Erinnerungen

Das haben Polizei und Journalisten bei den Ausschreitungen auf der Schönau 1992 erlebt

Von 
Sebastian Koch
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Der damalige Oberbürgermeister Gerhard Widder versucht am 28. Mai 1992, die Menge zu beruhigen. © Mannheimer Morgen, 1992

Mannheim. Für Matthias Möller sind die Ausschreitungen 1992 etwas Besonderes: Dass sich am 28. Mai 1992, damals der Himmelfahrtstag, Hunderte Personen ohne Beteiligung von Neonazis vor einer Asylbewerber-Unterkunft versammeln und ausländerfeindliche Parolen rufen, unterscheide Mannheim von Rostock oder Hoyerswerda. „Im Unterschied dazu haben Behörden nicht kapituliert und das Haus nicht zur Stürmung freigegeben“, erklärt der Wissenschaftler, der 2007 die Ausschreitungen auf der Schönau untersucht hat. Man wisse aber nicht, was passiert wäre, wenn die Polizei das Haus nicht geschützt hätte. „In dem Fall wäre Mannheim mit Rostock und Hoyerswerda vergleichbar.“

Dass die Unterkunft geschützt worden ist und im Haus niemand zu Schaden gekommen ist, daran hatten auch Volker Dressler und Knut Feldmann Anteil. Feldmann als Polizeipräsident und Dressler als sein Sprecher. „Es war nicht abzusehen, dass das Siedlerfest aus dem Ruder läuft“, erinnert sich Dressler. „Deshalb sind zunächst nur wenige Polizeikräfte vor Ort gewesen“, ergänzt Feldmann. Als Sprecher Dressler alarmiert wird und er auf die Schönau fährt, kommen wenig später auch der damalige Oberbürgermeister Gerhard Widder und Feldmann. „Es war für den damaligen Oberbürgermeister Widder schon riskant, sich in die Menge zu begeben und zu Besonnenheit aufzurufen“, sagt Feldmann. Auch der damalige Polizeireporter des „MM“, Jan Cerny, ist vor Ort. „Widder hat es zusammen mit der damaligen Stadträtin Regina Trösch geschafft, die Menge zu beruhigen.“ Widder will auf Nachfrage nicht über die Ereignisse sprechen. Trösch - Cerny bezeichnet sie als „gute Seele der Schönau“ - ist im Januar verstorben.

Polizei: „Nicht politisch“

„Die Vorfälle waren zunächst unpolitisch“, sagt Dressler. „Da etwas Politisches hineinzuinterpretieren, geht schief.“ Deshalb sei die Schönau auch nicht mit Rostock oder Hoyerswerda zu vergleichen, sagen die beiden Beamten. Erst später seien „politische Agitatoren“ auf den Plan getreten und zumeist, erklären Feldmann und Dressler, angereist.

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Der damalige Lokalchef, Hermann „Mac“ Barchet, kritisiert am 30. Mai die Informationspolitik der Polizei. „Es hat keinen Sinn, die Ereignisse auf der Schönau unter den Teppich zu kehren, zu beschwichtigen und so zu tun, als sei (…) alles Friede, Freude, Eierkuchen“, heißt es. „Die Verhältnisse zu beschönigen, gar eine Nachrichtenzensur auszuüben - und das ist es beinahe, was die Polizei zur Zeit dort praktiziert - ist die falsche Politik.“ Darauf angesprochen, sagt Dressler: „Wir haben sofort die Presse informiert.“ Man habe die Bürger „nicht kriminalisieren“ wollen. Dressler wollte deshalb „etwas Dampf aus der Sache“ nehmen, weil die Menschen „nicht politisch“ unterwegs gewesen seien. „Aber ich habe natürlich die Presse nicht im Unwissen gelassen.“

Indes ist auch die „MM“-Berichterstattung Gegenstand von Diskussionen. „Die Berichterstattung habe ich kritisch gesehen“, erinnert sich etwa Oberbürgermeister Peter Kurz, der 1992 Stadtrat war. Gründe führt er auch auf Nachfrage nicht an. „Der ,MM’ hat sich nicht groß von dem unterschieden, was auch andere Medien damals eben geschrieben haben“, sagt Möller. So seien schon im April Geflüchtete als Bedrohung für die Schönau dargestellt worden. „Das war ein Beitrag zur aggressiven Stimmung.“

„MM“-Reporter: „Lange Tage“

Als im Juni „antirassistische Demonstranten“, sagt Möller, nach Mannheim kommen, seien die als „auswärtige Chaoten“ dargestellt worden, die das „friedliche Stadtleben auf der Schönau bedrohten“. Am 9. Juni hatte etwa der damalige, inzwischen verstorbene Chefredakteur Sigmar Heilmann nach Zusammenstößen von linken Demonstranten und Polizisten kommentiert: „Nicht zuletzt wegen der ungelösten Asylproblematik haben rechtsradikale Parteien Zulauf. In der so entstandenen Stimmung werden jugendliche Radaubrüder zu Übergriffen angestachelt, Polizei muß gerufen werden, und es treten wohlmeinende und leider auch höchst unerfreuliche Zeitgenossen ,gegen Rechts’ auf den Plan.“ Das sei hängengeblieben, sagt Möller. „Auf einmal waren die Schönauer die potenziellen Opfer - dabei waren sie diejenigen, die die Geflüchteten bedroht haben.“

Während Horst-Dieter Schiele, damals ebenfalls Chefredakteur, kein Gespräch führen will, versucht Cerny sich zu erinnern. „Das waren lange Tage für mich.“ Nach dem 28. Mai folgen weitere Ansammlungen, später Demonstrationen, die teilweise gewaltsam aufgelöst werden, auch weil sie verboten waren (siehe Seite 10). Cerny hatte den Eindruck, dass die Menschen auf der Schönau „ausländerfeindlich“, aber „keine Radikalen von der NPD oder Ähnlichem“ waren. Ob der frühere Redakteur heute die Kritik an der Berichterstattung nachvollziehen kann? „In so einem turbulenten Fall wie diesem ist es nicht ungewöhnlich, dass Menschen kritisch auf die Berichterstattung schauen“, sagt er.

Indes erklärt Möller, es zeichne den „MM“ aus, dass er sich mit der Berichterstattung auseinandersetze. „Der ,MM’ ist damals im Zeitgeist nicht herausgestochen“, sagt Möller. „Aber der ,MM’ sticht heute heraus, weil er sich mit der damaligen Berichterstattung beschäftigt.“ Von anderen Medien sei das weniger bekannt, sagt Möller. (mit tbö)

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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