Wahl

Hohe AfD-Umfragewerte verunsichern Migranten in Mannheim

Auswirkungen auf den Alltag, politische und soziale Folgen - warum sich Mannheimer Migrantinnen und Migranten vor einer stärker werdenden AfD sorgen

Von 
Ilgin Seren Evisen
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Migranten in Mannheim haben kein Verständnis für den AfD-Höhenflug. © Jonas Walzberg/dpa

Mannheim. Es gibt viele Gründe, am Wochenende auf die Wahlen in Hessen und Bayern zu schauen - auch die aktuell hohen Umfragewerte der AfD zählen dazu. Laut Meinungsforschungsinstitut Forsa erreicht die rechtspopulistische Partei derzeit ihren bisher höchsten Wert. Die AfD, die sich seit ihrer Gründung vor zehn Jahren zunehmend politisch rechts verortete, verunsichert Mannheimer Migranten, die das Wahlverhalten ihrer Mitbürger kaum nachvollziehen können. Viele wollten sich aus Angst schon gar nicht öffentlich negativ über die AfD äußern.

Einer, der spricht, ist Omar Shaker. „Da ist eine große Angst“, beschreibt er, was der Höhenflug der AfD für ihn bedeutet. Der 27-jährige Syrer floh 2015 mit seiner Mutter und seinem Bruder aus Damaskus. „Mit Schlauchbooten und über die Balkanroute“, schildert Shaker seine abenteuerliche Flucht aus seinem vom Bürgerkrieg zerstörten Heimatland. In Deutschland lernt der ehrgeizige junge Mann binnen weniger Jahre Deutsch und studiert an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover Schauspiel. Seit Juli 2022 ist Shaker Mitglied des Ensembles des Nationaltheaters.

Folgen für Alltag befürchtet

Dass eine Partei, dessen völkischer Flügel vor allem mit migrantenfeindlichen Parolen von sich reden macht, bei seinen Mitbürgern derart viel Zustimmung findet, ängstigt den jungen Schauspieler. „Ich bin 2015 hierhergekommen, habe Deutsch gelernt, habe mein Studium erfolgreich abgeschlossen, bin nun Schauspieler. Ich habe so viel erreicht und nun kann es sein, dass ich vielleicht das Land, das zu meiner Heimat wurde, wieder verlassen muss“, so Shaker.

Nicht wenige integrierte und erfolgreiche Migranten wie er befürchten im Fall eines Wahlsiegs der AfD bei den nächsten Bundestagswahlen politische und soziale Folgen für ihren Alltag. Mit einem Aufstieg der Partei, glaubt Shaker, werde sich der Einflusskreis des völkischen Flügels und rechtsextremer Kreise ausweiten, Hemmungen fallen und es könne zu Gewalttaten an migrantischen Bürgern kommen.

„Ich bin nicht sicher, ob es auch mich treffen wird oder Menschen, die erst vor Kurzem geflüchtet sind. Ich weiß nicht, ob ich zu ihrem Feindbild gehöre und ob ich Gefahr laufe, abgeschoben zu werden wie andere, die nicht in ihr völkisches Konzept passen“, formuliert Shaker seine Zukunftsängste. Er ist sich sicher, dass er in Deutschland innerhalb kurzer Zeit viel erreicht hat und fühlt sich als anerkannter Teil der Gesellschaft. Gewinnt die AfD - die aktuell weit entfernt davon ist, Teil einer Bundesregierung zu sein - an politischem Einfluss, wird sich das Leben von Menschen, die nicht christlich oder weiß sind, dauerhaft verändern, glaubt er. Shaker befürchtet, dass sich Bürger mit muslimischem Glauben in Zukunft nicht mehr öffentlich zu ihrer religiösen Identität bekennen dürften. Auch um seine homosexuellen Freunde hat Shaker Angst. „Wenn es hart auf hart kommt, werde ich auswandern, auch wenn es mir schwerfällt, an einen solchen Schritt zu denken. Aber mit einer AfD an der Regierung werde ich nicht mehr in Deutschland leben“, ist Shaker sicher.

„Mehrheit gegen Migranten“

Einer Erhebung der Stadt zufolge bildeten Migranten Ende 2022 etwa 47,8 Prozent der Bevölkerung Mannheims. Dazu zählt auch der 18-jährige Timucin Evisen. Vor Kurzem hat er sein Abitur am Karl-Friedrich-Gymnasium gemacht und absolviert aktuell ein freiwilliges soziales Jahr an Mannheimer Grundschulen. Evisens Vater ist in den 70er Jahren als Sohn türkischer Gastarbeiter aus Ostanatolien in Mannheim geboren, seine deutsche Mutter stammt aus Ludwigshafen und hat polnische Wurzeln. Wie Shaker fürchtet auch Evisen einen Wahlerfolg der AfD: „Die hohen Umfragewerte allein heißen für mich schon, dass sich eine Mehrheit der Deutschen gegen Migranten und Migration ausspricht“, sagt der junge Mann.

Protest gegen Ampel-Koalition

Gleichzeitig ist er sich sicher, dass der aktuelle Höhenflug der AfD keineswegs einen Sieg der Partei bei den nächsten Bundestagswahlen impliziert, sondern als verzweifelter Protest gegenüber der Ampel-Koalition zu verstehen ist. Der 18-Jährige ist überzeugt, dass vielen Protestwählern die angestrebten politischen Ziele der AfD nicht bekannt sind: „Die wenigsten Befürworter der AfD dürften sich intensiv mit dem Programm der Partei auseinandergesetzt haben. Dass sie zudem glauben, dass die Partei das Land besser regieren würde als die Ampel-Koalition liegt nur daran, dass es von ihr noch kein Beispiel für eine schlechte Regierungsführung gibt“, so Evisen.

Je besser die AfD abschneidet, desto mehr nehme Alltagsrassismus zu, sagt Evisen. Er rechnet aber auch für die Wähler der Partei mit einem Überraschungseffekt, weil sie erst dann die Auswirkungen ihres Wahlverhaltens in Form unliebsamer politischer Entscheidungen zu spüren bekämen. Für Timucin Evisen, der sich intensiv mit der NS-Vergangenheit Deutschlands auseinandergesetzt hat, wiegt am schwersten, dass eine Partei, deren Politiker den Holocaust relativierten, einen derartigen Höhenflug verzeichnen kann. „Wie Menschen in Deutschland bei unserer Vergangenheit einen historischen und politischen Fehler ein zweites Mal begehen können, verstehe ich nicht.“

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