkische Feste. Aber auch karitative Projekte wie die finanzielle Unterstützung der vom Erdbeben schwer gezeichneten Region und ihrer Menschen sind dem Verein wichtig. In Form regelmäßiger Frühstücksbrunchs versuchen Kuzu und seine Mitstreiter, die circa 2000 Mitglieder zu einer aktiven Teilnahme im Verein zu motivieren.

Für Kuzu ist ein wichtiges Anliegen, die arabische Sprache zu vermitteln: „Viele hier geborene und aufgewachsene Kinder und Jugendliche aus der Generation Z können kaum Türkisch, geschweige denn unsere Muttersprache Arabisch“, moniert Kuzu. Mit Sprachkursen und jugendgerechten Freizeitangeboten versucht der Verein, den seit Jahrhunderten von den Alawiten gesprochenen arabischen Dialekt an die junge Generation weiterzugeben.

Mehr zum Thema

Migration in Mannheim

Deutsch-Türkische Initiative in Mannheim will Integration durch Erfolg im Beruf ermöglichen

Veröffentlicht
Von
Ilgin Seren Evisen
Mehr erfahren
Soziales

Wie ein Ludwigshafener Paar einen Pflegedienst für Migranten leitet

Veröffentlicht
Von
Ilgin Seren Evisen
Mehr erfahren
Verein

Seit 26 Jahren im Einsatz für Frauenrechte und Bildung in türkischen Gemeinden

Veröffentlicht
Von
Ilgin Seren Evisen
Mehr erfahren

Die Glaubensinhalte der Alawiten, oft Nusairier genannt, unterscheiden sich von orthodoxen Muslimen. Die Pilgerfahrt nach Mekka ist für sie nicht verpflichtend, alawitische Frauen tragen überwiegend kein Kopftuch, für männliche Mitglieder gibt es streng geheim gehaltene Initiationsriten. Auch der Glaube an eine Seelenwanderung in Form einer Reinkarnation sowie die besondere Stellung des Propheten Ali unterscheidet sie von anderen Muslimen in der Türkei.

Die moderne und liberale Auslegung des Islam und die Geheimlehren waren Gründe, wieso Alawiten in der Türkei und in anderen Ländern des Nahen Ostens oftmals Verfolgungen und Pogromen ausgesetzt waren. Umso bedeutender ist für Alawiten der Gründer der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, dem sie den seinerseits eingeführten Laizismus, also die strikte Trennung von Religion und Staatsangelegenheiten, hoch anrechnen.

Respekt vor allen Menschen

Für Kuzu symbolisiert das Alawitentum den Respekt vor allen Menschen, eine solidarische Gemeinschaft und die Liebe zur Menschheit: „Yasamin verdigi güzellikler hep güzel. Insanlara bu güzelligi yasatmayi calisiyoruz“, schließt Kuzu seine Ausführungen zum Alawitentum. Es heißt: „All das Schöne, was das Leben uns gibt, ist immer schön. Wir versuchen, den Menschen diese Schönheit zu vermitteln.“

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen