Filmschätze - Amateur-Dokumentation der Bundesgartenschau 1975 zeigt Multihalle, Riesenrad, die Kleinschienenbahn und die Blütenpracht

Das sommerlange Fest im Herzogenried

Von 
Peter W. Ragge
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Man spürt die Begeisterung – an den Bildern und in der Stimme, mit der sie unterlegt sind: Eine komplette Amateurfilmer-Dokumentation auf sieben Super-8-Rollen über die Bundesgartenschau in Mannheim im Jahr 1975 zählt zu den privaten Filmschätzen, die dem Marchivum zur Digitalisierung übergeben wurden. Dadurch können sie nun für die Nachwelt erhalten bleiben.

In einem der Filme steht der Herzogenriedpark im Mittelpunkt – und besonders die Multihalle. „Sie liegt immer im Blickpunkt. Wo man sich im Park befindet – die Multihalle sieht man immer“, so der Sprecher. Schließlich sind die Bäume und Büsche damals noch nicht so groß, dass sie das Gebäude mit der – anfangs grauen – Kunststoff-Haut verdecken. Die frei tragende Dachkonstruktion aus hölzernen Latten, die größte der Welt, gilt schon damals als viel bestauntes „architektonisches Wunder von Mannheim“. Sie stammt von den Architekten Carlfried Mutschler und Joachim Langner sowie von Frei Otto, bekannt vom Münchner Olympiastadion.

Eine große Sportshow mit Trampolinsprüngen bis knapp unter das Dach, Jazzkonzerte, Trachtenfeste, Gastspiele der Volksschauspiele Ötigheim mit rasant quer durch die Halle galoppierenden Pferden, Fernseh-Aufzeichnungen wie der „Blaue Bock“ mit Heinz Schenk – all das findet in der Multihalle statt.

Zur Eröffnung im April und zum Abschluss der Bundesgartenschau im Oktober dient sie zudem großen Blumenschauen mit hunderttausenden von Blüten und Pflanzen, während es in einer anderen Halle in der Nähe die ganze Zeit grünt und blüht: Sieben Blumenschauen finden in der eigens dafür aus flexiblen Stahlteilen gebauten „Merohalle“, postiert am Haupteingang beim Neuen Messplatz, statt.

Dort steht, als weithin sichtbarer Blickfang, auch das Riesenrad – mit einem Durchmesser von immerhin 42 Metern eine der Hauptattraktionen des Herzogenriedparks 1975. Dieses Riesenrad nehmen die Amateurfilmer ebenso immer wieder in den Blick wie die Kleinschienenbahn, die quer durch den Park verkehrt – vorbei am Modellbootweiher und an Sportanlagen, an herrlich bunten, riesigen Blumenbeeten mit allein 75 000 Tulpen und üppigen Staudenpflanzungen, vielen Spielplätzen, am Höhlenlabyrinth für Kinder und der sogenannten „Rosenvergleichsschau“ mit 112 neuen Sorten, deren Reste heute noch das „Rosarium“ darstellen. Auch die Kleingärtenanlage und das neu angelegte Wohngebiet werden durchfahren – denn auf das neue Areal mit 2000 Miet- und Eigentumswohnungen sowie einem Studentenwohnheim zum Leben mitten im Grünen ist die Stadt seinerzeit besonders stolz. Und dass das kleine Bähnchen im Park über eine „Abgasentgiftungsanlage“ verfügt, wird 1975 – und damit lange vor Umwelt- und Feinstaubdebatten – auch eigens hervorgehoben.

Echtes Mondgestein

Eine Haltestelle der Bahn trägt den Titel „Mondbahnhof“ – mit gutem Grund. Dort, wo sich heute der Evangelische Kindergarten befindet, kann man echtes Mondgestein sehen – nur sechs Jahre nach der ersten Mondlandung eines Menschen ist das damals eine Sensation. Auch zwei Mondkameras und eine Kapsel des amerikanischen Raumschiffs Gemini aus den 1960er Jahren werden in dieser sogenannten „Weltraumausstellung“ gezeigt. Initiiert hat sie Heinz Haber, 1972 mit dem Bloomaulorden ausgezeichneter Physiker, der durch viele Fernsehauftritte als „Weltraumprofessor“ populär geworden ist.

Der Film ist „liebevoll zusammengestellt mit selbstgebasteltem Titel und zeigt das vielfältige Programm und die Attraktionen der Bundesgartenschau“, lobt Désirée Spuhler, die Leiterin der Filmsammlung vom Marchivum. Idee und Zusammenstellung gehen auf Renate Schott zurück, mit Beiträgen von Wolfgang Pohlmann. Kamera und Technik oblagen Werner Schott. Für Spuhler stehen diese Aufnahmen „exemplarisch für die zahlreich bei uns eingegangenen Filme zur Bundesgartenschau und machen deutlich, welch großes Ereignis es war“.

