Mannheim. „Sie ist erklärungsbedürftig“, räumt Bürgermeister Volker Proffen ein. Aber der für Finanzen wie auch Sicherheit und Ordnung zuständige Dezernent legt dem Gemeinderat am Dienstag eine Zahl vor, auf die viele Stadträte schon lange warten. Sie besagt, wie sehr die Feuerwehr unterbesetzt ist.
Wie viele Stellen fehlen genau?
166 Vollzeitstellen. Die Feuerwehr verfügt derzeit über 368 Vollzeitstellen (einschl. Leitstelle, Personalrat, Auszubildende), davon 331 Einsatzbeamte. Das Durchschnittsalter beträgt 41,8 Jahre. Weil Feuerwehrleute rund um die Uhr da sein müssen, rechnet man mit 5,3 Personen pro Funktion. Also um ständig einen Drehleitermaschinisten zu haben, muss man wegen Schichtdienst, Krankheit und Urlaub statistisch gesehen 5,3 Leute einstellen.
Wer fordert die neuen Stellen?
Das Kölner Ingenieurbüro antwortING, spezialisiert auf Gefahrenabwehrberatung. Es erhielt bereits 2019 den Auftrag, das Krisenmanagement zu bewerten und den Brandschutzbedarfsplan von 2019 zu überarbeiten. Der ist durch die wachsende Bevölkerungszahl, Neubaugebiete, verdichteter Industrieflächen, wachsende Risiken, immer dichteren Verkehr sowie häufigere Notrufe völlig veraltet. Die Bearbeitung des Plans verzögerte sich aber wegen Corona. Jetzt liegt er vor.
Hat die Feuerwehr wirklich so viel mehr zu tun?
Seit 2013 ist Einsatzaufkommen um 57 Prozent gestiegen – auf über 4000 pro Jahr. Ständig ereignen sich kleine bis mittlere Brände sowie Einsätze zur technischen Hilfeleistung, aber auch Großeinsätze kommen regelmäßig vor. Immer häufiger gibt es so viele Alarme, dass Einheiten parallel ausrücken. Statistisch gesehen sind an jedem zweiten Tag mindestens vier Basiseinheiten gleichzeitig im Einsatz, an jedem vierten Tag sechs. Auch Paralleleinsätze von acht Einheiten stellen keine Ausnahme dar, worauf dann die Freiwillige Feuerwehr alarmiert werden muss. Weil die meisten Einsätze werktags sind, stehen da aber weniger Ehrenamtliche zur Verfügung.
Ist die Feuerwehr zu langsam?
Laut Gutachter ja. Derzeit gelten zehn Minuten als Eintreffzeit für zwölf Einsatzkräfte. „Die bisherige Schutzzieldefinition der Stadt Mannheim für den kritischen Wohnungsbrand entspricht nicht dem gültigen Stand der Technik und ist nicht auf das örtliche Gefahrenpotenzial angepasst“, so der Gutachter. Er moniert zwischen Ziel und Erreichungsgrad zudem Diskrepanzen von bis zu 42 Prozent, das heißt, nicht mal die – ohnehin veralteten – zehn Minuten können gehalten werden durch die bauliche Situation der Feuerwachen, lange Wegstrecken, hohes Verkehrs- und Baustellenaufkommen sowie die fehlende Routenplanung per Navi. „Aktuell können wir nicht zwei kritische Wohnungsbrände zeitgleich adäquat besetzen“, räumt Feuerwehr-Kommandant Thomas Näther ein.

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Was wäre nötig?
Eigentlich müssen innerhalb von acht Minuten nach Alarm mindestens zehn Einsatzkräfte (inklusive Zugführer) an der Einsatzstelle eingetroffen sein: Einsatzleitfahrzeug, Löschfahrzeug, Drehleiter – rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche. Innerhalb von 13 Minuten müssen es durch Verstärkung mindestens 16 Einsatzkräfte sein. Das schafft Mannheim nicht. Die derzeit auf drei Wachen verteilten Löschzüge (jeweils zwei Löschfahrzeuge und eine Drehleiter) entsprechen in Bezug auf Eintreffzeit und Personalstärke „nicht dem Stand der Technik“, so der Gutachter.
Was kritisiert der Gutachter noch?
Dass derzeit Zugführer gleichzeitig Gruppenführer sind – diese Doppelfunktion, zur Personaleinsparung eingeführt, geht nicht. Beide Führungsfunktionen seien nötig. Auch dass das jeweils zweite Löschfahrzeug pro Wache nur mit vier Einsatzkräften statt sechs Beamten besetzt ist, sei „nicht normkonform“.
Was empfiehlt der Gutachter?
Mehr, jedoch kleinere Feuerwachen. Zu den bewährten Standorten (Hauptfeuerwache Neckarau, Wache Nord Käfertal) sollen vier kleinere Standorte kommen, um trotz immer mehr Staus und Baustellen und einer wachsenden Zahl von Einsätzen und Paralleleinsätzen schnell genug da zu sein. Allein für das Personal der Wachabteilungen ohne Führungs- und Sonderfunktionen sind 319,8 Vollzeitstellen nötig.
Wo sieht der Gutachter Risiken?
Laut Gutachter besteht in Mannheim „ein hohes Gefahrenpotenzial“. Das liege an einer „hohen Anzahl und Dichte an Sonderobjekten“ wie allein 24 Industriebetrieben, die mit gefährlichen Stoffen hantieren, dazu Recyclingfirmen, Altenheime, Kliniken, Hotels, Museen. Hinzu kommt die Verkehrsinfrastruktur, von Tunneln über den Rangierbahnhof bis zu den 300 Schiffen, die täglich Mannheim passieren. Sie erwähnen ebenso Risiken durch Klimawandel (Hochwasser, Starkregen) oder eine alternde Gesellschaft, die sich immer weniger selbst helfen kann.
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Leistet sich Mannheim zu viele Feuerwehr-Sondereinheiten?
Nein. Laut Risiko- und Gefahrenanalyse des Gutachters „ergibt sich die zwingende Notwendigkeit aller bestehenden Sonderaufgaben“ wie Wasserrettung, Feuerlöschboot, Höhenretter, Kraneinsatzgruppe, Gefahrstoffzug und Analytische Task Force sowie Rettungszug der Bahn. Überwiegend lasse sich der Personalbedarf für die Sondereinheiten durch die Löschfahrzeugbesatzungen oder Springerfunktionen abdecken. Aber für die erforderlichen Aus- und Fortbildungen ergibt sich ein Bedarf an zusätzlichem Personal.
Können nicht Digitalisierung und Rationalisierung helfen?
Der Gutachter sieht „grundsätzliche Digitalisierungspotenziale“, glaubt allerdings nicht, dass dies kurzfristig zu Personaleinsparung führe. Auch die Auslagerung von Werkstattaufgaben sei „kritisch zu betrachten, unter der Maßgabe einer unabhängigen und leistungsfähigen Feuerwehr auch im Krisenfall“. Zudem weist er darauf hin, dass er auf eine Reihe von „nicht oder nur unvollständig bearbeiteten Tätigkeiten“ stieß. Er schlägt aber eine komplette Umorganisation der Feuerwehr vor, die bereits jetzt angegangen wird. Generell müsste die Feuerwehr insgesamt 631 Personalstellen haben, sie käme aber dank schlanker Organisation mit 592 aus. Das macht in der Summe dann die 166 mehr. „Wir optimieren, was möglich ist, denn wir wollen unsere Arbeit auch wirtschaftlich gestalten“, sagt Näther, „nicht nur am Maximum orientiert“.
Was ist mit der Freiwilligen Feuerwehr?
Ihr gehören in acht Abteilungen derzeit 384 ehrenamtliche Einsatzkräfte an. Sie sollen wesentlich regelmäßiger bei Notfällen einbezogen und daher auch mit dem gleichen Hilfeleistungslöschfahrzeug ausgestattet werden wie die Berufsfeuerwehr. „Ziel ist, dass beide gleichwertig an der Einsatzstelle agieren können“, sagt Näther: „Wir brauchen die Ehrenamtlichen!“ Das erfordert zusätzliche Ausbildung. Der Gutachter moniert, dass es im Hinblick auf Unfall- und Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, Platzbedarf, geschlechtergerechte Umkleide- und Sanitäreinrichtungen in den Gerätehäusern der Abteilungen Rheinau, Seckenheim, Feudenheim und Wallstadt „gravierende Mängel“ gibt und daher Neubauten oder grundlegende Sanierungen nötig sind. Für die Abteilung Nord besteht ebenfalls „erheblicher Maßnahmenbedarf“.
Was sagt der zuständige Bürgermeister Proffen?
Er spricht von einer „nötigen Reaktion auf die wachsende Stadt und steigende Risiken“. Allerdings solle das Konzept perspektivisch binnen zehn Jahren umgesetzt werden, zumal man neue Feuerwehrleute in der Regel nirgendwo abwerben kann, sondern sie selbst ausbilden muss.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die Feuerwehr braucht mehr Personal