Lokales

"Filmschätze retten": Bundesgartenschau 1975 in Mannheim

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Bundesgartenschau 1975 in Mannheim

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Thema : Filmschätze retten

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    Er trägt Uniform mit Pickelhaube, die Herren um ihn herum Frack und Zylinder – den sie aber flink und ehrerbietig vor ihm ziehen. Schließlich lautet seine Anrede „Königliche Hoheit“. Es ist der Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden. Am 1. Mai 1907 kommt er nach Mannheim. Der Film davon sind die ältesten Bewegtbild-Aufnahmen, die es von Mannheim gibt. Sie stellte diese Zeitung im Oktober 2017 vor und begann damit die Serie „Filmschätze retten“. Heute endet sie, und alle Leser können zum Abschluss eine DVD mit historischen Streifen gewinnen. Die Aktion „Filmschätze retten“: hatten Marchivum und Freundeskreis Marchivum gestartet und als Unterstützer dafür diese Zeitung gewonnen. Zunächst ging es um Spenden für die Digitalisierung der rund 500 Filme umfassenden Sammlung. Den alten Rollen drohte das Essigsäure-Syndrom, sie lösen sich also durch chemische Prozesse auf. „Nur wenn der analoge Bestand digitalisiert wird, kann er für künftige Generationen gerettet werden“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. 67 500 Euro an Spenden Bis Juli 2018 haben wir jeden Donnerstag unter dem Motto „Filmschätze retten“ historische Aufnahmen aus den Beständen des Marchivum vorgestellt – auf dieser Seite im Kulturteil und im Morgenweb. Wegen der großen Resonanz setzten wir die Serie nach Abschluss der Spendenaktion fort, veränderten aber Ziel und Rhythmus. Ab September 2018 gab es jeweils am ersten Donnerstag im Monat Bilder und Informationen zu einem historischen Film – verbunden mit einem neuen Aufruf des Marchivum. Es bat darum, dass viele Mannheimer ihre privaten Filmschätze dem Marchivum anbieten, damit sie digitalisiert, fürs Archiv erschlossen und (auf Wunsch) zurückgegeben werden. Auf beide Aufrufe gab es sehr viele Reaktionen. Die Spendenaktion erbrachte 67 500 Euro. „Damit haben wir unseren Filmbestand komplett digitalisieren können“, so Désirée Spuhler, der die audiovisuelle Sammlung des Marchivum untersteht. Überwiegend handelte es sich um Stummfilmmaterial. Dazu verfasste dann Julia Scialpi vom Freundeskreis Marchivum Texte für eine Vertonung, die Stadträtin und Freundeskreis-Vorsitzende Helen Heberer als Sprecherin aufnahm. Technische Hilfe bei der Umsetzung leistete Andreas Etzold (RNF). 21 dieser Clips sind nun auch auf DVD verewigt. Aufnahmen vom Krieg, vom Wiederaufbau des zerstörten Mannheim, vom legendären Blumencorso des Einzelhandels 1967, der Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters 1957, vom alten Planetarium 1935, von der Überführung des Sargs des Kurfürsten in die Schlosskirche 1957, vom Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rosengarten 1953, vom Autohaus Kannenberg mitten im „Wirtschaftswunder“ 1956, von einer „Zeppelin“-Landung 1930, vom alten Eisstadion Friedrichspark 1938, aber auch seltene Luftaufnahmen von 1926, von Nazi-Propaganda und den bald darauf enteigneten jüdischen Geschäften weckten viele Erinnerungen und zeigten den beeindruckenden Wandel der Stadt. Außer den vielen Geldspenden sind zudem über 100 private Filmspulen abgegeben worden, die nun – digitalisiert – die Marchivum-Bestände bereichern und künftig auch für Ausstellungen verwendet werden können. Nieß spricht daher zufrieden von „einem höchst erfolgreichen Projekt“. Schauen und Staunen „Wir haben allen Spendern zu danken und sind von der Breite der Unterstützung und dem Engagement des „Mannheimer Morgen“ überwältigt“, so Nieß. Der Erfolg der Aktion „Filmschätze retten“ sei dabei „nicht in Geld aufzuwiegen“, betont der Direktor. „Nicht nur, dass die erforderliche Spendensumme für die Digitalisierung der Filme zusammen kam, vielmehr trägt die Aktion zur Identitätsstiftung mit dem Marchivum bei“, freut er sich. „Hier ist der Ort für eine breit aufgestellte audiovisuelle Sammlung, die eindrucksvoll Mannheims Geschichte in Bildern dokumentiert. Das animiert zum Schauen, Staunen, aber auch zur Nachdenklichkeit, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen wollen“, so Ulrich Nieß.

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